Mirco Thiel will jetzt Gesicht zeigen, die Stimme erheben, Missstände offensiv angehen. Denn den gesellschaftlichen Zusammenhalt sieht der dreifache Familienvater immer stärker gefährdet: Populistische Parteien schüren mit rechten Parolen Hass und verbreiten Hetze. Das müsse endlich ein Ende haben. Zusammen mit mehr als 20 000 Menschen protestiert der 42-Jährige Ende November lautstark und friedlich gegen den AfD-Bundesparteitag, der parallel in Braunschweig stattfindet.
„Die Gegenkundgebung ist ein starkes Zeichen der gesamten Region, dass die AfD hier nicht willkommen ist“, sagt Mirco Thiel, Betriebsrat bei Volkswagen Financial Services, inmitten von Trillerpfeifen, IG Metall-Fahnen und Sprechchören. Die Botschaft ist unmissverständlich: Braunschweig ist bunt.
Die Demonstrierenden, darunter viele Metallerinnen und Metaller, skandieren immer wieder: „Vielfalt, Menschlichkeit, Solidarität.“ Ältere, Junge, Frauen, Männer, mit Migrationshintergrund und ohne, ja selbst die Kleinsten in Kinderwägen oder Tragetüchern setzen gemeinsam ein Signal für Respekt und Toleranz.
Neulich erst hat sich der Vertrauenskörper bei Volkswagen Financial Services zusammengesetzt, um das Parteiprogramm der Alternative für Deutschland zu analysieren, erzählt Mirco Thiel: „Sie macht Arbeitnehmern kein Angebot – absolut nicht. Die AfD will stattdessen die Mitbestimmung in den Betrieben eindämmen und droht den Gewerkschaften offensiv.“
Andersdenkende werden gezielt diffamiert. Statt die Industrie fit für die Zukunft zu machen, hängt die AfD der Vergangenheit nach. Diese Haltung gefährdet Arbeitsplätze. „Die Alarmsirenen sollten bei den Beschäftigten auch deshalb längst schrillen“, sagt Mirco Thiel.
Gemeinsam haben die VW-Vertrauensleute überlegt, wie und mit welchen Argumenten sie auf Angriffe und rechte Parolen reagieren können. „Reden hilft. Viel reden hilft noch mehr“, sagt der 42-Jährige. Er will mit denen, die noch kein geschlossenes rechtes Weltbild haben, ins Gespräch kommen, zuhören, dann argumentieren und aufklären. Einige seien ganz einfach auch zu voreilig in eine bestimmte Ecke geschoben worden.
Thiel ist gelernter Banker, studierter Betriebswirt. Nicht nur seine Oberarme sind von unzähligen Stunden im Fitnessstudio muskelbepackt. Er war mal Fußballer und hat es beim VfL Wolfsburg bis in die Zweite Bundesliga geschafft. Sein Herz schlägt aber für die Eintracht aus Braunschweig. 1982 hat ihn der Vater das erste Mal mit in den Block genommen. Seit zehn Jahren hat er eine Dauerkarte, oft fährt er auch zu den Auswärtsspielen. „Durch den Teamsport bin ich schon immer mit verschiedenen Nationalitäten zusammengekommen“, sagt Thiel. „Es läuft gewiss nicht immer alles super, aber insgesamt bereichern diese Menschen unsere Gesellschaft.“ Er betont: Vielfalt eint uns.
Der 42-Jährige ist keiner, der sich schon seit Jahr und Tag offensiv gegen Rechtspopulisten und Extremisten auflehnt. Seine innere Triebfeder war allerdings schon immer: Missstände beseitigen. Ihn treibt es um, wie viel Angst von Rechten geschürt wird. Das kann Belegschaften, ja die ganze Gesellschaft spalten.
Besorgniserregend findet Thiel auch, dass sich viele Leute von den großen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Hinzu kommt, dass die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte die soziale Ungleichheit in Deutschland verfestigt hat. Rechtsradikale und Populisten versuchen, das auszunutzen und den angestauten Frust und die Zukunftsängste der Menschen, gerade in abgehängten Regionen, zu instrumentalisieren.
Doch der Widerstand ist groß. Mehr als 20 000 Menschen sind es allein an diesem Samstag Ende November in Braunschweig. Bundesweit engagieren sich Metallerinnen und Metaller Tag für Tag dafür, dass alle Menschen frei, respektvoll, sicher und fair miteinander arbeiten und leben können. „Es ist gut, dass sich die Gewerkschaften so klar positionieren“, sagt der Metaller. „Mit diesem Wissen im Rücken ist es leichter, für Respekt und Toleranz einzutreten.“
Die Demonstrierenden in Braunschweig skandieren: „Nationalismus raus aus den Köpfen.“ Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung haben in der Gesellschaft, in den Betrieben nichts verloren. Die IG Metall steht für Solidarität und Menschlichkeit. „Gerade als Gewerkschafter und als Eltern haben wir einen Auftrag“, sagt der Familienvater, „und mit der Historie des Nationalsozialismus in Deutschland auch eine besondere Verantwortung: So etwas darf nie wieder vorkommen.“