Die Bundesregierung hat weitere Milliardenhilfen für die Autoindustrie beschlossen. Ob das reicht und wann Benziner und Diesel ausgedient haben – darüber sprachen IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit unserer Redaktion.
Hofmann: Leider nicht – allein in der Autoindustrie haben wir seit letztem Jahr 30.000 Arbeitsplätze verloren, in der gesamten Metall- und Elektroindustrie rund 100.000. Dabei noch nicht mitgerechnet sind die rund 50.000 Leiharbeiter, die gehen mussten. Ohne die Kurzarbeit wäre es noch viel dramatischer ausgefallen. Die Situation ist nach wie vor extrem angespannt.
Heil: Wir stecken in der tiefsten Krise unserer Generation. Unser Flaggschiff, die Autoindustrie, war schon vor Corona in rauer See. Mit der Pandemie, der Konjunktur- und der Strukturkrise kommen drei Herausforderungen zusammen, die wir gemeinsam bewältigen müssen. Es geht darum, die aktuelle Krise zu überwinden und gleichzeitig digitaler und ökologischer zu werden. Dafür braucht es die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat. Mit der Kurzarbeit bauen wir eine Brücke über dieses tiefe wirtschaftliche Tal und retten Millionen Arbeitsplätze. Ich kann nicht für jeden Arbeitsplatz garantieren, aber wir kämpfen hart um jeden Arbeitsplatz.
Hofmann: In Teilen des Maschinenbaus fängt Kurzarbeit jetzt erst richtig an, weil die Branche bislang noch alte Aufträge abgearbeitet hat. Deshalb ist die Verlängerung extrem wichtig. Doch natürlich stößt Kurzarbeit an Grenzen. Deshalb kämpfen wir in der anstehenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie für die Vier-Tage-Woche. Sie soll nicht Kurzarbeit ersetzen, sondern sie ist eine Antwort auf die langfristigen Veränderungen unserer Industrie durch die Digitalisierung und die Dekarbonisierung.
Hofmann: Gut ist, dass diesmal die Zulieferer in den Mittelpunkt gerückt werden. Denn ob die Transformation unserer Industrie weg vom Verbrenner gelingt, entscheidet sich in den Regionen, in denen viele Zuliefer-Betriebe vom Verbrenner abhängen. Der Zukunftsfonds für die regionalen Initiativen und die Weiterbildungsverbünde können helfen, den Umbau aktiv anzugehen.
Heil: Die Automobilindustrie ist Deutschlands Schlüsselindustrie. Das ist heute so und das soll auch übermorgen noch so sein. 70 Prozent der Wertschöpfung und die meisten Arbeitsplätze liegen bei den Zulieferern. Die Prämien helfen der gesamten Wertschöpfungskette und damit auch den Zulieferern. Zudem stehen im Konjunkturpaket Mittel für Forschung und Entwicklung bereit. Und die Weiterbildungsverbünde helfen bei der Qualifizierung, sie lassen sich sehr schnell umsetzen, bis Ende des Jahres können wir entscheiden, welche Regionen teilnehmen.
Hofmann: Ob das Geld reicht, weiß keiner. Jetzt muss es endlich darum gehen, die Beschlüsse schnell in die Praxis umzusetzen. Ich habe vorgeschlagen, in zwei, drei Regionen mit vielen Zulieferern anzufangen, bei denen die Konzentration auf den Verbrenner besonders stark ist. Wir dürfen jetzt nicht auf jede Förderrichtlinie warten. Von uns aus können wir morgen anfangen.
Heil: Um nur drei Beispiele zu nennen: Das Saarland ist eine Region, die sehr stark von der Automobilindustrie geprägt ist, insbesondere von Zulieferern für Verbrennungsmotoren. Auch meine Heimatregion in Niedersachsen mit Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter ist so ein Cluster. Und auch in Südwestfalen ist eine der stärksten Automotive-Zulieferer-Regionen Deutschlands, mit mehr als 350 überwiegend mittelständischen Unternehmen in diesem Bereich. Solchen Regionen wollen wir dabei helfen, den Strukturwandel zu meistern.
Hofmann: Ja. Gefördert werden Hybride mit einem positiven Beschäftigungseffekt und vollelektrische Fahrzeuge mit einem negativen. Deshalb geht es darum, neue Wertschöpfung zu schaffen, etwa in der Batteriezellfertigung. Auch in der Kreislaufwirtschaft ist viel Musik drin, also bei der Zweit- und Drittverwertung der Batterien. Das schafft neue Arbeitsplätze. Wir müssen den Beschäftigten vor Ort, die am Verbrenner schrauben, Perspektiven geben, wie sie auch übermorgen noch gute Arbeit haben.
Hofmann: Bei dem, was zur Zeit als Abgasnorm 7 diskutiert wird, wären der technische Aufwand und die Kosten enorm hoch. Das würde ein noch schnelleres Aus für den Verbrenner bedeuten. Ich hielte das für unverantwortlich, solange wir beispielsweise gar nicht die Infrastruktur für den Umstieg haben. Die Ausbaugeschwindigkeit bei Ladesäulen müsste mehr als verzehnfacht werden, wenn 15 Millionen Elektroautos im Jahr 2030 auf unseren Straßen fahren sollen.
Hofmann: Ich gebe Ihnen Recht, dass die Autoindustrie viel zu lange getrieben werden musste und freiwillige Zusagen zu nichts geführt haben. Deshalb brauchen wir eine anspruchsvolle Regulierung Richtung Klimaschutz – durch diese darf es jedoch nicht zu dramatischen industriellen Brüchen kommen.
Heil: Ehrgeizige Klimaschutzziele sind wichtig und richtig. Wir erreichen sie nur mit Innovation, Infrastruktur und Investitionen. Nicht nur die Ladesäulen müssen massiv ausgebaut werden, sondern auch die erneuerbaren Energien und die Netze. Es nützt ja nichts, wenn Elektroautos mit Kohlestrom fahren. Nur hehre Ziele und Ausstiegsdaten zu verbreiten, halte ich nicht für richtig. Ich weiß aus meiner niedersächsischen Heimat, was Strukturwandel bedeutet für eine Region und ihre Menschen. Wir stehen mit guter Industriepolitik an der Seite der Beschäftigten und Regionen.
Hofmann: Ich halte nichts davon, ein konkretes Datum zu nennen. Die Frage ist doch: Wann haben wir genügend grünen Strom, wann genügend Batteriezellen und wann genügend Ladesäulen? Daran entscheidet sich der Zeitpunkt für einen erfolgreichen Umstieg.
Heil: Ich teile die Kritik, dass in den Spitzen der großen Konzerne viel verschlafen wurde. Aber ich habe auch das Gefühl, dass die meisten aufgewacht sind und merken: Die Gesellschaft und der Staat meinen es ernst mit dem Klimaschutz. Aber ich lasse den Vorwurf, wir würden Konzerne päppeln, nicht gelten. Ich denke nicht an Konzernlenker, sondern an Millionen Beschäftigte, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Vor allem in der Zulieferindustrie. Ich kämpfe dafür, dass wir als Industrieland ökologischer und moderner werden. Wenn wir bei der Deindustrialisierung zugucken würden, kämen wir in eine Situation wie Großbritannien, das keine nennenswerte industrielle Wertschöpfung mehr hat und abhängig von den Finanzmärkten ist.
Das Doppelinterview ist am 23. November 2020 in der Westdeutschen Allgemeinen erschienen. Autor: Stefan Schulte
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