1. April 2019
Interview in Spiegel Plus
"Man kann keine Politik gegen Hunderttausende Beschäftigte durchziehen"
IG Metall-Chef Hofmann über Klimaziele +++ Der IG Metall-Vorsitzende warnt davor, dass die Klimaschutzpolitik viele Arbeitsplätze in der Autoindustrie vernichtet.

Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, warnt davor, dass die Klimaschutzpolitik viele Arbeitsplätze in der Autoindustrie vernichtet. Was schlägt er vor?


SPIEGEL: Herr Hofmann, die EU hat ihre Klimaziele verschärft. Nun soll der CO2-Ausstoß bei Neuwagen bis 2030 nicht um 30 Prozent, sondern um 37,5 Prozent reduziert werden. Was bedeutet das für die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie?

Hofmann: Es führt zu einem noch größeren Verlust von Arbeitsplätzen. Das Fraunhofer Institut, das bereits die Folgen des 30-Prozent-Ziels für uns in der sogenannten ELAB-Studie durchgerechnet hat, hat dies nochmals für die 37,5 Prozent gemacht. Im Saldo kostet das, so unsere Ableitung, bis zu 150 000 Arbeitsplätze alleine in der Produktion – die Verluste in der Entwicklung und etwa in Autowerkstätten sind da noch nicht berücksichtigt.


SPIEGEL: Wären davon alle Firmen gleichermaßen betroffen?

Nein. Es wurde erstmals auch untersucht, wie sich die Verluste verteilen werden. Die Zulieferer werden härter betroffen sein. Von den Menschen, die am Antriebsstrang eines Autos arbeiten, sind bei den Endherstellern etwa 35 Prozent von Arbeitsplatzverlust bedroht, bei den Zulieferern sind es rund 44 Prozent.


SPIEGEL: Warum ist das so?

Die Hersteller reagieren darauf mit Insourcing. Sie holen sich Arbeiten – und damit auch die Wertschöpfung – wieder zurück, die sie früher an die Zulieferer gegeben haben. So wird der Kuchen für die Zulieferer kleiner. Und für viele von ihnen kann das existenzbedrohend werden, wenn sie ausschließlich für den Antriebsstrang der Verbrennungsmotoren produzieren. Deshalb können die realen Arbeitsplatzverluste noch höher werden.


SPIEGEL: Die EU-Ziele werden Sie nicht ändern können. Was muss deshalb geschehen?

Wir müssen diese Ziele so umsetzen, dass keiner der Beschäftigten unter die Räder kommt. Dazu muss alles unternommen werden, damit die Beschäftigung an den Standorten gesichert wird. Die zusätzliche Wertschöpfung, die durch Elektromobilität entsteht, etwa Batteriezellen oder Steuerungselektronik, muss hier produziert werden. Da sind die Unternehmen in der Verantwortung. Wir laufen in Gefahr, dass ganze Regionen in eine Krise geraten. Nehmen Sie das Saarland: Als dort der schmerzhafte Strukturwandel weg von Bergbau und Stahl durchlaufen werden musste, standen am Ende vor allem neue industrielle Jobs im Automobilbau. Fast alle dieser etwa 20 000 Arbeitsplätze hängen am Antriebsstrang des Verbrennungsmotors. Was passiert dort, wenn die wegfallen?


SPIEGEL: Was bedeutet das für die Politik?

Das schlimmste Szenario wäre, die Unternehmen stellen auf Elektromobilität um, und die Kunden kaufen keine Elektroautos. Was passieren kann. So gibt es bis heute keine flächendeckende Ladeinfrastruktur in Deutschland. Diese Infrastruktur muss die Politik garantieren, wenn der Umstieg gelingen soll. Wir müssen die Abhängigkeit von den asiatischen Zellenlieferanten durchbrechen, sonst diktieren diese die Preise und machen Elektromobilität für den Käufer unbezahlbar. Und wir brauchen eine Mobilitäts- und Energiewende, die grünen Strom zu bezahlbaren Preisen bereitstellt.


SPIEGEL: Selbst dann wird das noch Arbeitsplätze kosten.

Ja, wenn wir nicht gegensteuern mit Investitionen in zukunftsfähige Industriearbeitsplätze. Deshalb brauchen wir für den Umbau Strukturhilfefonds für besonders betroffene Regionen. Aber wir brauchen auch arbeitsmarktpolitische Instrumente, um den Beschäftigungsabbau sozial verträglich zu gestalten, bis hin zu Vorruhestandsprogrammen, wie jetzt von der Kohlekommission vorgeschlagen. Vor allem aber brauchen wir eine sehr gute Qualifizierungspolitik, um den Arbeitnehmern die Chance zum Wechsel in eine neue Tätigkeit ohne Jobverlust zu geben. Wenn wir diese Themen nicht zum Fliegen bringen, haben wir ein Problem.


SPIEGEL: Welches?

Dann droht Chaos. Man kann keine Politik gegen Hunderttausende Beschäftigte durchziehen, wenn Klimaschutz für sie nur mit der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden ist. Die IG Metall will dagegen, dass die Mobilitäts- und Energiewende gelingt.

 

Das Interview ist am Montag, 25. März 2019, bei Spiegel  erschienen. Das Interview führte Markus Dettmer. 
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