Frankfurt am Main - Jörg Hofmann ist Chef der mächtigsten Gewerkschaft Deutschlands, viele sagen der Welt. Er sitzt im 15. Stock des Gewerkschaftstowers in Frankfurt, mit Blick auf den Main und Banken-Hochhäuser. Der 64- Jährige schiebt in Corona-Zeiten Gästen lächelnd vorsichtig seine ausgestreckte rechte Faust entgegen, für einen Arbeiterführer eine vertraute Geste.
Reden ist das tägliche Geschäft eines Gewerkschafters. Er muss nah an den Menschen sein. Doch in Pandemie-Zeiten ist Distanz Pflicht. So sagt der aus Baden-Württemberg stammende Arbeitnehmervertreter zur Frage, ob er seinem Widerpart auf Arbeitgeberseite, Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger, noch die Hand gebe, mit einem Grinsen: „Ich habe gerade mit ihm telefoniert.“ Für Hofmann erweist es sich im Nachhinein als Glücksfall, dass er in diesem Jahr die Tarifrunde anders gestalten will, also ohne Warnstreiks auszukommen hofft. Der IG-Metall-Chef hat der Unternehmerseite ein Moratorium für fairen Wandel in der Metall- und Elektroindustrie angeboten. Er geht also ohne konkrete Lohnforderung in die Tarifrunde, „aber mit der Aufforderung an die Arbeitgeber, mit uns ein Zukunftspaket zu verhandeln, was den Beschäftigten Perspektive auf sichere Arbeit gibt“.
Dazu gehöre auch, dass die Entgelte sich so entwickeln, dass die Kaufkraft gestärkt wird. Der Diplom-Ökonom ist überzeugt: „Der jetzt eingeschlagene Weg in der Tarifrunde erweist sich gerade in Corona-Zeiten als richtig.“ Themen wie „Kurzarbeit“ haben durch die wirtschaftlichen Folgen des Virus enorm an Aktualität gewonnen. Eigentlich müsste der Gewerkschafter zufrieden sein, will doch auch die Bundesregierung das Instrument der Kurzarbeit ausweiten, um Massenentlassungen als Folge der Pandemie zu verhindern. So sagt der IG-Metall-Chef im Gespräch mit unserer Redaktion auch: „Der Koalitionsausschuss hat am vergangenen Wochenende richtige Signale gesetzt.“
Nun folgt aber sein großes „Aber“. Hofmann „fehlt dabei noch die soziale Balance“. Um das zu begründen, zieht er einen Vergleich mit der Finanzmarktkrise der Jahre 2008 und 2009, als die damalige Bundesregierung ebenfalls stark auf Kurzarbeit gesetzt hat. Aus Sicht des Gewerkschafters war die einstige Regelung weitaus vorteilhafter für die Beschäftigten, was auch daran gelegen habe, dass im Gegensatz zur aktuellen Krise die Sozialpartner, also Arbeitgeber und Gewerkschaften, einbezogen worden seien. Doch heute gebe es, wie Hofmann bemängelt, eine Schieflage: „Nach dem Beschluss des Koalitionsausschusses werden die Arbeitgeber durch die komplette Erstattung der Sozialabgaben zwar entlastet, viele Arbeitnehmer müssen aber für den Fall von Produktionsausfällen und Kurzarbeit damit rechnen, 40 Prozent ihres Nettolohns zu verlieren.“ Das sei konjunkturpolitisches Harakiri. Zur Begründung sagte der IG-Metall-Chef:„Denn es ist derzeit auch in Corona-Zeiten der private Konsum, der unsere Konjunktur stützt und noch einigermaßen stabil hält.“ Hofmann forderte also vor den am heutigen Freitag stattfindenden Gesprächen der Sozialpartner mit der Bundesregierung Nachbesserungen ein: „Die Arbeitgeber müssen ihren Anteil erbringen.“ Der Gewerkschafter erinnert an das Jahr 2009: „Damals haben wir uns zusammengesetzt, flexibles Handeln erleichtert und durch Zuschüsse der Arbeitgeber zum Kurzarbeitergeld bewirkt, dass die betroffenen Beschäftigten nicht 40, sondern nur – je nach tariflicher Regelung – fünf bis 15 Prozent ihres Nettoeinkommens verloren haben.“ Bei 40 Prozent Verlust hätten sie gerade mal die Miete gezahlt und es bleibe nichts übrig.
Hofmann warnte Bundesregierung und Arbeitgeber vor den Folgen der bisherigen Kurzarbeitsregelung: Wenn Beschäftigte auch noch befürchten müssten, dass ihre Einkommen deutlich einbrechen, sei die Verunsicherung perfekt. Dabei fragen sich viele Arbeitnehmer, wie es angesichts der Corona-Krise wirtschaftlich weitergeht. Droht eine Rezession? Hofmann ist der Meinung: „Wenn infolge des Virus aber der private Konsum als entscheidender Faktor für die noch vorhandene konjunkturelle Stabilität einbräche, dann würde eine hohe Rezessionsgefahr bestehen.“
Die Metall-Arbeitgeber in Bayern argumentieren schon, es gäbe in der Tarifrunde keinen wirklichen Verteilungs-spielraum. Die Unternehmensvertreter könnten der Versuchung erliegen, einen Corona-Rabatt durchzusetzen. Der IG-Metall-Chef sieht durchaus diese Möglichkeit: „Es ist offensichtlich, dass auf Arbeitgeberseite die Lust auf einen solchen Corona-Rabatt gewachsen ist.“ Er fügte aber hinzu: „Meine Haltung ist klar: Mit der IG Metall gibt es keinen Corona-Abschluss.“ Das wäre nicht gerechtfertigt. Gerade in der jetzigen Situation seien stabile Einkommen notwendig.
Die Frage, wie hoch ein Lohnabschluss auch in einem Ausnahmejahr wie 2020 ausfallen sollte, dürfte für reichlich Konfliktstoff zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern führen. Was passiert, wenn bis Ende der Friedenspflicht am 28. April keine Lösung gefunden wird? Dann könnte es zu Streiks kommen. So einfach wird das sicherlich nicht, Beschäftigte in großer Zahl zu bewegen, ihre Interessen in der Tarifrunde öffentlich zu bekunden. Corona und Warnstreiks klassischer Prägung – das passt nicht zusammen. Streikt dann jeder Mitarbeiter für sich zu Hause im Homeoffice? Hofmann lacht und sagt: „Das ist eine interessante Idee.“ Weiter lässt er sich nicht in die Karten schauen. Der Gewerkschafter bleibt Optimist: „Wir wollen das dieses Mal anders hinbekommen.“ Dabei stehen Arbeitgeber wie Gewerkschaften der Metallindustrie abgesehen von Corona vor der Herausforderung, die Umwälzungen durch die Elektrifizierung und Digitalisierung gerade in der Autobranche zu bewältigen. Hofmann warnt hier: „Wir haben bereits massive Einschläge zu verzeichnen. Manche Unternehmen schließen Standorte in Deutschland, um sie in Billiglohn-Länder zu verlagern. Das ist die Motivlage nicht nur bei Continental.“
Solche Konzerne nutzten die Lage gerade massiv aus. Der Gewerkschafter ist alarmiert: „Wir müssen aufpassen, dass Unternehmen, die von staatlichen Förderungen für die Elektromobilität profitieren, nicht gleichzeitig Standorte schließen und neue Produkte außerhalb Europas produzieren.“ Hofmann hat die allein in den vergangenen drei Monaten angekündigten Personalabbau-Maßnahmen zusammengezählt. Er kommt so auf rund 200 000 Industrie-Arbeitsplätze, die in Deutschland wegfallen sollen.
Das Interview ist am 13. März 2020 in der Augsburger Allgemeinen erschienen. Autor: Stefan Stahl
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