In den letzten Wochen haben wir eine Vollbremsung hingelegt. Die COVID-19-Pandemie hat es uns vor Augen geführt: Unsere Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit, unsere Wirtschaft ist zerbrechlich, unser gesellschaftlicher Zusammenhalt ist auf die Probe gestellt. „Abstand halten“ ist das Gebot der Stunde und wird zum Akt der Solidarität.
Dieser Akt zeigt sich konkret, wenn Bewohner*innen in Windeseile Nachbarschaftshilfen gründen, Junge auf Ältere Rücksicht nehmen, Musiker*innen und Künstler*innen für Pfleger*innen und Ärzt*innen spielen. Tausende nähen Alltagsmasken und spenden sie an Pflegeeinrichtungen oder den kleinen Handwerksbetrieb vor Ort. Beschäftigte ohne Kinder springen für Beschäftigte mit Kindern ein, Vereine entwickeln digitale Sportprogramme für alle. Ein Ruck der Solidarität und der kreativen Lösungen ging durch unser Land und schnell war auch dem letzten klar: In Zeiten des Social Distancing heißt es mehr denn je, füreinander einzustehen. Die aktuelle Herausforderung ist ohne Beispiel und die Zivilgesellschaft zögerte nicht und zeigte Stärke und setzte auf Zusammenhalt.
Auch die Bundesregierung reagiert auf die Pandemie, mobilisiert Milliarden Euros, organisiert Unterstützung für Betriebe, Beschäftigte, Krankenhäuser. Sie schafft politische Rahmenbedingungen, die die Folgewirkungen kurzfristig und wirksam abfedern. Unser Staat zeigte sich handlungsfähig – im Dialog mit Sozialpartnern, Verbänden, medizinischen Expert*innen. Politisches Handeln, Verantwortung und Vertrauen gewannen an Bedeutung und Akzeptanz. Die Rechten hingegen tauchten kurzfristig ab, weil sie blank sind, wenn es um reale politische Konzepte geht. Ihr Politikmodell der Provokation, der Tabubrüche, der Diffamierung, Spaltung und Ausgrenzung griff ins Nichts. Mittlerweile befeuern sie wieder mit nebulösen Verschwörungstheorien die Ängste der Menschen.
Das Krisenmanagement der letzten Monate wird dennoch, bei allen Interessenkonflikten und Auseinandersetzungen um die richtigen Weichenstellungen, in der Gesamtschau von der Bevölkerung honoriert und gutgeheißen, so die aktuellen Umfragen.
Betriebsräte und IG Metall spielen in den Betrieben und eben dieser politischen Weichenstellung eine aktive, eine gestaltende und fordernde Rolle. Betriebsräte haben in kurzer Zeit Vereinbarungen mit den Arbeitgebern eingefordert, die die Belegschaften schützen. Das war und ist anspruchsvoll. Es geht an erster Stelle um den gesundheitlichen Schutz und gleichzeitig um die Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen und des Einkommens. Tausende Beschäftigte konnten ins Homeoffice gehen, Millionen in die Kurzarbeit. Um die Aufzahlung auf das Kurzarbeitergeld wurde hart gerungen.
Für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen, braucht es weiter Lösungen. Beim Hochfahren werden nicht alle gleichzeitig zurückkehren und der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz hat höchste Priorität. Ein Drittel der von uns befragten Betriebe hat durchgehend produziert, teilweise Sonderschichten gefahren und dabei hohe Anforderungen an den Gesundheits- und Arbeitsschutz der Beschäftigten unmittelbar gewährleisten müssen.
Die Beschäftigten sind unterschiedlich betroffen. Die solidarische Regulierung ist in den Betrieben und Branchen am besten dort gelungen, wo Mitbestimmung und Tarifverträge gelten. Mitbestimmung, Tarifbindung und Sozialpartnerschaft sind die stabilen Anker für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade in Krisenzeiten sind Mindeststandards und eine Mitbestimmungskultur für schnelle, wirksame und soziale Lösungen unverzichtbar.
Dort, wo heute die Beschäftigten als Held-*innen gefeiert werden, haben sich die Arbeitgeber in den letzten Jahren massiv gegen Tarifbindung und auskömmliche Löhne gewehrt. Einmalzahlungen sind ein Tropfen auf dem heißen Stein – mehr nicht. Unverantwortlicher Fachkräftemangel ist und bleibt die Folge. Dort, wo heute Medikamente, Beatmungsgeräte und Schutzausrüstung knapp sind, standen in den letzten Jahren ökonomische Gewinnmargen im Gesundheitswesen über unverzichtbare Daseinsvorsorge für die Menschen im Land. Dort, wo jetzt Leiharbeitnehmer*innen als Erste gehen müssen, zeigt sich das wahre Gesicht der Deregulierung des Arbeitsmarktes.
Wie unter einem Brennglas offenbarten die letzten Wochen schonungslos politische Fehlentwicklungen, überholte neoliberale Glaubenssätze und die Notwendigkeit eines handlungsfähigen Staates.
Gerade vor dem Hintergrund der tiefen ökonomischen Rezession muss die steile Lernkurve in der Pandemie jetzt Folgen haben. Denn der Markt wird alleine gar nichts richten. Unternehmen, die Corona-bedingt in Schieflage geraten, brauchen staatliche Unterstützung. Das ist Konsens – und Konsens muss auch sein: Diese Steuergelder sind nicht bedingungslos, sie dürfen keine Einbahnstraße sein. Wer unterstützt wird, hat Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sichern, muss sich an Tarifverträge halten, darf Dividenden nicht auszahlen. Die Politik muss weiter entschieden eingreifen. Wir brauchen ein umfangreiches Konjunktur- und Investitionsprogramm, das einen nachhaltigen Wachstumspfad beschreibt.
Mehrere Ökonomen sind gemeinsam mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in die Offensive gegangen. Sie warnen zu Recht vor einer hartnäckigen Spirale aus Nachfrageverlusten, die hart und dauerhaft auf die Beschäftigung durchschlagen könnte. Sie gliedern ihre Vorschläge in drei Bereiche: private und öffentliche Investitionen, die jeweils eine starke Umwelt- und Klimakomponente haben. Deutlich aufgestockte Ausgaben für Gesundheit und Bildung, mit denen auch dringend benötigte technische Ausrüstung und zusätzliche Kompetenzen für digitalen Unterricht finanziert werden sollen. Und die Wissenschaftler plädieren für die Schaffung eines Transformations-Kurzarbeitergeldes, um Weiterbildung und Qualifizierung frühzeitig und in großem Umfang zu ermöglichen.
Dieser öffentliche Diskurs um eine nachhaltige Weichenstellung ist wichtiger denn je. Eine Politik des Abwartens wäre fatal. Die hohen Kosten der Krise erfordern eine genauso entschiedene wie offensive Diskussion um Verteilungsfragen. Große Vermögen müssen stärker zur Bewältigung der Krise beitragen. Die Kosten dürfen nicht über eine Absenkung sozialer Standards finanziert werden. Ganz im Gegenteil: Ein sozial nachhaltiger Wachstumspfad setzt soziale und ökologische Standards.
Unser Leitbild der ökologischen, sozialen und demokratischen Transformation steht für diesen Weg. Diese Krise könnte ihn beschleunigen. Entschieden ist das noch nicht. Denn wenn bereits jetzt Arbeitgeber Personalabbau ankündigen und Ausbildungsplätze reduzieren und damit den Kostendruck an die Belegschaften weitergeben, dann stellen wir uns auf harte Konflikte ein.
Wir Metaller*innen haben unseren Gestaltungswillen mit unserem aktuellen Leitmotiv zum Ausdruck gebracht: „Wenn wir zusammenhalten, ist alles möglich.“ Das ist zugleich eine offensive Einladung, in die IG Metall einzutreten, Mitglied zu werden und sich im Betrieb zu organisieren.
Solidarität braucht Nähe. Damit ist nicht nur die Nähe und Verbundenheit zu Mitstreiter* innen gemeint, sondern auch die Nähe zu Lebens- und Gesellschaftsentwürfen und einem gemeinsamen Werteverständnis.
Solidarität ist unser Motor für gewerkschaftliches Handeln, Solidarität ist der Schmierstoff für gesellschaftlichen Zusammenhalt und sozialen Fortschritt. Die Chancen stehen gut, dass Solidarität gewinnt. Denn an Tagen wie diesen zeigt sich: „Abstand halten“ und „Zusammenstehen“ sind kein Widerspruch. Solidarisch ist man nicht alleine!
Der Gastbeitrag ist in der Zeitschrift spw –Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft Ausgabe 3 – 2020 erschienen.
weitere Informationen und Pressebilder von Irene Schulz