1. April 2020
Martina Helmerich
Zu Besuch bei Thorsten Kruse und KittI Besenyi 
Metaller auf Augenhöhe
Vernetzung und enger Austausch sind die Basis für transnationale Zusammenarbeit, finden die Gewerkschafter aus Deutschland und Ungarn. Nur so lässt sich verhindern, dass Beschäftigte erpresst werden.

Thorsten und Kitti arbeiten beide „beim Daimler“, er im badischen Rastatt, sie im ungarischen Kecskemét. 1 000 Kilometer passen dazwischen. Das wäre nicht weiter aufregend, wenn die beiden nicht Aktive in einem grenzübergreifenden Projekt wären mit zwei zentralen Zielen: gute Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen am jeweiligen Standort schaffen und verhindern, dass die Daimler-Standorte in Deutschland und Ungarn gegeneinander ausgespielt werden.


Kurzer Draht zwischen Deutschland und Ungarn

Vor vier Jahren ging es los. Da startete die IG Metall zusammen mit der ungarischen Metallgewerkschaft VASAS das Projekt Transnationale Partnerschaftsinitiative (TPI). Kitti war gerade stellvertretende Vorsitzende der VASAS-Grundorganisation am Daimler-Standort Kecskemét geworden. Zuvor hatte sie in der Produktion gearbeitet und Lackfehler in der Oberfläche von Autoteilen ausgebessert. Ihre Feuertaufe als freigestellte Arbeitnehmervertreterin kam schneller als gedacht. Die Beschäftigten des ungarischen Werks, die unter anderem Modelle der Mercedes-A-Klasse produzieren, streikten für höhere Löhne.

Unterstützung bekamen Kitti und ihre VASAS-Gewerkschaftskollegen von den Betriebsräten und Vertrauensleuten der IG Metall am Standort Rastatt. Von kampferprobten deutschen Arbeitnehmervertretern wie zum Beispiel Thorsten Kruse. „Durch die Zusammenarbeit waren wir gut vorbereitet auf die Tarifverhandlungen und haben zweistellige Lohnsteigerungen erkämpft.“ Kitti ist überzeugt, ohne die Unterstützung durch die Kollegen aus Deutschland wäre das nicht möglich gewesen. Mehrmals im Jahr findet ein Austausch statt. Kitti war mit einem ungarischen Kollegen beim 24-Stunden-Warnstreik in Rastatt: ein Zeichen der Solidarität in beide Richtungen. Man sieht sich auf Schulungen und Konferenzen. Hält über Messenger und Social Media engen Kontakt zwischen Rastatt und Kecskemét. Holt sich Tipps.

Kitti will Müttern von kleinen Kindern die Nachtschicht ersparen und tüftelt an einem passenden Schichtsystem. Thorsten: „Die Zusammenarbeit zwischen uns und der ungarischen Seite fruchtet. Da ist richtig was ins Laufen gekommen.“ Er berät die ungarischen Kollegen, etwa wie man Flugblätter macht und im Betrieb verteilt und wie man Beschäftigte anspricht. Der IG Metall-Vertrauensmann will aber nicht als Lehrmeister erscheinen.


Ungarn: Als Produktionsstandort gefragt

„Man landet rasch auf dem Boden der Tatsachen, wenn man sich die Arbeitsbedingungen im Ausland ansieht“, sagt Thorsten. Arbeitnehmer in Ungarn haben viel weniger Rechte, es gibt dort kaum Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter. Die reaktionäre Regierung von Ministerpräsident Orbán hat das Arbeitsrecht den Bedürfnissen der Multis angepasst. So wurden etwa die Arbeitszeiten stark flexibilisiert.

Weil das Arbeitsrecht in Ungarn für die Arbeitnehmer in Ungarn insgesamt schwach ist, ist das Land aus Sicht deutscher Unternehmer als Produktionsstandort sehr gefragt. Auch wegen der im Vergleich zu Deutschland niedrigeren Löhne. Audi fertigt in Györ und Daimler in Kecskemét. Um diese ungarischen Industriezentren haben sich viele Zulieferer angesiedelt. Das Who’s who der deutschen Autoindustrie: Continental, Bosch, Freudenberg, Knorr-Bremse, Schaeffler und viele andere.

Deshalb ist es so wichtig, dass Gewerkschaften in Ungarn stark sind. Dass sie die Belegschaften überzeugen: Es ist wichtig, sich zu organisieren, Verhandlungsmacht aufzubauen, ordentliche Löhne und gute Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Deshalb die transnationale Zusammenarbeit zwischen VASAS und der IG Metall. Deshalb gemeinsame Workshops und Konferenzen, wie jüngst im März in Berlin. Dort trafen sich Gewerkschafter aus ganz Europa, um gemeinsame Strategien für eine gewerkschaftliche Gegenmacht zu entwickeln. Unter ihnen auch Kitti und Thorsten. Lula, der als Schlosser während der brasilianischen Militärdiktatur Streiks organisierte und später als Staatspräsident die Armut bekämpfte, wurde von den jungen Aktiven enthusiastisch gefeiert. „Erhobenen Hauptes weiterkämpfen“, gab der charismatische Arbeiterführer ihnen mit auf den Weg.

 


Thorsten Kruse (47), Kitti Besenyi (30), kümmern sich bei Daimler um die internationalen Kontakte zwischen Deutschland und Ungarn.

 


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