2. März 2019
Interview in der Leipziger Volkszeitung
„Nicht nur beim Thema Batterien wird der Schwarze Peter hin- und hergeschoben“
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zu Chancen und Gefahren der E-Mobilität, Wegfall von Jobs und Dieseltechnik

Der Umstieg auf die E-Mobilität könnte misslingen, weil die Batterien zu teuer sind, Ladesäulen fehlen und die Stromnetze mangelhaft ausgebaut sind. Davor warnt im LVZ-Interview Jörg Hofmann, Chef der IG Metall. Für Werke wie das von VW in Zwickau, das ganz auf die neue Technik umgerüstet wird, könnte es dann „eng“ werden. Einmal abgebaute Arbeitsplätze, zeigt sich Hofmann besorgt, kämen nicht wieder zurück. 


Die IG Metall befürchtet Arbeitsplatzverlust durch die Digitalisierung. Aber laut einer Studie benötigt Deutschland massive Zuwanderung, weil sonst Arbeitsplätze nicht besetzt werden können – wie passt das zusammen?

Jörg Hofmann: Zuwanderung kann unter dem Aspekt der Nachfrage auf den Arbeitsmärkten diskutiert werden. Derzeit fehlen in Deutschland Fachkräfte vor allem in den sozialen Dienstleistungen, in Teilen des Handwerks, aber auch bei Spezialisten etwa für Big Data, andererseits wird durch die Digitalisierung und die Umstellung von Verbrennungs- auf Elektromotoren Beschäftigung wegfallen und andere Qualifikationen sind gefragt. 


Das Fraunhofer-Institut hat errechnet, dass bis 2030 durch die Entwicklung zum E-Auto bis zu 100.000 der rund 840.000 Jobs in der Autoindustrie in Deutschland bedroht sind ...

Grundlage dafür sind Daten von 2016. Heute rechnen wir mit einem höheren Beschäftigungsabbau. Die Absenkung der Flottenwerte bei CO2-Emissionen bis 2030 um 37,5 Prozent, wie sie die EU im Dezember beschlossen hat, lässt sich nur realisieren, wenn bis dahin die Hälfte der Neuwagen elektrisch angetrieben wird. Für Elektromotoren werden aber weniger Komponenten gebraucht als für Verbrennungsmotoren. Daher gehen wir davon aus, dass durch die neuen Grenzwerte rund 160 000 Arbeitsplätze wegfallen werden. Und bei den 160 000 bleibt es auch nur, wenn die für die E-Autos erforderlichen Komponenten in Deutschland gefertigt werden. Da könnte es für viele Zulieferer eng werden.


An wen denken Sie dabei?

An Betriebe, die als Zulieferer einseitig auf Verbrennungsantriebe ausgerichtet sind und weder Ideen noch Kapital für neue Geschäftsmodelle haben.


Was droht im schlimmsten Fall?

Das Worst-Case-Szenario wäre, dass wir auf Elektromobilität setzen, aber diese Technik sich nicht so durchsetzt wie erhofft.


Weil die Hersteller in Deutschland die Entwicklung verschlafen haben?

Das stimmt nur teilweise. Niemand produziert für einen Markt, der nicht da ist. Was ich den Herstellern ankreide ist, dass es etwa an Elektro-Bussen fehlt. Würden in den Städten ausschließlich solche Busse fahren, wäre die Luft sauberer. Auch die Paketdienste würde ich verpflichten, elektrisch zu fahren. Aber da fehlen ebenso die Angebote. Das ist den Herstellern anzulasten. Die Diskussion um Fahrverbote wäre dann heute eine andere.


Und wie schaut es bei den Pkw aus?

Ich gehe davon aus, dass die deutschen Hersteller in den nächsten zwei bis drei Jahren eine Palette attraktiver Fahrzeuge auf dem Markt haben werden. Das müssen sie auch, sonst erfüllen sie die Vorgaben der Politik nicht, was die Einsparung von CO2-Emissionen betrifft. Aber ihr Engagement ist erst einmal ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft.


Weil keiner weiß, wie sich die Preise für die Batterien entwickeln?

Das ist ein Punkt. Wir erleben gerade, dass die Nachfrage nach Batterien weltweit steigt. Damit klettern auch die Preise. Deutschland hängt momentan noch am Angelhaken asiatischer Hersteller, die sich zeitig die Rohstoffversorgung gesichert haben. Eine europäische Batterieherstellung ist überfällig. Aber mehr als Ankündigungen gibt es noch nicht.


In der Lausitz ist man in Sorge wegen des geplanten Kohleausstiegs und hofft auf den Bau einer Batteriefabrik. Sind das realistische Hoffnungen?

Unrealistisch ist das nicht. Die Braunkohleregionen brauchen neue Industriearbeitsplätze, damit die Menschen dort eine Zukunft haben. Aber solche Investitionen müssen eingebettet werden in eine kluge Industrie- und Strukturpolitik. Investitionen, Förderprogramme und die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen müssen aufeinander abgestimmt sein. Alle regionalen Akteure sollten sich an einen Tisch setzen. Ich hoffe, dass die Gelder von den Ministerpräsidenten richtig eingesetzt werden. Wir als Gewerkschaft werden genau hinschauen, dass die Politik nicht den Blick auf das Wesentliche verliert.


Glauben Sie, dass es der Politik gelingt, einen Hersteller zum Bau einer Batteriefabrik in der Lausitz zu bewegen?

Wichtig bei der Herstellung von Batterien ist preiswerte Energie. Da kann Politik etwas tun.


Sie sagen, nicht nur beim Thema Batterien klemmt es. Wo noch?

Alle reden über Klimaschutzziele, aber keiner traut sich aktuell aus der Deckung und übernimmt Verantwortung für die Umsetzung. Nicht nur beim Thema Batterien wird der schwarze Peter zwischen Politik und Industrie hin und hergeschoben. Auch beim Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur erklärt sich keiner für zuständig. Dabei sprechen wir nicht von einem Zeitfenster von 30 oder 40 Jahren, sondern es geht um elf Jahre, bis die EU-Ziele erreicht sein müssen.


Was muss geschehen?

Der Staat muss hier die Verantwortung übernehmen. Wenn dieser Wandel rein marktwirtschaftlich abläuft, dann wird es möglicherweise in den Städten ausreichend Ladesäulen geben, aber nicht in der Fläche. Und das ist nur eines der Probleme. Ein anderes ist das Stromnetz. Nehmen wir an, in einer Stadt wie Leipzig sind 20 oder mehr Prozent der Fahrzeuge elektrisch unterwegs. Wenn alle gleichzeitig an der Steckdose hängen, kollabiert das Netz. Wir brauchen bessere Netze mit intelligenter Steuerung. Gesprochen wird darüber schon lange, mitunter laut, engagiert und meist kontrovers. Aber auf den Weg gebracht ist wenig, auf das man aufbauen könnte. Und dies zum Leid der Autofahrer und der Beschäftigten in den Autofabriken.


Haben Sie Verständnis für die vielen Dieselfahrer, die sich verschaukelt fühlen durch die Abgas-Schummelei, durch Fahrverbote und den Wertverlust ihrer Fahrzeuge?

Natürlich. Viele unserer Mitglieder pendeln zur Arbeit, sind Fahrer von Diesel-Autos. Sie trifft es genauso wie all die anderen, deren Fahrzeugefast über Nacht an Wert verloren haben. Und keiner sagt ihnen, wie es weitergehen soll, ob weitere Fahrverbote drohen, ob es Übergangsregelungen gibt. Und das hat absurde Folgen: Weil beim Diesel die Verkäufe eingebrochen sind und mehr Benziner gekauft werden, steigen die CO2-Emissionen bei Neufahrzeugen. Da haben wir an einer Stelle was gewonnen, an der anderen verloren. Wir brauchen endlich Lösungen für die Hardware- oder Software-Nachrüstung. Industrie und Staat müssen sich da über einen Kostenschlüssel einigen.


Der Diesel ist für Sie nicht tot?

Ja er wird irgendwann aussterben. Aber wir brauchen den sauberen Diesel als Übergangstechnologie auch im Pkw. Für Nutzfahrzeuge zum Transport von Gütern auf großen Strecken oder im Bausektor ist die elektrisch getriebene Technik, die wir heute zur Verfügung haben, beispielsweise noch nicht tauglich.


Vieles, was die E-Mobilität betrifft, steht noch in den Sternen. Was passiert mit einem Werk wie dem von Volkswagen in Zwickau, wenn es komplett auf E-Fahrzeug-Produktion umgestellt ist, die Nachfrage aber ausbleibt?

Wenn die Kunden in Europa nicht elektrisch fahren, die Antriebssysteme aber umgestellt sind, wird es eng. Deshalb schlagen wir als IG Metall Alarm, dass die Politik im Zusammenspiel mit der Industrie endlich in die Puschen kommt. Ich habe in all den Jahren, die ich Gewerkschafter bin, noch nicht erlebt, dass ein abgebauter Arbeitsplatz wieder zurückgekommen ist. Schon daher haben wir ein großes Interesse daran, dass die Mobilitätswende gelingt.


Das Interview ist am 2. März 2019 in der Leipziger Volkszeitung erschienen. Autor: Andreas Dunte.


Zukunft der Arbeit - Digitalisierung

    Neu auf igmetall.de

    Link zum Artikel