Frankfurt am Main – Das neue Paket der EU Kommission zur Klimapolitik bedeutet einen enormen Anpassungsdruck für die Industrie und die europäischen Gesellschaften insgesamt. Die Kommission unternimmt den Versuch, nun endlich über die wohlfeilen Zieldebatten hinwegzukommen und die 55% mit Maßnahmen zu hinterlegen. Dieser Versuch ist zu würdigen. Denn der sozialökologische Umbau unserer Wirtschaft ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit. Es ist richtig und notwendig, jetzt alle Kräfte auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens zu richten.
Ob die Vorschläge der Kommission schon in allen Punkten das Maß aller Dinge sind, ist allerdings fraglich. Das Paket ist der Anfang der Debatte und eines Verhandlungsprozesses über den richtigen Weg. Wir sehen Licht und Schatten.
Die Verknappung der Zertifikate im Emissionshandel für Industrie und Energie ist eine große Herausforderung für alle teilnehmenden Unternehmen. Doch das Instrument hat in den vergangenen Jahren zunehmend gut funktioniert und Anreize gesetzt. Höhere Anstrengungen scheinen hier angemessen und im Zeitverlauf auch machbar. Hier muss aber in jede Branche genau hingeschaut werden. Insbesondere die Stahlindustrie ist weiter auf die freie Zuteilung von Zertifikaten angewiesen. Der im Vergleich zu vorab diskutierten Zahlen relativ langsame Pfad der Abschmelzung ist daher zu begrüßen.
Ebenfalls zu begrüßen ist der Vorschlag eines CO2-Grenzausgleiches für Importprodukte bei Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel und Strom. Zusammen mit der freien Zuteilung, die entgegen vorheriger Befürchtungen nicht von heute auf Morgen ersetzt wird, kann dies die Grundstoffindustrien vor Carbon-Leakage und Öko-Dumping schützen. Auch der aufgestockte Innovationsfonds im ETS für Maßnahmen wie CO2-Differenzverträge hat Potential. Ohne diese Schutzmaßnahmen und ohne einen Transformationsfonds von 10 Mrd. € bis 2030 kann die Stahlindustrie den Übergang in die CO2 freie Stahlproduktion nicht schaffen, und dieser stellt industrieseitig das größte Potential der CO2 Vermeidung überhaupt dar.
Kritisch sehen wir den neuen zusätzlichen europäischen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr. Befürchtet werden muss, dass dies zu höheren Kosten für Mobilität und Energie führt. Mieter*innen, Pendler*innen, kleine Gewerbetreibende und viele Verbraucher*innen werden höhere Energie- und Mobilitätskosten erleben, ohne kurzfristig eine echte Chance zu haben, auf Alternativen auszuweichen. Das Instrument ist außerdem enorm kompliziert, zeitaufwendig und seine Lenkungswirkung ist fragwürdig. Der Sozialfonds, der das Projekt begleiten soll, scheint unausgegoren, unzureichend und schlecht steuerbar. Er ist viel zu mager ausgestattet für all das, was mit ihm versprochen wird. Der Vorschlag der Kommission sollte hier nicht das letzte Wort bleiben.
Das faktische Verbot für Verbrennungsmotoren 2035 durch die Nullemissionspflicht in den Flottengrenzwerten ist unnötig. Es unterschätzt die Bedeutung, die die Verbrennungstechnologie im Übergang noch haben kann. Es ist unklug, auf diesem Wege die Tür für die Hybridtechnologie und für eine mögliche Beimischung klimaneutraler Kraftstoffe jetzt bereits komplett zuzuschlagen. Die Verschärfung der Flottengrenzwerte für die Automobilindustrie kommt generell verfrüht, die letzte ist gerade einmal 3 Jahre alt.
Zu begrüßen ist, dass die Kommission den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Europa verbindlich vorgeben will und dass die Zielgrößen hier sowohl E-Ladesäulen als auch Wasserstofftankstellen umfassen. Denn die E-Mobilitätsstrategie ist im Grundsatz richtig und die Ladeinfrastruktur entscheidet über die Akzeptanz des Antriebswandels bei den Menschen und somit über das Gelingen der Antriebswende bei PKW und LKW. Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien soll deutlich vorangetrieben werden, hier kann kaum genug getan werden. Auch der Stromnetzausbau und die ausreichende Versorgung mit Rohstoffen für den Antriebswandel brauchen volle Aufmerksamkeit.
Aber vor allem muss die Politik nun auf allen Ebenen – europäisch, national, regional - eine aktive Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitik sowie eine moderne Industrie- und Strukturpolitik betreiben. In dem Vorschlag der Kommission wird noch viel zu wenig deutlich, wie und mit welchen Mitteln die Transformation sozial und beschäftigungspolitisch unterstützt werden soll. Denn die Effekte dieses Paketes werden den Strukturwandel massiv antreiben und sie bergen massive Beschäftigungsrisiken. Und wenn es nicht gelingt, die Beschäftigten heute für die Jobs von Morgen fit zu machen und Zukunftsindustrien, neue Geschäftsfelder rund um Digitalisierung von Produkt und Produktion in den betroffenen Regionen anzusiedeln, ist das ganze Projekt der grünen Transformation gefährdet.
weitere Informationen und Pressebilder von Jörg Hofmann