20. September 2019
INTERVIEW IN DER AUGSBURGER ALLGEMEINEN
„Mich ärgert die Politik mancher Konzerne“
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann wirft Unternehmen aus der Autobranche vor, jetzt auf Entlassungen und Standortverlagerungen zu setzen, kaum dass ihnen der Wind etwas ins Gesicht bläst.

Deutschland investiert massiv in den Klimaschutz und will die E-Mobilität mit höheren Prämien für den Autokauf ankurbeln. Funktioniert das?


Jörg Hofmann: Das geht in die richtige Richtung. Wir müssen die E-Mobilität für Kunden so attraktiv machen, dass sie die Autos auch kaufen. Das gilt umso mehr, als in der Anfangszeit der E-Mobilität die Preise noch höher sind, weil es noch keine Massenproduktion gibt. Deswegen brauchen wir Kaufanreize. Das allein reicht aber nicht. Wir müssen auch die Lade- Infrastruktur parallel dazu massiv ausbauen.


Das Herz des E-Autos ist die Batterie. Sie steht für ein hohes Maß an Wertschöpfung. Müssen sich Firmen hierzulande nicht viel stärker auf dem Gebiet engagieren?

Aufgabe ist es, was die Herstellung der Batteriezellen betrifft, sich aus der Abhängigkeit der asiatischen Hersteller zu befreien. Sonst sind wir weiter, was dieses knappe Gut betrifft, dem Preisdiktat eines Oligopols aus Fernost ausgesetzt. Kostengünstige E-Mobilität gibt es nur dann, wenn wir in Europa in der Lage sind, alle Teile eines Elektroautos zu fertigen, also auch die Batterien.

Die Forschungsfabrik für die Produktion von Batteriezellen entsteht ja zum Entsetzen der Autohochburgen Bayern und Baden-Württemberg in Münster.

Wir brauchen insgesamt mehr private Investitionen und öffentliche Förderung. Auch im Süden. Nach einem großen Tamtam zu Beginn droht diese Diskussion um Förderprojekte aus dem EU-Topf gerade in einem Bermudadreieck zu versinken. Es muss uns vor allem um die Industrialisierung der Batteriezelle für die geforderten großen Stückzahlen gehen. Forschungsfabriken sind auch wichtig, aber hier ist nicht der eigentliche Engpass. Der Süden muss sich dabei auch selbst bewegen.


Was sind Ihre Forderungen an Bayerns Ministerpräsident Söder?

Der Süden und damit auch Herr Söder müssen dazu beitragen, dass der grüne Windkraftstrom aus dem Norden in den Süden über entsprechende Netze weitergeleitet werden kann. Wenn der Strom nicht in großen Mengen aus Nord- nach Süddeutschland transportiert wird, besteht die Gefahr, dass beispielsweise die Batteriezellen-Produktion nach Osteuropa abwandert. Das wäre bitter für das Klima, aber auch für Deutschland, weil sich in der Batteriezelle Innovationskraft und Wertschöpfung der Autoindustrie künftig bündeln werden.


Teilen Sie die Sorgen vieler Betriebsräte aus der Autobranche, dass der Wirtschaftszweig in Sachen „Klimaschutz“ überfordert wird?

Alle früheren Versuche, die Branche mit freiwilligen Verpflichtungen zur CO 2-Reduzierung zu bewegen, sind gescheitert. Deswegen geht die EU den richtigen Weg, die Autobauer zu verpflichten, den CO 2-Ausstoß ihrer Fahrzeugflotten deutlich zu verringern.


Klappt das?

Die Autohersteller können das schaffen. Sie haben und werden ausreichend attraktive E-Fahrzeuge auf den Markt bringen. Doch das reicht nicht. Wenn im Jahr 2030 sieben bis zehn Millionen E-Autos in Deutschland fahren sollen, müssen Ladesäulen und Energiespeicher in großer Menge gebaut werden. Das muss aber flott geschehen. Wenn die E-Wende nicht gelingt, muss Deutschland bis 2030 Milliarden-Strafzahlungen an die EU leisten.


Muss der Staat, um die Klimawende zu schaffen, die Politik der „Schwarzen Null“ aufgeben?

Wann, wenn nicht jetzt, muss diese Politik der ,Schwarzen Null‘ aufgegeben werden? Denn mit den Milliarden, die Deutschland für den Klimaschutz investiert, spart sich das Land später von Brüssel verhängte Strafgelder. Und dank der Niedrigzinspolitik der EZB ist es günstig, sich für den Klimaschutz zu verschulden.


Wie lässt sich der Schwenk in der Klimapolitik für Beschäftigung sozial gestalten? Durch die E-Mobilität droht ein massiver Arbeitsplatzabbau.

Wer, wenn nicht Deutschland und seine innovative Industrie und qualifizierten Beschäftigten, ist in der Lage, den Klimawandel ohne einen Verlust an Wachstum und Beschäftigung hinzubekommen? Wir sind zum Erfolg verdammt für eine soziale und ökologische Wende. Auch wenn Deutschland nur für rund zwei Prozent des weltweiten CO 2-Ausstoßes verantwortlich ist. Wenn wir nicht hinbekommen, dass Klimaschutz, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit vereinbar sind, wird sich das negativ auf das Klimaengagement anderer Länder auswirken. Dann wird das globale Klimaschutzziel nicht erreichbar sein.


Wie viele Jobs gehen also verloren?

Gerade in der Autobranche wird es massive Umstrukturierungen geben, die mit Arbeitsplatzverlusten einhergehen. Wir als Gewerkschaft schützen in diesem Umbauprozess die Beschäftigten, wir können aber nicht jeden einzelnen Arbeitsplatz retten. Wir kämpfen dafür, dass die Beschäftigten auch in zehn Jahren eine Job-Perspektive haben. Dazu müssen die Unternehmen neue Arbeitsplätze für Stellen schaffen, die in der Verbrennertechnologie verloren gehen.


Fallen mehr als 100 000 Jobs weg?

Aus einer von uns angestoßenen Studie des Fraunhofer IAO geht hervor, dass insgesamt unmittelbar 120 000 Arbeitsplätze wegfallen. Nach einer anderen Studie, die auch die indirekten Effekte auf den Maschinenbau einbezieht, ist von 150 000 Jobs, die auf der Kippe stehen, die Rede. Wenn es uns aber gelingt, auch in Deutschland in größerem Maße Komponenten für Elektroautos wie Batteriezellen zu bauen, wird dieser Rückgang geringer ausfallen. Und es entstehen neue Jobs auch durch das autonome Fahren und neue Mobilitätskonzepte. Was uns entgegenkommt, ist die demografische Entwicklung.
Diese ist aber ein süßes Gift.


Süßes Gift? Was meinen Sie damit?

Die geburtenstarken Jahrgänge gehen absehbar in Rente. Durch diesen Effekt können die Firmen leichter Stellen, die durch den Übergang vom Verbrenner auf E-Mobilität nicht mehr gebraucht werden, abbauen. Wenn es gut läuft, müssen sie daher keine Mitarbeiter entlassen. Dadurch sinkt aber insgesamt die Beschäftigung in der Autoindustrie. Und das beschädigt die Wirtschaftskraft in den Autoregionen Deutschlands.


Wie kann man dem entgegenwirken?

Indem die Autoindustrie neue attraktive Arbeitsplätze in den angesprochenen neuen Geschäftsfeldern schafft. Zentral wird sein, Mitarbeiter, die heute noch an Verbrennungsmotoren arbeiten, für die neuen Produkte und Dienstleistungen zu qualifizieren. Auf alle Fälle darf die Industrie den Wandel nicht nutzen, um sich vom Standort Deutschland zu verabschieden und zum Beispiel Komponenten für Elektroautos in Osteuropa zu bauen.


Ist diese Gefahr groß?

Ja, es gibt schon Unternehmen, die sich mit solchen Plänen beschäftigen. Hier ist auch die Bundesregierung gefordert. Sie kann zwar nicht die Firmen daran hindern, Arbeitsplätze nach Osteuropa zu verlagern, aber sie kann durch eine kluge Förderpolitik für gute Standortvoraussetzungen sorgen. Etwa: Viele mittlere und kleinere Unternehmen der Autobranche haben momentan, auch wegen zu strenger Auflagen, Probleme, Kredite zu bekommen. Hier besteht die Gefahr, dass solche Firmen dann in Umbruchzeiten aufgeben, was gerade für ländliche Regionen, wo diese Betriebe oft wichtige Arbeitgeber sind, gefährlich ist. So könnte auf Dauer unser Zuliefernetzwerk in Deutschland Schaden nehmen.


Sie fordern ein Transformations- Kurzarbeitergeld. Was wollen Sie damit bewirken?

Dass durch den Wandel vom Verbrenner hin zu Elektroautos Arbeitslosigkeit vermieden wird. Mit diesem neuen Instrument kann Kurzarbeit genutzt werden, um die Beschäftigten für Tätigkeiten an neuen Produkten und Dienstleistungen zu qualifizieren. Wir müssen Brücken bauen in eine Zukunft, in der sich die Mobilität ändern wird. Damit verhindern wir, dass Beschäftigte unter die Räder kommen. Ich bin froh, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hier handeln will.


Brauchen wir eine massive Bildungsoffensive für Deutschland?

Ja, wir müssen im Zuge der wirtschaftlichen Umbruchprozesse durch den Klimawandel nicht nur in Maschinen, sondern massiv auch in Menschen investieren.


Zumal die Konjunktur für die Autobranche deutlich schlechter wird. Wie gefährlich ist die Situation?

Auf den Weltmärkten sehen wir einen Rückgang der Autonachfrage um fünf Prozent. Das geht vor allem auf die Handelspolitik Trumps, den Handelskrieg mit China und die Unsicherheit durch den Brexit zurück. Die Lage ist in keiner Weise so prekär wie 2009 als Folge der Finanzmarktkrise. Im Moment erleben wir eine Delle. Noch ist unklar, ob sich die Lage wieder beruhigt oder ob wir in eine Konjunkturkrise hineinschlittern.


Wie reagieren die Autofirmen?

Was mich grenzenlos ärgert, ist die Politik mancher Konzerne, jetzt auf Entlassungen und Standortverlagerungen zu setzen. Kaum bläst den Unternehmen der Wind mal etwas ins Gesicht und der Rückenwind der vergangenen Jahre bleibt aus, greifen sie auf solche Methoden zurück. Diese Arbeitgeber wollen ihre hohen Renditen um jeden Preis halten, an die sie sich offensichtlich zu sehr gewöhnt haben. Sie nutzen die konjunkturelle Delle, um strukturelle Probleme durch die Transformation in der Branche zu lösen. Wir dagegen wollen, dass die Menschen bei diesem tief greifenden Veränderungsprozess mitgenommen werden.


Die Sache scheint Sie sehr zur ärgern.

Ja, es ist doch kein Drama, wenn die Margen mal etwas nach unten gehen. Sie rutschen ja nicht ins Negative ab. Die Margen sind halt nicht mehr zweistellig, sondern nur noch gut einstellig. Das als Begründung für Entlassungen und Arbeitsplatzverlagerungen nach Osteuropa anzuführen, ist unverfroren. Es ärgert mich sehr, dass manche Unternehmen offensichtlich nur den Profit im Kopf haben, anstatt Verantwortung für den Wandel zu zeigen. So fällt es uns als Arbeitnehmervertreter schwer, den Mitarbeitern zu erklären, dass Klimaschutz und Beschäftigung keine Gegensätze sind und dass der Wandel auch große Chancen bietet.


Droht allein durch konjunkturelle Verwerfungen ein Arbeitsplatzabbau in der Autoindustrie?

Im Moment nicht. Wenn sich der amerikanisch-chinesische Handelskrieg weiter verschärft, kann das jedoch irgendwann die Weltkonjunktur deutlich nach unten ziehen. Es ist zu früh, heute von einer Rezession zu sprechen, die den Arbeitsmarkt nach unten ziehen würde. Wir haben neun Jahre einer ständigen Aufwärtsentwicklung hinter uns. Jetzt kommt die Konjunktur ins Stottern. Ich warne davor, jetzt zu übertreiben und zu pessimistisch zu sein. Gleichzeitig müssen wir uns auch auf einen Abschwung vorbereiten. Dabei steht die Stabilität der Beschäftigung statt Entlassungen im Vordergrund, etwa durch Nutzung der Kurzarbeit.

Das Interview ist am 20. September in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erschienen. Autor: Stefan Stahl.

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