Aus virologischer Sicht ist die Sache völlig klar: Beschäftigte, die an Arbeitsplätzen arbeiten, an denen kein ausreichender Sicherheitsabstand eingehalten werden kann, müssen einen Mund-Nasen-Schutz tragen. „Das ist zwingend notwendig, um die Kolleginnen und Kollegen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen“, sagt Betriebsrat Sven Schneider. „Das haben wir gleich zu Beginn der Pandemie mit dem Arbeitgeber vereinbart.“
Durchgesetzt hat das Betriebsratsteam bei VW in Zwickau dazu noch eine Regelung, nach der Kolleginnen und Kollegen, die zwei Stunden lang mit Maske gearbeitet haben, danach für zwei Stunden auf einen Arbeitsplatz wechseln müssen, in denen der Mindestabstand eingehalten werden kann – und das Tragen einer Maske nicht dauerhaft notwendig ist.
An eben dieser Vereinbarung rüttelt der Arbeitgeber nun massiv. „Der Arbeitgeber kommt auf uns zu und sagt: Eine Maske zu tragen, das ist doch nicht schlimm, das geht doch auch den ganzen Arbeitstag hindurch. Machen andere doch auch.“ Das aber sei schlicht nicht der Punkt. Natürlich könne man einen Mund-Nasen-Schutz den ganzen Tag lang tragen – es sei aber nicht empfehlenswert. „Unsere Maßgabe, dass nach zwei Stunden Maskentragen eine Erholungszeit kommen soll, ist nicht willkürlich aus der Luft gegriffen“, sagt Betriebsrat Schneider. „Das ist eine Empfehlung der gesetzlichen Unfallversicherung.“ Und das zählt für ihn und für seine Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat.
„Wir haben uns seit Beginn der Pandemie dafür eingesetzt, dass wirksame Schutzmaßnahmen aufgebaut werden, die das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus minimieren“, sagt der 52-Jährige. Dazu gehöre auch das Tragen von Masken. „Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Maske nur so lange am Stück getragen wird, wie es empfohlen ist. Und nur dort, wo es notwendig ist. Das ist unsere Leitlinie.“
Um dies umzusetzen, hat Sven Schneider mit seinem Team schon im März und April, am Beginn der Pandemie, umfassende Präventionsmaßnahmen aufgebaut: „Bei uns am Standort arbeiten rund 8000 Menschen, gut 3000 von ihnen im indirekten Bereich“, erzählt Schneider. Sie haben ein Pandemieteam gegründet, das die Maßnahmen koordinierte und deren Umsetzung überprüfte. „Wir sind bei den Maßnahmen nach dem sogenannten TOP-Prinzip vorgegangen. Wir haben also nicht vorrangig persönliche Schutzmaßnahmen festgelegt, sondern wir haben zuerst geschaut, welche technischen und organisatorischen Maßnahmen umgesetzt werden können.“
Vor allem in den Fertigungs- und Produktionsbereichen war das eine Menge: Gemeinsam mit dem Arbeitgeber hat der Betriebsrat Arbeitsplätze so umgestaltet, dass auf jeder Seite der Fahrzeuge nun nur noch ein Beschäftigter arbeitet. In die Karosserien haben sie Folien gehängt, um Kolleginnen und Kollegen zu schützen, die im Innenraum der Fahrzeuge arbeiten. Vor und nach den Fahrzeugkarosserien haben sie Trennwände geschoben. Pausenräume wurden auf Mindestbestuhlung umgeräumt, Pausenzelte eingerichtet.
„Wir haben uns jeden Arbeitsplatz angeschaut und mithilfe eines Ampelsystems bewertet“, sagt Sven Schneider. Arbeitsplätze, bei denen kein Mindestabstand eingehalten werden kann, etwa in der Montage, wurden rot gekennzeichnet. Nur an diesen Arbeitsplätzen ist es Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen – so, wie es für alle Beschäftigten vom Werktor bis zum Arbeitsplatz und auf dem Weg in die Kantine Pflicht ist. „Damals haben wir mit dem Arbeitgeber auch vereinbart, die Maskentragezeit zu beschränken.“
Geht es nach dem Arbeitgeber, soll diese Vereinbarung nun aufgekündigt werden. „Für das Management ist es schlicht lukrativer, wenn die Beschäftigten nicht den Arbeitsplatz wechseln und mit Maske durcharbeiten“, sagt Sven Schneider. „Es spart Personal und Geld.“ Bis auf das letzte Komma genau beziffern könne er das nicht. Man müsse sich aber klarmachen, dass die Vereinbarung faktisch bedeute, dass in einigen Bereichen zusätzlich zum eingesetzten Personal weitere Beschäftigte benötigt werden. „Eine kluge Rotation verhindert aber, dass in allen Bereichen mit roten Arbeitsplätzen Zusatzpersonal eingesetzt werden muss“, sagt Sven Schneider.
Im Ganzen aber komme es tatsächlich zu einem personellen Mehraufwand in der Produktion von 2 bis 3 Prozent: „Da sprechen wir von 100 bis 150 Mitarbeitern, die infolge der Coronaschutzmaßnahmen zusätzlich benötigt werden.“
Das ist übrigens nicht der einzige Punkt, der in der Diskussion steht, weil er Geld kostet. „Wir hatten zu Beginn der Pandemie auch vereinbart, dass die Kolleginnen und Kollegen eine Reinigungszeit von fünf Minuten vor und nach den Pausen erhalten und ebenfalls die benutzten Arbeitsmittel vor und nach jedem Arbeitsplatzwechsel desinfizieren dürfen.“ Diese anfängliche Vereinbarung wurde abgeschwächt: Seit September gab es nur noch Reinigungszeit vor der Pause oder vor dem Arbeitsplatzwechsel. „An die restlichen fünf Minuten will man jetzt auch ran.“
Dagegen verwehrt sich der Betriebsrat. „Es gibt eine Vereinbarung, und an der wird nicht gerüttelt“, sagt Sven Schneider. „Wir lassen in diesem Punkt nicht mit uns reden, wir bleiben standhaft.“ Das gehe aber nur, wenn man die Belegschaft auf seiner Seite habe.
Schneider und sein Team sind deshalb viel in der Fertigung unterwegs, oft mit den Beschäftigten im Gespräch. „Es gibt leider Kolleginnen und Kollegen, denen wir immer wieder erklären müssen, warum das Tragen einer Maske an bestimmten Orten wichtig ist.“ Aufreibend sei das mitunter, nicht leicht zu kommunizieren: Ja, eine Maske zu tragen, das ist extrem wichtig in Bereichen und an Arbeitsplätzen, in denen der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Aber das bedeutet eben nicht, dass Beschäftigte den ganzen Tag lang durchgängig Maske tragen könnten.
„Wir lassen uns nicht entmutigen“, sagt Sven Schneider. „Als Betriebsrat kämpfen wir für umfassenden Gesundheitsschutz der Kolleginnen und Kollegen in der Pandemie.“ Dazu gehören feste Reinigungs- und Desinfektionszeiten. Dazu gehöre auch, dass die Beschäftigten konsequent dort Masken tragen, wo es nicht anders geht. „Aber nicht länger als zwei Stunden am Stück.“