Sieben Wochen haben sich die Kolleginnen und Kollegen nicht gesehen, jetzt, kurz vor Ende ihrer ersten Schicht nach einer langen Pandemie-Pause, herrscht ausgelassene Stimmung am Band von Daimler in Düsseldorf. „Wir sind alle froh, wieder hier zu sein“, sagt Ali Dede, der als Meister im Bereich „Finish“ mit seinem Team letzte feine Arbeiten an den Fahrzeugen macht, bevor diese an die Kunden gehen. „Denn hiermit“, sagt er und zeigt auf die Transporter des Modells Sprinter, die langsam auf dem Band an ihm vorbeiziehen, „hiermit verdienen wir schließlich unser Geld“. Und er ergänzt: „Das darf man nicht vergessen.“
Er war eine lange Zeit für viele Beschäftigte der IG Metall-Branchen in Nordrhein-Westfalen. Eine Zeit der Ungewissheit und des Ausnahmezustands. Eine Umfrage unter Betriebsräten der IG Metall-Branchen ergab, dass in den Wochen der Pandemie zeitweise in rund 55 Prozent der Betriebe in irgendeiner Weise Kurzarbeit angewendet wurde. Gerade die Automobilindustrie und deren Zulieferfirmen waren stark betroffen. Die großen Autowerke wie Ford in Köln oder Daimler in Düsseldorf legten ihre Produktion komplett still. Weltweit waren deren Lieferketten ins Stocken geraten oder zum Erliegen gekommen, es fehlte an Teilen, und Autos fanden ohnehin keine Käufer.
Jetzt geht es also wieder los, viele Unternehmen haben im Mai ihre Produktion hochgefahren, und ein Stück Normalität kehrt zurück. Die Beschäftigten freut es. „Die Stimmung ist auffallend gut“, sagt Rita Conrads-Mengewein, Vertrauensfrau und Betriebsrätin. „Ich war wirklich überrascht.“ Die Kolleginnen und Kollegen „haben sich gefreut, wieder hierherzukommen“. Vielleicht, mutmaßt sie, ging es vielen wie ihr selbst. „Mir fehlten die Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen.“
Dabei hatte Rita Conrads-Mengewein genug zu tun. Sie war nicht in Kurzarbeit, sondern hat viel im Homeoffice gearbeitet. Und als Betriebsrätin „konnte ich mich über mangelnde Arbeit nicht beschweren“. Denn während die Produktion bei Daimler ruhte, hatten die Betriebsräte der IG Metall eine außergewöhnliche Aufgabe: Sie mussten gemeinsam mit der Geschäftsleitung das Wiederhochfahren der Produktion vorbereiten. Die Pandemie-Pause nutzten sie, um das Werk fit zu machen für einen Arbeitsalltag mit verschärften Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz.
Schon an ihrem ersten Arbeitstag merken nun die Daimler-Beschäftigen: Arbeiten in der Pandemie funktioniert anders als in normalen Zeiten. Noch bevor sie an ihren gewohnten Arbeitsplatz gehen können, werden sie eine Stunde lang unterwiesen. „Ausnahmslos“, betont Helmut Bauer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und Vertrauenskörperleiter, und natürlich „vernünftig organisiert und so, dass sich nicht irgendwo Trauben von Menschen bilden konnten“.
Abstand halten ist in Corona-Zeiten oberstes Gebot am Arbeitsplatz. In der Lehrwerkstatt etwa ist an den Werkbänken jeder zweite Arbeitsplatz gesperrt, und im Pausenraum sind die Tische auseinandergerückt. Die Auszubildenden arbeiten in zwei Schichten. Die frühe beginnt um 7 und endet vor 11 Uhr; die späte beginnt erst nach 11 Uhr. So werden Kontakte reduziert. Wegen der verkürzten Arbeitszeit müssen die Auszubildenden auch zu Hause noch etwas tun. „Damit geben wir ihnen auch ein Stück Eigenverantwortung für ihre Ausbildung“, betont Metin Duman, Vertrauenskörperleiter der IG Metall.
Wie bei den Auszubildenden gilt für das gesamte Werk: Die Schichtwechsel finden zeitlich entzerrt statt, damit Kontakte minimiert werden. Auch arbeiten die Kolleginnen und Kollegen, wo immer möglich, in möglichst festen Schicht-Teams. Hygiene ist ein weiteres wichtiges Thema. In der Produktion wurden zusätzliche Waschbecken aufgestellt, und bei der Berechnung der Vorgabezeiten werden jedem Beschäftigten 15 Minuten Hygienezeit am Tag zugesprochen. Duschen ist grundsätzlich untersagt und nur in ganz speziellen Fällen zulässig. Auch das Thema Atemmaske ist geregelt: Sie muss dort getragen werden, wo ein Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, ist also nicht generell Pflicht. „Wenn zum Beispiel ein Kollege weit genug entfernt von allen anderen an seinem Arbeitsplatz ist, kann er die Maske abnehmen“, erläutert Betriebsrätin Conrads-Mengewein. Es gibt Spuckschutzwände, und die grifflosen Türöffner produziert der Betrieb selbst im 3-D-Drucker.
Mehr als 100 solcher Einzelmaßnahmen umfasst der corona-bedingte Arbeitsschutz-Katalog bei Daimler in Düsseldorf. Das Werk gilt damit als vorbildlich. „Bei Daimler wird der Arbeits- und Gesundheitsschutz einfach konsequent umgesetzt“, lobt Thomas Weilbier, bei der IG Metall NRW in Düsseldorf für Arbeits- und Gesundheitsschutz zuständig. Auch der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Andreas Pinkwart hat das Werk schon besucht.
Die Planung und Umsetzung in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz geschah dabei in enger Zusammenarbeit von Betriebsrat und Geschäftsführung. Beide Seiten loben die gute Zusammenarbeit. „Wir sind als Gemeinschaft definitiv näher zusammengerückt“, erklärt Produktions- und Standortleiter Armin Willy. Auch Betriebsrätin Rita Conrads-Mengewein freut sich über ein gewachsenes Gemeinschaftsgefühl. „Wir sprechen mit einer Sprache“, sagt Daimler-Betriebsrat Helmut Bauer.
Für Helmut Bauer liegt der Schlüssel zu einem erfolgreichen Arbeitsschutz-Konzept in einer systematischen Vorgehensweise. „Wir haben uns jede Abteilung, jeden Arbeitsplatz genau angeschaut und überlegt: Was können wir hier machen? Was ist sinnvoll?“, erklärt er. Dabei wurde jeweils eine sogenannte Gefährdungsbeurteilung erstellt und anschließend konkret festgelegt, was zu tun ist.
Mitbestimmung hat sich gerade in Zeiten der Krise bewährt, betont auch Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW, und verweist auf die Umfrage unter Betriebsräten. Demnach gibt es in 91 Prozent der Unternehmen irgendeine Form von Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zum Umgang mit der Pandemie. „Gerade jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, dass wir in den Betrieben schnell und mit dem richtigen Fachwissen zum Wohle beider Seiten handeln können.“