Frankfurt am Main – Die IG Metall nimmt Unternehmen und Politik in die Pflicht, die Industrie konsequent klimaneutral aufzustellen und so gute Arbeit in Deutschland für die Zukunft zu stärken. „Es braucht jetzt von allen Seiten ein klares Bekenntnis zum Erhalt und zum sozial-ökologischen Umbau des Industriestandorts Deutschland – und zwar mit Taten, nicht mit Worten“, sagt Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall, anlässlich der Jahrespressekonferenz der Gewerkschaft. „Unternehmen müssen jetzt in die Vollen gehen und hierzulande in Zukunftstechnologien investieren. Die Ampelkoalition muss ihr kleinteiliges, teils dogmatisches Agieren aufgeben. Wir sind überzeugt: Die Bundesregierung kann das besser! Das muss sie in diesem Jahr beweisen und endlich den großen Wurf wagen.“
Mit Blick auf den derzeitigen Stand der Transformation in Deutschland zeichnet die Erste Vorsitzende ein gemischtes Bild: Einerseits gebe es wichtige industrielle Neuansiedlungen, etwa für Batteriefertigung oder Halbleiterproduktion. Gleichzeitig nähmen Standortschließungen und Verlagerungen zu, von denen ganze Regionen betroffen seien.
„Deindustrialisierung gefährdet den Zusammenhalt im Land und damit auch unsere Demokratie“, warnt Benner. „Die Beschäftigten verlangen eine klare Perspektive. Sicherheit im Wandel – das ist der beste Schutz gegen Politikverdrossenheit.“
Konkret fordert die IG Metall staatliche Investitionen in Höhe von etwa 500 Milliarden Euro bezogen auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Die seien nötig, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfest aufzustellen.
Damit der klimaneutrale Umbau der Industrie schneller und besser vorankommt, soll eine neue Transformationskommission ins Leben gerufen werden. Vertreter aus Bundes- und Landesregierungen, Unternehmen, der IG Metall sowie Expertinnen und Experten sollen hier zügig ein konkretes Programm bearbeiten. „Wir brauchen jetzt eine Task Force für Transformation, die bis September konkret aufzeigt: Wie erreichen wir die Klimaziele und stärken gleichzeitig Industrie und Arbeitsplätze in Deutschland?”, erläutert Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall.
Die neue Kommission soll die nötigen privaten und öffentlichen Investitionen zum Erreichen der Klimaziele abstecken, den staatlichen Rahmen und die marktwirtschaftlichen Anreize zur Auslösung der privaten Investitionen klären und ein passendes, verlässliches und rechtssicheres Finanzierungsinstrument für die öffentlichen Investitionen ausgestalten.
„Die Beschäftigten brauchen jetzt eine aktive Industriepolitik. Die Lage ist zu ernst für parteipolitische Spielchen”, betont Kerner. „Notwendig sind klare, zukunftsweisende Entscheidungen: Die Schuldenbremse gehört abgeschafft, zumindest muss sie so reformiert werden, dass sie keine Zukunftsbremse mehr ist und Arbeitsplätze gefährdet. Eine Deindustrialisierung Deutschlands werden wir nicht akzeptieren.“
Weiterhin braucht es aus Sicht der IG Metall eine massive Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive, damit die im Wandel begriffenen wie auch die neu entstehenden Branchen möglichst vielen Beschäftigten eine Zukunft bieten. Außerdem erwartet die IG Metall von der Politik einen Ausbau der Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen sowie eine Stärkung der Tarifbindung. „Die Beschäftigten brauchen die Erfahrung, dass sie den Veränderungen nicht ausgeliefert sind, sondern diese mitgestalten können. Das geht nur mit mehr Demokratie im Betrieb“, so Christiane Benner.
Die IG Metall selbst sieht sich gut aufgestellt für die künftigen Herausforderungen. Mit 129.348 Eintritten konnte der Rekord an Neumitgliedern vom vergangenen Jahr nochmals übertroffen werden – ein Plus von 10 Prozent. Nur im Jahr 2018, vor Ausbruch der Pandemie, gab es mehr Beitritte. Die zu großen Teilen auch demografiebedingten Abgänge konnten nahezu vollständig ausgeglichen werden. Mit rund 2,14 Millionen Mitgliedern zum 31. Dezember 2023 verläuft die Mitgliederentwicklung damit weitgehend stabil.
Der Zulauf an neuen Mitgliedern stärkt auch die Finanzen der Gewerkschaft: Die Beitragseinnahmen haben 2023 einen Spitzenwert von 620 Millionen Euro erreicht. Der Löwenanteil davon geht an die bundesweit 148 Geschäftsstellen für die Arbeit in den Betrieben und Branchen vor Ort.
„Der Mitgliederzulauf in den Betrieben gewährleistet: Unsere Streikkasse ist gut gefüllt“, konstatiert Nadine Boguslawski, Hauptkassiererin der IG Metall.
Mit Blick auf die im Herbst anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie sagt Boguslawski: „Die IG Metall geht 2024 konstruktiv und konfliktbereit in die anstehenden Tarifverhandlungen. Unser Kampf für Tarifbindung ist ein Kampf für die Gestaltung der Transformation. Besonders in wirtschaftlich und politischen unruhigen Zeiten gilt: Tarifverträge sind ein Stabilitätsanker für die Demokratie und geben Sicherheit im Wandel. Die Mitbestimmung unserer Mitglieder bei unseren Forderungen wie für die 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie ist ein Vorbild für die Transformation in den Betrieben insgesamt.”
Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied, betont die Bedeutung sozialer Sicherung gerade in Umbruchzeiten: „Gerade jetzt sind eine Sozialstaatsbremse und Kürzungsdebatten wie beim Bürgergeld der falsche Weg. In Zeiten des Umbruchs brauchte es soziale Sicherheit und nicht weitere Verunsicherung. Ein stabiler Sozialstaat ist mehr wert als er kostet. Einen ökologischen Wandel gibt es nur mit ausreichend sozialen Investitionen. Eine Unterstützung der Menschen gibt es nur mit sozialer Sicherheit. Unser Sozialstaat erfordert deshalb eine solidarische Finanzierung, damit er Konjunktur und Strukturwandel entschlossen abfedern kann.“
Ausgrenzung und Spaltungsversuchen erteilt Ralf Reinstädtler, geschäftsführendes Vorstandsmitglied, eine klare Absage: „Umbruchphantasien, Hass und Hetze sind keine Antworten auf den Wandel, sondern ein Kampf gegen konstruktives, gewerkschaftliches Engagement. Besorgten Beschäftigten bieten wir eine solidarische Heimat für Dialog und Aktion. Entschieden klären wir auf, bekämpfen Menschenfeinde in Betrieben und Parlamenten. Die IG Metall ist mit jährlich 90.000 Teilnehmer*innen einer der größten Bildungsträger in Deutschland. Wir wollen Kämpfer*innen für Demokratie und Menschenrechte in den Betrieben ausbilden. Beschäftigte brauchen betriebliches und politisches Handwerkszeug, die Transformation sozial, gerecht und demokratisch zu gestalten.“
Hintergrundinformationen zur Jahrespressekonferenz 2024 (Mitglieder und Finanzen)