„Statt um Entlassungen
muss es um Kurzarbeit mit
Qualifizierungen und den
Abbau von Fremdkapazitäten
gehen.“
Es wird ein Schiff weniger. Hier in den riesigen Hallen der Meyer Werft in Papenburg bauen die Metallerinnen und Metaller in diesem Jahr nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe, nicht drei, wie geplant. Die Schiffbauindustrie ist durch Covid-19 noch tiefer in die Krise gerutscht. Gerade Kreuzfahrtschiffe werden derzeit kaum bestellt.
Die Geschäftsführung der Meyer Werft hat bereits angekündigt, dass sie 40 Prozent der Kapazitäten abbauen will. Die Hallen sind deutlich leerer als sonst. Viele Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.
In der großen Halle ist aber noch einiges los. Auf dem 348 Meter langen Kreuzfahrtschiff Odyssey of the Seas wirken die Menschen klein wie Ameisen – die allerdings Atemschutzmasken und bunte Helme tragen. Und die Farbe der Helme offenbart das Problem: Unter den gelben Helmen stecken in der Regel Stammbeschäftigte der Meyer Werft. Weiße, grüne, blaue oder rote Helme tragen die Beschäftigten von Fremdfirmen, die über Werkverträge für die Werft arbeiten.
Nur rund die Hälfte der derzeit fast 7000 Beschäftigten hier sind Stammbeschäftigte der Meyer Werft. Die übrigen kommen von Werkvertragsfirmen, viele aus Osteuropa, zu Billiglöhnen.
Oft machen die Werkvertragsbeschäftigten die gleiche Arbeit wie die Stammbelegschaft. Eigentlich sind sie nur hier, um Auftragsspitzen zu bewältigen – sagt die Geschäftsführung. Doch in den vergangenen Jahren haben sie zunehmend Stammbeschäftigte verdrängt.
Der Betriebsrat und die IG Metall befürchten, dass die Geschäftsführung nun die Coronakrise nutzt, um die Stammbelegschaft weiter abzubauen. Die Beschäftigten machen sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze.
„Viele haben Existenzängste. Und alle sehen ja, dass immer mehr Fremdfirmen da sind“, sagt ein Schiffbauer, der seit 43 Jahren bei der Meyer Werft arbeitet. „Komplexe Arbeiten machen wir selbst. Das muss auch so bleiben. Und wir wollen unsere Tarifverträge behalten.“
Die Verhandlungen laufen. Betriebsrat und IG Metall wollen die Stammbelegschaft und ihr Know-how halten.
„Die Stammbeschäftigten mit ihren langjährigen Erfahrungen stehen für den Erfolg der Werft“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Nico Bloem. „Statt um Entlassungen muss es deshalb um Kurzarbeit mit Qualifizierungen und den Abbau von Fremdkapazitäten gehen.“
Um die Arbeitsplätze auf der Werft zu sichern, sind Bloem und Thomas Gelder, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Leer-Papenburg, fast täglich in Kontakt mit Politikern. Bei einem runden Tisch zur Zukunft des Kreuzfahrtschiffbaus in Niedersachsen sagte Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) bereits Unterstützung für die Meyer Werft zu.
Im Gegenzug erwarten die Beschäftigten, dass die Meyer Werft in der Corona-Krise zu ihnen steht. „Wer Geld vom Staat bekommt, darf keine Stammarbeitsplätze abbauen“, macht Gelder klar. „Wir wollen mit Kurzarbeit, Qualifizierung und Altersteilzeit gemeinsam durch die Krise.“
„Statt um Entlassungen
muss es um Kurzarbeit mit
Qualifizierungen und den
Abbau von Fremdkapazitäten
gehen.“
„Ich mache das aus Solidarität mit den Werkern in der Produktion. Ohne sie läuft nichts im Betrieb. Meine größte Hoffnung ist die Gründung einer Transfergesellschaft, damit die Beschäftigten Ende des Jahres eine Perspektive haben.“
„Innerhalb von drei Tagen sind fast alle Mitglied bei der IG Metall geworden. Der Organisationsgrad liegt jetzt bei 80 Prozent. Wir machen Aktionen hier in Rödelheim. Die IG Metall hat sich mit dem Aufsichtsrat in Schweden in Verbindung gesetzt und macht Druck über den Europäischen Betriebsrat. Mit so viel Gegenwehr hat der Konzern nicht gerechnet. Für unseren Kampf haben wir großen Rückhalt in der Belegschaft.“
„Ich bin vor 16 Jahren über eine Leihfirma zu Wirthwein gekommen. Wir haben immer gearbeitet, am Wochenende und am Feiertag. Wir haben alles für die Firma gegeben. Dass wir Knall auf Fall unsere Arbeit verlieren, hat uns alle geschockt. Jetzt sind wir in die IG Metall eingetreten. Wir haben uns gesagt, wir müssen aufstehen und kämpfen. Zusammen ist es immer besser.“
Was auf der Meyer Werft droht, erleben Beschäftigte in anderen Betrieben schon jetzt: Arbeitgeber bauen Arbeitsplätze ab, verkünden Schließungen und kündigen Tarifverträge.
Beim Autozulieferer Eberspächer in Esslingen verlautbarte die Werkleitung, dass sie die Fertigung von Standheizungen mit 300 Beschäftigten schließen und verlagern will. Betriebsrat und IG Metall erfuhren davon wenige Stunden vorher.
Eigentlich hat die Geschäftsleitung in einer Vereinbarung unterschrieben, dass es bis Ende 2022 keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll – und der Standort Esslingen zum „Technologiewerk“ weiterentwickelt wird. Die Beschäftigten wollen Widerstand gegen die Schließung leisten. Die IG Metall-Vertrauensleute planen derzeit Aktionen. „Wir werden es nicht einfach hinnehmen, dass Eberspächer die Coronapandemie zum Anlass nimmt, die Fertigung in Esslingen platt zu machen“, erklärt Jürgen Groß von der IG Metall Esslingen. IG Metall und Betriebsrat haben Experten an Bord geholt und arbeiten an einem Konzept zur Fortführung der Fertigung in Esslingen.
Standort Solingen: Der Räderhersteller Borbet hat den Tarifvertrag gekündigt – „auch wegen der durch die Coronakrise entstandenen extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation“. Schichtarbeiter würden dadurch bis zu 1000 Euro im Monat verlieren.
Die Verhandlungen laufen. Nicht nur für Solingen, sondern bundesweit. Die IG Metall fordert Tarifverträge für alle Borbet-Standorte. Die Beschäftigten aller Werke stehen zusammen.
Arbeitgeber wälzen die Folgen der Coronakrise auf die Beschäftigten ab, nutzen sie aus. Gegen diesen Trend hilft nur eins: die Kräfte bündeln, zusammenstehen und kämpfen. In vielen Betrieben überlegen Belegschaften, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, was sie tun können. Manche hatten schon länger das Ziel, einen Betriebsrat zu gründen und mit der Gewerkschaft zusammenzuarbeiten. Die Coronakrise hat das jetzt beschleunigt.
In ihrer Not wandten sich die Beschäftigten des hessischen Automobilzulieferers Wirthwein an die IG Metall. Anfang Mai standen sie bei Uwe Zabel vom Bezirk Mitte auf der Matte. Das Unternehmen Wirthwein hatte dem Großteil der Beschäftigten gekündigt. Der Standort soll Ende des Jahres fast komplett dichtgemacht werden.
Alle Beschäftigten in der Produktion sind zum 31. Dezember ihren Job los. Die Beschäftigten mussten einzeln zu „persönlichen Gesprächen“ erscheinen. Dort bekamen sie ihre Kündigung ausgehändigt.
„Das ist eine Riesensauerei, dass wir alle entlassen sind, ohne einen Cent Abfindung“, schimpft Katrin Roob. „Weil wir uns das nicht gefallen lassen, haben wir uns an die IG Metall gewandt.“ Katrin klagt gegen ihre betriebsbedingte Kündigung mit dem DGB Rechtsschutz.
In dem nicht tarifgebundenen Unternehmen gab es vor dem Ausspruch der Kündigungen keinen Betriebsrat. Die Beschäftigten haben sich jetzt fast vollständig in der IG Metall organisiert. Die IG Metall hat den Arbeitgeber an den Verhandlungstisch gezwungen. Ziel ist eine sozialverträgliche Lösung durch eine Transfergesellschaft, die betriebsbedingte Kündigungen verhindert und eine Perspektive für die Betroffenen schafft. Jens Kiehm, 42, tritt bei den Betriebsratswahlen auf der Liste der IG Metall an. Der gelernte Werkzeugmacher arbeitet als Abteilungsleiter bei Wirthwein. Kiehm ist zu 60 Prozent schwerbehindert, aber das hat ihn nicht abgehalten, in den vergangenen Wochen zu kämpfen.
Ende Mai stand die Nachtschicht still und alle Maschinen ruhten. Alle Versuche, die Arbeitsniederlegung mithilfe externer Streikbrecher zu unterlaufen, scheiterten kläglich. Obwohl die Aktionen unter erschwerten Coronabedingungen ablaufen, gelingen sie hervorragend und finden große Resonanz in der Öffentlichkeit: der Sitzstreik vor dem Betrieb und der Autokorso zum Arbeitsgericht in Fulda. Während des Autokorsos hielten alle am „IG Metall-Drive-in“ am Straßenrand an und bekamen Verpflegung für den Kampf ins Auto gereicht. Die Betroffenen haben einen Wäschekorb von Klagen in den Fristbriefkasten des Arbeitsgerichts geworfen. Nun sind die Massenklagen auf dem Weg.
Auch die Firma Günther & Co in Frankfurt ist so ein Fall. Der Betrieb will ausgerechnet in der Coronakrise seine Leute loswerden. Obwohl das Unternehmen, das Bohrwerkzeuge herstellt, gute Gewinne macht. Günther & Co gehört zum schwedischen Sandvik-Konzern. „Das vergangene Jahr war mit 20 Prozent Gewinn besonders gut“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Thomas Diener.
Dass das Unternehmen die coronabedingte Situation ausnutzt, um die Produktion ins Ausland zu verlagern und dort eine noch höhere Gewinnmarge zu erzielen, empört die Belegschaft aufs Äußerste. Die IG Metall hat ein Wirtschaftsgutachten erstellen lassen und Alternativen entwickelt, wie der Standort und die Arbeitsplätze erhalten werden können. Der Konzern schlägt alle Argumente in den Wind. „Kein Mensch versteht, warum der Standort geschlossen werden soll“, sagt Michael Erhardt von der IG Metall Frankfurt. „Wenn sie trotzdem zumachen, werden wir einen Sozialplan erkämpfen, der richtig teuer wird.“