Seit 1995 existiert die 35-Stunden-Woche in Niedersachsen in der Metall- und Elektroindustrie. Nebenan, in Sachsen-Anhalt, arbeiten die Beschäftigten der gleichen Branche jedoch 38 Stunden die Woche ― also einen Monat im Jahr länger.
„Das ist nicht gerecht“, sagt Bezirksleiter Thorsten Gröger. „Die Kolleginnen und Kollegen bekommen den Eindruck, ihre Arbeit sei weniger wert, sie seien Beschäftigte zweiter Klasse.“
Natürlich ist das nicht so. Doch fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer existiert immer noch die Mauer bei der Arbeitszeit. Die IG Metall will endlich gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West erreichen und hat in der Tarifrunde 2018 den ersten Schritt gesetzt: Im Tarifergebnis vom 16. Februar 2018 wurde mit dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt (VME) vereinbart, Gespräche darüber aufzunehmen, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Gröger: „Klar ist, dass die Angleichung nicht von heute auf morgen passieren wird. Daher schlagen wir ein Modell flexibler Einführung vor, wodurch vermieden wird, dass Betriebe wirtschaftlich überfordert werden.“
In Berlin-Brandenburg hat die IG Metall mit dem dortigen Arbeitgeberverband Gespräche geführt mit dem Ziel einer Tarifeinigung noch im ersten Halbjahr 2019. Dann hat Gesamtmetall auf die Bremse getreten.
Solidarität auf der Tarifpolitischen Konferenz am 6. März in Hannover: Breite Zustimmung für die Angleichung Ost. (Fotos: Holger Hollemann)
In den nächsten Wochen soll es nun Gespräche der IG Metall mit den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie geben. Das Ziel ist die 35-Stunden-Woche. Ohne eine Lösung wird auch die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland blockiert. In Sachsen-Anhalt klagen 64 Prozent der Unternehmen über Facharbeitermangel. Das sei „das größte Risiko“ für die wirtschaftliche Weiterentwicklung, sagte Ende Januar 2019 Steffen Keitel, Präsident der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. Auch der demografische Wandel setzt Signale: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente, die benötigten Arbeitskräfte werden immer knapper. Und der Niedriglohnbereich ist in Sachsen-Anhalt mit 36 Prozent der Beschäftigten enorm hoch.
Eine Ursache ist die geringe Tarifbindung. Nur die Hälfte der Beschäftigten bekommt gute, tarifliche Entgelte, moniert Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) in Magdeburg, der bei öffentlichen Aufträgen sogar höhere Entgelte per Tarif durchsetzen will, um einen Teil der 144 000 Pendler zurückzuholen.
„Gute Arbeit und gute Tarife sind ein Standortvorteil“, meint Thorsten Gröger, „und auch attraktive Arbeitszeiten gehören dazu. Das hat nicht zuletzt die letzte Tarifrunde bewiesen.“
Fotoaktion für die 35-Stunden-Woche: igmetall-bbs.de/35-aktion