Die Industrie fährt langsam wieder hoch, richtet sich aber auf eine lange Krise ein. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann bangt vor allem um kleine und mittelgroße Unternehmen und befürchtet Übernahmen durch spekulative Investoren. Im Interview mit Stefan Schulte fordert er nun Nachbesserungen beim Kurzarbeitergeld sowie weitere Staatshilfen für die Industrie.
Jörg Hofmann: Ich befürchte, dass uns in der zweiten Welle das Thema Insolvenzen intensiv beschäftigen wird. Der Staat hat viele Unternehmen mit Liquidität versorgt, doch nun wird das knappe Eigenkapital zum Problem, etwa in der Zulieferindustrie. Es wird zusätzliche Stabilisierungsmaßnahmen brauchen, um vor allem kleine und mittlere Unternehmen zu stützen. Jetzt die Industrie hochzufahren, wird nicht gehen, wenn die Lieferketten brechen, weil viele gar nicht mehr mitkommen. Auch müssen wir einen Ausverkauf an mehr oder weniger seriöse Investoren verhindern. Das ist eine reale Befürchtung, weil es nie so billig war, Unternehmen zu kaufen.
Erstens sind Branchen betroffen, die noch nie Kurzarbeit hatten, etwa Handel und Gastronomie. Deshalb ist das Ausmaß diesmal deutlich größer. Und zweitens gehen diesmal sehr viele in Kurzarbeit Null, müssen also ganz zuhause bleiben – 2009 haben die meisten noch zu 30 bis 50 Prozent gearbeitet. Insofern haben wir diesmal ein ganz anderes Szenario. Kurzarbeit bleibt aber die wichtigste Brücke durch die Krise, wenn am anderen Ende der Brücke Land in Sicht ist.
Jene Bereiche, die nun wieder öffnen dürfen, also Handel und später auch Gastronomie, werden die Kurzarbeit schnell wieder beenden. In der Industrie fahren wir die Produktion langsam wieder hoch, müssen uns aber auf eine längere Rezession einrichten. Das bedeutet dann auch eine längere Phase mit Kurzarbeit. Für die Beschäftigten bedeutet das herbe Einbußen. Manche Branchen und einzelne Arbeitgeber stocken auf, viele nicht.
Die Einmalzahlung der Arbeitgeber von 350 Euro reicht für zwei, drei Monate, um das Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent netto aufzustocken, länger nicht. Deshalb fordern wir ja, dass die Arbeitgeber zumindest mittelfristig den Arbeitnehmeranteil der vom Staat erlassenen Sozialbeiträge an die Kurzarbeiter auszahlen. Das entspräche ziemlich genau einer Aufstockung auf 80 beziehungsweise 87 Prozent für Eltern. Kurzfristig müsste die Regierung das Kurzarbeitergeld entsprechend anheben.
Die Aufstockung könnte die Bundesagentur für Arbeit mit ihren Rücklagen von 26 Milliarden Euro durchaus stemmen. Über wen reden wir denn hier? Millionen von Facharbeitern und Angestellten, die ihr Leben lang Sozialbeiträge und Steuern gezahlt haben und nun zum ersten Mal in ihrem Berufsleben Hilfe benötigen, um nicht in existenzielle Nöte zu kommen. Ich finde, darauf sollte der Sozialstaat eine Antwort geben.
Nein, aber es würde teilweise Arbeitgeber entlasten, die bereits freiwillig aufstocken, weil sie soziale Verantwortung zeigen. Vor allem aber würde es etwa drei von vier Betroffenen in Deutschland helfen, die bisher keinerlei Aufstockung erhalten und auf 60 Prozent ihres Nettoeinkommens bei Kurzarbeit Null fallen. Wir müssen wie 2009 nicht nur die Arbeitsplätze, sondern auch die Einkommen sichern, wenn wir durch die Krise kommen wollen. Ohne privaten Konsum gibt es kein neues Wachstum.
Dafür wird entscheidend sein, europäisch koordiniert vorzugehen. Sonst bleiben die Produktions- und Lieferketten unterbrochen. Das gilt auch für den Vertrieb: Wenn nur in Deutschland die Autohäuser öffnen, hilft das der Industrie nur bedingt. Denn die Hälfte unserer Autos verkaufen wir im europäischen Ausland. Auch gehe ich davon aus, dass wenige Kunden in einer laufenden Pandemie solche Anschaffungen tätigen. Deshalb braucht es in einer zweiten Phase auch ein Konjunkturprogramm. Für die deutsche und europäische Industrie liegt dabei der Schlüssel in der Autoindustrie. Denn ohne sie kommen auch der Stahl, die Chemieindustrie und der Maschinenbau nicht aus der Krise – und mittelbar auch nicht der Handel und die Dienstleister rund um die Automobil- und Zulieferwerke.
Wir haben sehr früh auf einen bundesweit einheitlichen Gesundheitsschutz gedrungen. In der Metallindustrie hat ein Drittel der Beschäftigten ja weitergearbeitet und bereits Erfahrungen gesammelt, die nun alle nutzen können. Eine entscheidende Rolle spielen die Betriebsräte, die das kontrollieren und mit den Mitarbeitern die passenden Lösungen suchen. Das ist vor allem dort schwierig, wo die Abstände nicht eingehalten werden können, die entsprechende Schutzkleidung aber nur eine begrenzte Zeit lang zumutbar ist. Dort muss die Arbeit anders organisiert werden, etwa mit schnellen Wechseltruppen.
Bei diesem Thema ja, da haben die Bundesregierung und das Arbeitsministerium gute Arbeit geleistet. Wir haben jetzt einheitliche und verbindliche Arbeits- und Gesundheitsstandards. Zum Glück bleiben wir hier von dem föderalen Wildwuchs verschont, den wir bei anderen Fragen ertragen müssen, etwa bei den Regeln zur Wiedereröffnung im Einzelhandel.
Die Bundesregierung macht einen guten Job. Was in manchen Bundesländern für Profilierungsneurosen ausgelebt werden, kann ich nicht nachvollziehen. Das bringt weder Sicherheit noch Verlässlichkeit. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen das langfristig goutieren werden.
Das Interview ist am 22. April in der Westdeutschen Allgemeinen erschienen. Autor: Stefan Schulte.
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