Jörg Hofmann: Ich sehe das genau andersrum. Der Veränderungsdruck ist doch eine riesige Chance für unsere Industrie. Klimaschutz und Innovation und Beschäftigung bilden ein Dreieck, das trägt. Welche andere Industrienation sollte es sonst schaffen, Wachstum und Klimaschutz durch Innovation unter einen Hut zu bringen? Und da muss man konjunkturelle Schwächen durchstehen, ohne gleich die Nerven zu verlieren.
Deshalb wollen wir ja den Strukturwandel gestalten und dafür sorgen, dass der Wandel gleichzeitig ökologisch, sozial und demokratisch verläuft. Das geht nicht ohne Konflikte der Interessen.
Es wird nicht funktionieren, wenn Unternehmen das erste konjunkturelle Windchen nutzen für Standortschließungen, Stellenabbau und die Filetierung von Firmen. Das erleben wir leider gerade, und diese Mitnahmeeffekte einer konjunkturellen Delle sind unanständig. In der Finanzmarktkrise hatten wir ein Commitment: Wir nehmen alle mit durch die Krise. Dies müssen wir erneuern. Wohl wissend, dass strukturelle Änderungen unausweichlich, aber eben sozial gestaltbar sind. Wer jetzt das Margenziel vor seine Verantwortung für Beschäftigung stellt, der riskiert, dass sich die Unternehmen gegenseitig nach unten ziehen.
Viele Menschen haben das Gefühl, dass sich nicht viel tut. Es fehlt das Vertrauen in neue Mobilitätskonzepte. Ja, jetzt kommen die E-Autos auf den Markt. Was immer noch fehlt, sind Ladeinfrastruktur, aber auch Investitionen in Alternativen zur Individualmobilität. Und wollen wir Preise und Qualität der E-Mobilität beherrschen, brauchen wir die gesamte Wertschöpfungskette. Stichworte dafür sind Batteriezellenfertigung und Leistungselektronik.
Aber auch nur, weil wir Druck gemacht haben. Die Kapazität in Salzgitter deckt nur einen Bruchteil des Bedarfs, den VW ab Mitte der 2020er Jahre hat. Wir brauchen viel mehr Zellfabriken in Deutschland, doch dafür muss der Strompreis sinken und es muss grüner Strom sein, was ohne die Politik nicht geht. Und auch für geschlossene Wertstoffkreisläufe, konkret die Zweitverwertung und das Recycling von Batterien, braucht es einen regulatorischen Rahmen.
Das ist doch Quatsch. Sinn würde es machen, noch stärker die CO2-Belastung in der Kraftfahrzeugsteuer zu berücksichtigen. Dann hat man eine Lenkungsfunktion. Andere Länder erheben eine Luxussteuer auf großvolumige Autos.
Meine große Sorge ist, dass die Politik sich vor allem mit einer Placebo-Debatte zur CO2-Bepreisung beschäftigt und die zentralen Themen nicht angeht.
Investitionen in Infrastruktur, in den ÖPNV und die Güterlogistik, in intelligente Verkehrsleitsysteme, Ausbau der digitalen Infrastruktur und natürlich die Ladeinfrastruktur und die gesamte Wertschöpfungskette rund um die Elektromobilität. Das sind die großen Themen, und die haben mit der CO2-Bepreisung nur bedingt was zu tun. Lenkungswirkung hat die CO2-Bepreisung nur eingeschränkt. Wir brauchen aber keinen Ablasshandel, sondern Investitionen in die Zukunft.
Die Preissensitivität ist hier minimal – wenn nicht gleichzeitig Alternativen für den Pkw-Nutzer zur Verfügung stehen. Wirksamer ist die Einflussnahme auf die Entscheidung beim Fahrzeugkauf: Die Kfz-Steuer zu einer CO2-Steuer zu entwickeln und höhere Anreize für den Kauf von Elektromobilen, das macht Sinn.
Ja, das hat sie. Es war die Regulation durch die EU, die uns jetzt zwingt, in das notwendige Volumen von Elektromobilität zu kommen. Eine innovative Industrie ist der Schlüssel für Klimaschutz, das gilt nicht nur für die Autoindustrie. Auch in anderen Branchen würde ich mir da etwas mehr Mut wünschen. Daher finde ich es gut, dass wir etwa in der Stahlindustrie jetzt eine Debatte haben, ob eine CO2-freie Produktion auf der Basis von grünem Wasserstoff möglich ist. Für solche Sprunginnovationen brauchen wir eine funktionierende Wasserstoffindustrie, und dafür wiederum politische Rahmenbedingungen.
Dann muss man die Forschungs- und Investitionsbedarfe klären und die Situation auf der Beschäftigungsseite. Grundsätzlich wäre für alle Sektoren ein realisierbarer Zukunftspfad hilfreich, in dem die gegenseitige Abhängigkeit von industrieller Innovation, Beschäftigung und politischer Regulation und öffentlicher Infrastruktur berücksichtigt wird. Die Zeit ist reif dafür. Vor drei Wochen gab es ein Treffen der Luftfahrtbranche mit der Bundeskanzlerin, dabei ging es um CO2-freies Fliegen. Die Airlines betonten ihre Bereitschaft, innerdeutsche Flüge zu streichen, wenn die Bahn die Kapazität hätte. Vor zwei Jahren wäre ein solches Treffen undenkbar gewesen.
Das Thema ist so oder so gesetzt, unabhängig von Regierungsfarben. Und dort, wo die Grünen in Landesregierungen sind, haben wir nicht unbedingt mehr Aktivitäten in der Infrastrukturpolitik oder beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Wir brauchen eine breite Mehrheit bei den Bürgerinnen und Bürgern für eine nachhaltige sozial-ökologische Transformation. Diese Mehrheit kommt erst zustande, wenn die Menschen tatsächlich erleben, dass sich Klimaschutz und soziale Sicherheit nicht widersprechen.
Sicherheit im Wandel ist ganz wichtig, das wissen wir als Gewerkschaften. Aber wer trägt die Kosten des Umbaus? Die aktuelle Debatte zur CO2-Bepreisung läuft doch auf eine Belastung der Bürger hinaus, die keine Rücksicht auf ihre Leistungsfähigkeit nimmt. Den Gedanken des Solis aufzugreifen und auf die Finanzierung des ökologischen Umbaus anzuwenden, das wäre sozial gerechter, weil die hohen Einkommen mehr zahlen, anstatt sich in Rückverteilungsdebatten zu verstricken, die, egal wie, an einer Stelle Ungerechtigkeit erzeugen werden. Kurzum: Klimaschutz ist auch eine Verteilungsfrage. Hier brauchen wir mehr Ideen.
Eine innovative Industrie ist der Schlüssel für Klimaschutz, und das gilt nicht nur für die Autoindustrie, sagt Gewerkschaftschef Jörg Hofmann. Von einer CO22-Bepreisung hält er nichts: „Wir brauchen keinen Ablasshandel, sondern Investitionen in die Zukunft.“ Der 63-Jährige ist seit vier Jahren Chef der IG Metall. Anfang Oktober stellt er sich erneut zur Wahl.
Das Interview ist am 14. September im Tagesspiegel erschienen. Autor: Alfons Frese.
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