Nürnberg – Verantwortungslosigkeit und Planlosigkeit sieht Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, an der Spitze vieler Unternehmen. „Nach zehn Jahren Wachstum fällt Arbeitgebern beim kleinsten Abschlag auf ihre Renditeträume nur ein: Personalabbau, Standortverlagerung, Zerschlagung. Das ist keine Zukunftsstrategie, das werden wir nicht hinnehmen“, sagte Hofmann am Montag auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall in Nürnberg.
In der Aussprache zum Geschäftsbericht zog Hofmann eine positive Bilanz der Tarifpolitik. Der Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie vom vergangenen Jahr brachte den Beschäftigten ein kräftiges Lohnplus und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit – für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. „Nur mit der solidarischen Kraft aller lassen sich Freiräume erkämpfen, lässt sich der allumfassende Zugriff auf die Arbeitskraft begrenzen“, resümierte Hofmann. In der ostdeutschen Textilindustrie ist es gelungen, die Arbeitszeit an die im Westen anzugleichen. Für die ostdeutsche Metall- und Elektroindustrie steht diese Angleichung noch aus. „Wir werden ein Ergebnis bekommen. Gleiche Tarifbedingungen in West und Ost sind 30 Jahre nach der Wende überfällig“, sagte Hofmann.
Voraussetzung für die tariflichen Erfolge ist die starke Verankerung der IG Metall in den Betrieben. Gute Tarifpolitik macht die IG Metall attraktiv. In diesem Jahr hat sie bereits 85.186 Menschen neu für sich gewonnen. Mit rund 2,30 Millionen Mitgliedern ist die IG Metall die größte Einzelgewerkschaft der Welt. Die IG Metall hat sich deutlich in der Debatte zur Klimapolitik positioniert und mit den Umweltverbänden BUND und NABU ein Eckpunktepapier zur Klima- und Mobilitätswende veröffentlicht. „Wir schaffen Verständnis dafür, dass Klimaschutz und Industrie kein Widerspruch sind“, sagte Hofmann. Ihren Anspruch, die Transformation im Interesse der Beschäftigten zu gestalten, machte die IG Metall Ende Juni in Berlin deutlich. Dort demonstrierten mehr als 50.000 Metallerinnen und Metaller für einen sozialen, ökologischen und demokratischen Wandel.
Die Organisations- und Personalpolitik sowie die Zielgruppenarbeit der IG Metall ist auch 2019 erfolgreich. „Wir haben weiter eine überdurchschnittlich gute Mitgliederentwicklung bei den strategisch wichtigen Gruppen der Angestellten, Frauen und Beschäftigten ohne deutschen Pass. Im September haben wir das 60.000ste studierende Mitglied begrüßt – Rekord!“, sagte Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall.
Die Zustimmung ist auch deshalb groß, weil die IG Metall im Digitalisierungszeitalter alle Beschäftigten vertritt, von Festangestellten in Großunternehmen über Beschäftigte bei Entwicklungsdienstleistern bis hin zu Solo-Selbstständigen. „Diese Stärke brauchen wir, um erfolgreich und konfliktfähig die Transformation zu gestalten“, sagte Benner. Überall müssen faire Arbeitsbedingungen herrschen, das gilt auch für die großen Internet-Plattformen. „Wir dulden keinen Parallel-Arbeitsmarkt im Internet!“, so Benner.
Finanziell steht die IG Metall auf einem stabilen Fundament. Die Beitragseinnahmen werden in diesem Jahr voraussichtlich auf 598 Millionen steigen. 2015, im Jahr des letzten Gewerkschaftstages, waren es 533 Millionen. Die Kassenbestände der Geschäftsstellen beliefen sich im abgelaufenen Jahr auf 275 Millionen Euro, 2015 lagen sie bei 265 Millionen Euro. „Wir haben solide gewirtschaftet, finanziell stehen wir gut da. Am Geld wird keine Auseinandersetzung scheitern“, machte Hauptkassierer Jürgen Kerner deutlich.
„Transformation ist kein linearer Prozess, sondern geprägt von Ungleichheit und Ungleichzeitigkeit in Unternehmen und Branchen“, so Jürgen Kerner weiter. „In der Automobilindustrie läuft Digitalisierung anders als in der Luftfahrtindustrie. In der Stahlindustrie wollen wir noch umweltfreundlicher Stahl produzieren. Die Bahnindustrie muss zu einer Leitindustrie in der Verkehrswende ausgebaut werden. Herausforderungen, für die wir unsere gewerkschaftliche Branchenpolitik stärken und schärfen müssen.“
Eine aktive Industriepolitik und deutlich höhere Investitionen in die Zukunft erwartet Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, von der Bundesregierung. „Wir brauchen klare Perspektiven für die Beschäftigten in unseren Branchen.“ Das gilt beispielsweise für die Windindustrie. In dieser Branche sind seit 2017 rund 35.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. „Wenn das Ausbauziel bei den Erneuerbaren Energien von 65 Prozent bis 2030 erreicht werden soll, muss dringend die Deckelung beim Ausbau der Windenergie aufgehoben werden.“
Mit dem „Neuen Ordnungsrahmen für das Handwerk“, der im Sommer vorgelegt wurde, hat die IG Metall die mittelstandspolitische Debatte geprägt. Dieses Diskussionspapier liefert Argumente für Tarifbindung und Mitbestimmung im Handwerk und für den Dialog zwischen den Sozialparteien. „Die Innungen müssen wieder mehr ihrer gesetzlichen Verantwortung als Tarifpartei nachkommen“, forderte Ralf Kutzner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.
Durch die Transformation steigt der Qualifizierungsbedarf in den nächsten Jahren deutlich. Die IG Metall hat darauf reagiert und baut die eigene Bildungsarbeit weiter aus. „Wir stärken unsere Vertrauensleutebildung und verbinden Arbeit und Innovation durch praxisbegleitende Ausbildungsreihen, arbeiten mit Lernfabriken, Wissenschaft und Unis zusammen. So begleiten wir Veränderungsprozesse in den Betrieben“, sagte Irene Schulz, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Schulz fordert auch eine Stärkung der politischen Bildung. „Je schärfer Ökologie und soziale Sicherheit zum Gegensatz stilisiert werden, je häufiger finanzmarktgetriebene Unternehmensstrategien und Politikentwürfe immer dieselben Gewinner und Verlierer produzieren, desto radikaler muss politische Bildung gesellschaftlich aufgewertet werden.“ Politische Bildung schafft Räume für Meinungsbildung, Wertedebatten und zukunftsfähige Gesellschaftsbilder.
In der Rentenpolitik hat die IG Metall in den letzten Jahren – zusammen mit dem DGB – erreicht, dass Erwerbsminderungsrenten verbessert, das Rentenniveau bis 2025 stabilisiert und die Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren eingeführt wurde. Die nächsten Konflikte sind nach Ansicht von Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, aber schon absehbar. „Eine weitere Anhebung der Altersgrenze stößt auf den Widerstand der IG Metall. Schon die Rente mit 67 war eine dramatische Fehlentscheidung. Wir brauchen bessere flexible Übergänge in die Rente, aber deutlich vor dem 67. Lebensjahr“, sagte Urban. Die IG Metall pocht darauf, dass auch die Grundrente als ein wichtiges Element gegen Altersarmut kommt – ohne Bedürftigkeitsprüfung. Damit würde die Lebensleistung von Millionen Beschäftigten anerkannt.
Rede zum mündlichen Geschäftsbericht von Jörg Hofmann
Rede zum Mündlichen Geschäftsbericht von Christiane Benner
Rede zum Mündlichen Geschäftsbericht von Jürgen Kerner
Rede zum Mündlichen Geschäftsbericht von Wolfgang Lemb
Rede zum Mündlichen Geschäftsbericht von Ralf Kutzner
Rede zum Mündlichen Geschäftsbericht von Irene Schulz
Rede zum Mündlichen Geschäftsbericht von Hans-Jürgen Urban
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