24. Juni 2021
Pressemitteilung Nr. 31/2021
Sozial gerechte Transformation braucht aktive Industriepolitik
Diskussion zur Buchvorstellung „Perspektiven eines Industriemodells der Zukunft“ +++ Wolfgang Lemb fordert Paradigmenwechsel in der Investitionspolitik +++ Jörg Hofmann: "Die Perspektive der Industrie entscheidet sich in den Regionen"

Frankfurt am Main – Praktiker und Experten aus Gewerkschaft und Wissenschaft fordern eine Neuausrichtung der Industriepolitik und eine stärker steuernde Rolle des Staates bei der ökologischen Transformation der Wirtschaft. Die Industrie in Deutschland stehe vor gewaltigen, in ihrer Dimension historisch einzigartigen Umbrüchen. Technologischer Wandel, Digitalisierung und vor allem der Klimawandel führten zu tiefgreifenden Umwälzungen, die alle Kernsektoren der deutschen Industrie betreffen. Gelingen werde diese Transformation nur mit einer klaren industriepolitischen Strategie und einer aktiven Industriepolitik. Das war der Tenor einer Diskussionsveranstaltung der IG Metall mit gewerkschaftlichen Fachleuten, betrieblichen Praktikern, wissenschaftlichen Experten, Politikern sowie Verbandsvertretern aus Industrie und Umweltschutz.

„Der Umbau der Industrie kann nur mit einem Paradigmenwechsel in der Investitionspolitik bewältigt werden“, sagte Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall am Donnerstagabend in Berlin. Das gelte für öffentliche wie für private Investitionen. „Wenn wir den Umbau zu einer CO2-freien Wirtschaft realisieren wollen, braucht es alleine hierfür jährlich zusätzliche Investitionen von rund 70 Milliarden Euro pro Jahr. Den enormen Nachholbedarf bei der öffentlichen Infrastruktur und notwendige Investitionen in einen relativ alten Kapitalstock nicht mitgerechnet.“ Lemb warnte vor den Folgen der Schuldenbremse: „Die Aussetzung der Schuldenbremse zur Bekämpfung der Corona-Krisenfolgen war richtig. Die Wiederinkraftsetzung würde allerdings dazu führen, dass wir den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden können.“

Professor Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, sprach sich dafür aus, Schlüsselbranchen der Zukunft zu identifizieren und gezielt zu fördern, damit die Arbeitsplätze der jungen Industrien mit modernen Technologien hierzulande entstehen. „Wichtig ist aber, dass das Ganze nicht zu einem Selbstbedienungsladen für die Konzerne wird“, warnte Dullien. Um das zu verhindern, brauche es klare Rahmenbedingungen und eine Perspektive für den Abbau der Förderung. Zudem sei es wichtig, mehrere Unternehmen zu fördern, um den Konkurrenzdruck aufrechtzuerhalten. Zentral sei dabei der europäische Ansatz, denn für viele dieser Dinge sei der nationale Markt einfach zu klein.

Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, legte den Fokus auf die notwendige Strukturpolitik vor Ort: „Die Perspektive der Industrie entscheidet sich in den Regionen. Wir brauchen keinen Baggersee, keinen Verkehrskreisel, sondern Investitionen in industrielle Arbeitsplätze, die dazu beitragen die regionale Industriestruktur zu stärken. Nötig sind regionale Transformationsnetzwerke, die hierfür Ideen entwickeln und Unterstützung organisieren. Hier haben wir einen echten Nachholbedarf.“

Anlass des Diskussionsabends war der neue von Wolfgang Lemb herausgegebene Sammelband „Perspektiven eines Industriemodells der Zukunft“. Der Sammelband greift die Debatte rund um die aktuellen Herausforderungen der Industrie auf. In zwanzig Beiträgen machen Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Forschung deutlich, wo und wie Veränderungsprozesse eingeleitet werden müssen, um die Transformation nachhaltig zu gestalten und die Folgen der Coronakrise zu bewältigen.


Wolfgang Lemb (Hrsg.)
Perspektiven eines Industriemodells der Zukunft

Metropolis-Verlag, Marburg 2021
313 Seiten

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