Frankfurt am Main – Im Jahr der Bundestagswahl ruft die IG Metall Arbeitgeber und die künftige Bundesregierung auf, mit öffentlichen und privaten Investitionen Industriearbeitsplätze nachhaltig zu sichern. „Unser Widerstand gegen eine Deindustrialisierung wird laut sein. Unser Einsatz für neue und nachhaltige Arbeitsplätze wird entschlossen sein“, sagte Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall, auf der Jahrespressekonferenz der Gewerkschaft.
Von Unternehmen und Politik erwartet die IG Metall jetzt eine Job-Offensive. „Für jeden wegfallenden Arbeitsplatz muss ein neuer entstehen. Alle müssen jetzt ihren Beitrag leisten, um Wertschöpfung im Land zu halten und gleichzeitig neue Arbeitsplätze und Industrien anzusiedeln“, sagte Benner mit Blick auf Zukunftstechnologien wie Halbleiter, Batterierecycling und erneuerbare Energien.
Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, forderte mehr industrielle Wertschöpfung in Europa: „Für alle industriellen Produkte, die in Europa vermarktet werden, muss es einen verpflichtenden Anteil europäischer Komponenten geben. Wir fordern eine europäische Local-Content-Strategie: Wer Europa als Markt sieht, der muss auch anteilig für Beschäftigung in Europa verantwortlich sein. Wenn zum Beispiel chinesische oder US-amerikanische Pkw-Hersteller in Europa ihre Pkw verkaufen wollen, dann ist die Verpflichtung zu europäischen Fertigungen mit europäischen Komponenten notwendig. So verringern wir Abhängigkeiten und stärken Resilienz, Klimaschutz und vor allem Beschäftigung. Die neue Bundesregierung muss in Brüssel für eine solche Local-Content-Strategie aktiv werden.“
Zudem erwartet die IG Metall von der nächsten Bundesregierung und von den Unternehmen ein massives Investitionsprogramm. „Wir müssen unsere Technologieführerschaft verteidigen und auch neu aufbauen, neue Wachstumsmärkte erschließen und so Wohlstand und gute Arbeit sichern“, forderte Kerner. Die Arbeitgeber rief er zu mehr Verantwortungsübernahme auf: „Beim Umbau der Industrie sind wir Partner, beim Abbau entschiedener Gegner.“
Tarif-Vorständin und Hauptkassiererin Nadine Boguslawski mahnte die Arbeitgeber zu Tariftreue: „Tarifverträge sind aktive Krisenprävention und Krisenbewältigung. Wer das Gütesiegel Tarifvertrag angreift, provoziert nur unsere Gegenwehr.“ Die hohe Warnstreikbeteiligung 2024 sei Vertrauensbeweis und Auftrag: für eine Job-Offensive durch eine selbstbewusste Tarifpolitik als Sicherheitsnetz für die Beschäftigten. „Unsere Streikkasse ist gut gefüllt und wir sind jederzeit streikfähig. Wir stoppen Flucht aus der Verantwortung“, sagte Boguslawski.
Die IG Metall verzeichnet einen Anstieg von Rechtsstreitigkeiten mit den Arbeitgebern. Sozial-Vorstand Hans-Jürgen Urban: „Wir haben 2024 rund 30 Prozent mehr Fälle vor den Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichten abgeschlossen als im Vorjahr. Die Ursache liegt sicher auch in einer aggressiver werdenden Kürzungs- und Entlassungspolitik.“ Die gute Nachricht sei aber, dass sich die Gewerkschaftsmitglieder gerade auch in stürmischen Zeiten auf einen starken Rechtsschutz verlassen könnten. Für die Mitglieder seien rund 104 Millionen Euro erstritten worden.
Statt eines Abbaus forderte Urban den Um- und Aufbau des Sozialstaats. „Der Sozialstaat kann nicht so bleiben wie er ist. Aber unser Umbau heißt Aufbau auch einer sozialen Infrastruktur und nicht Abbau“, sagte Urban. Soziale Sicherheit für alle sei kein Ballast für Wertschöpfung und Fortschritt, sondern eine unabdingbare Voraussetzung für Vertrauen in die Politik und eine stabile Demokratie. Wer etwa Fachkräfte wolle, müsse sie ausbilden und qualifizieren oder auch Kitas für ihre Kinder bereitstellen.
Bildungs-Vorstand Ralf Reinstädtler verwies auf eine steigende Teilnehmerzahl bei gewerkschaftlichen Seminaren für Betriebsräte und Vertrauensleute sowie Weiterbildungsmentoren in rund 200 Betrieben: „Beschäftigte müssen ihre Mitbestimmungsrechte wahrnehmen und die Arbeits- und Zukunftsbedingungen in den Betrieben auf Augenhöhe mitgestalten können.“
Dafür forderte Reinstädtler von einer neuen Bundesregierung substanzielle Fortschritte bei der Mitbestimmung: etwa ein Recht für Betriebsräte, bei strategischen Entscheidungen mitzubestimmen, ein erzwingbares Recht auf einen Interessenausgleich beim Umbau von Unternehmen und ein erweitertes Initiativrecht des Betriebsrats für Qualifizierungen. Wer Betriebsratswahlen initiiere, verdiene besonderen Schutz.
Reinstädtler erwartet, den Fortbestand der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten regionalen Transformationsnetzwerken über das Jahr 2025 hinaus sicherzustellen. Hier vernetzen sich Unternehmen, Beschäftigte, Gewerkschaften, Weiterbildungsträger und Wissenschaft, um Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort zu erhalten und zu schaffen. „Der Wandel gelingt nur mit konkreten Strategien vor Ort, wenn Beschäftigung erhalten und neue, gute Arbeit gefördert wird“, sagte Reinstädtler. Wichtig seien für den Wandel regionale Lösungen, um den Transfer von Arbeit in Arbeit gestalten zu können.
Zum Jahreswechsel 2024/2025 zählte die IG Metall 2,1 Millionen Mitglieder und ist damit weiter die stärkste Gewerkschaft in Deutschland. Mit einem Plus von 4,5 Prozent 2024 stieg der Mitgliederanteil im Angestelltenbereich auf ein Viertel. Bei den Auszubildenden verbuchte die IG Metall einen Zuwachs von 5,1 Prozent. Der Stellenabbau in der Metall- und Elektroindustrie sowie die demografische Entwicklung sorgten aber unterm Strich für einen moderaten Rückgang von insgesamt 1,9 Prozent.
Hintergrundinformationen zur Jahrespressekonferenz