Peter Bofinger: Ich habe keine Zweifel an der Unabhängigkeit meiner Kollegen.
Nein. Das Problem ist, dass wir besonders in den deutschen Wirtschaftswissenschaften eine sehr ausgeprägte Marktorientierung haben. Sie macht blind für die Schwächen des Markts und unterschätzt, welche Einflussmöglichkeiten der Staat hat, um bessere Resultate zu erzielen. Das führt dann zu einseitigen Empfehlungen. Ich vertrete oft andere Einschätzungen und habe darum in der Vergangenheit zahlreiche Minderheitsvoten abgegeben. Ein Beispiel ist der Mindestlohn.
Prof. Dr. Peter Bofinger (Quelle: Sachverständigenrat).
Ich habe mich über Jahre hinweg für ihn ausgesprochen, meine Kollegen dagegen. Sie argumentierten, er würde Arbeitsplätze vernichten. Die Erfahrungen zeigen, dass das nicht der Fall war. Auch Steuersenkungen halte ich nicht immer für den Stein der Weisen. Verzichtet der Staat auf Einnahmen, führt das zu Problemen, wie wir sie heute überall erleben, etwa Wohnungsnot, schlecht ausgestattete Krankenhäuser und Schulen.
Auch da vertrete ich eine andere Position als die Mehrheit im Sachverständigenrat. Zum Beispiel zur Batteriezellenproduktion. Da stellt sich doch die Frage: Überlassen wir diese wichtige, aber auch kostenintensive Zukunftstechnologie China oder unterstützen die europäischen Staaten den Aufbau einer eigenen Entwicklung und Fertigung. Der chinesische Staat ist industriepolitisch hyperaktiv und erzielt damit große Vorteile im globalen Wettbewerb. Da ist es naiv, darauf zu beharren, dass der Markt alles optimal richtet.
Alles spricht dafür. Die Inflation wird niedrig bleiben. Die Zinsen auch, sodass die Kreditbedingungen für die Wirtschaft günstig sind. Die Staaten sparen nicht, sondern setzen Impulse für die Konjunktur. Auch das anhaltende Beschäftigungswachstum und die guten Löhne werden die Inlandsnachfrage stärken. Die Löhne hätten ― gesamtwirtschaftlich ― sogar noch höher ausfallen können; das gilt vor allem für den Mindestlohn.
Aber damit wurden nicht die Banken gerettet, sondern die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger bei den Banken. Der Satz: Gewinne werden privatisiert, Verluste verstaatlicht, stimmt in diesem Fall nicht. Die großen Verlierer waren die Anteilseigner der Banken.
Dafür gibt es keine Hinweise. Die Banken sind inzwischen stärker reguliert und besser mit Eigenkapital ausgestattet als damals. Außerdem haben Ökonomen und Bankanalysten Gefahrenpotenziale heute stärker im Fokus.
Man sollte die Wirkung von Zöllen nicht überschätzen. Ein starker Euro kann ähnliche Effekte haben. Und mit starken Wechselkursschwankungen, die Produkte aus EU-Ländern verteuert haben, ist die deutsche Wirtschaft bisher ganz gut zurechtgekommen. Ein Vorteil der Trumpschen Politik ist, dass die anderen Länder sich stärker bemühen, ihre Handelsbeziehungen zu verbessern.
Ein ungeregelter Ausstieg wäre vor allem für das Vereinigte Königreich eine Katastrophe. Das Land würde in ein Loch fallen ― mit völlig ungewissen Folgen. Da die Wirtschaft in Europa stark verflochten ist, würde sich ein solcher Ausstieg natürlich auch negativ auf die deutsche Wirtschaft, vor allem die Autoindustrie, auswirken.
Gerade Deutschland ist wie kein anderes Land auf Globalisierung ausgerichtet. Deutsche Unternehmen haben die Exporte in den vergangenen Jahrzehnten in Relation zur Wirtschaftsleistung am stärksten ausgeweitet. Die Wirtschaft hat davon profitiert. Darum müssen wir ein großes Interesse daran haben, Europa zu stärken. Aber es muss ein Europa sein, das seine Bürger im globalen Wettbewerb vor unfairer Konkurrenz schützt. Faire Bedingungen gibt es nur, wenn Europa ― zum Beispiel mit den USA und China ― als starke Einheit verhandeln kann.
China verhält sich noch viel protektionistischer als die USA. Es pocht gegenüber anderen Ländern auf freien Handel, praktiziert aber im eigenen Land im Umgang mit ausländischen Investoren das Gegenteil. Es subventioniert die eigenen Industrien mitunter so stark, dass andere Länder im Wettbewerb Nachteile erleiden, wie es beim Stahl drohte, und dass ihnen der Todesstoß versetzt wird, wie wir das in der Solarbranche erlebt haben.
Es gibt mehr Risiken als Ende 2016 oder 2017, etwa durch den Brexit ― aber alles in allem schon.