„35 – im Osten geht die Sonne auf“ ist auf dem Schild zu lesen, das fast 500 Delegierte beim Gewerkschaftstag in die Höhe strecken. Sie senden damit eine eindeutige Botschaft: Die 35-Stunden-Woche für die Beschäftigten in Ostdeutschland, die Angleichung der Arbeitsbedingungen an den Westen, ist 30 Jahre nach Mauerfall überfällig. Die Kolleginnen und Kollegen in den neuen Bundesländern erfahren in Nürnberg große Solidarität für ihr Anliegen, von den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie nicht länger als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden.
„Das berechtigte Drängen der Belegschaften, endlich zu gleichen Tarifbedingungen in Ost und West zu kommen, braucht Ergebnisse, und dies zeitnah“, erklärte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, auf dem Gewerkschaftstag. „Wir werden bei dieser Frage nicht lockerlassen. Die IG Metall hat sich auf den Weg gemacht, und sie wird den Weg mit Erfolg abschließen. Die 35 muss auch für Ostdeutschland die Tarifnorm werden.“
Die Metall-Arbeitgeber verweigern dieses Ziel nach wie vor. Stattdessen haben sie mit ihrem Entwurf eines „TV Future“ zum Frontalangriff auf den Flächentarifvertrag in Ostdeutschland geblasen. Ihr „Angebot“ beinhaltet das klare Verlangen nach Arbeitszeitverlängerung bei gleichzeitiger Lohnkürzung. Dazu fordern sie, die Hoheit über die Festlegung der Wochenarbeitszeit aus dem Flächentarifvertrag auf die Betriebsparteien zu verlagern. „Eine solche Deregulierung des Flächentarifvertrags ist mit uns nicht zu machen“, erklärt Olivier Höbel, Bezirksleiter der IG Metall in Berlin-Brandenburg-Sachsen.
Nach einem inzwischen anderthalbjährigen Verhandlungsmarathon in unterschiedlichen Formaten stand am 30. September – nach einem erneut zehnstündigen Gespräch – die Erkenntnis, dass die Arbeitgeber „die 35-Stunden-Woche nicht wollen“, sagt Olivier Höbel. „Damit haben sie eine historische Chance für die soziale Einheit vertan.“
Die IG Metall hat die Gespräche am letzten Septembertag in dieser Form für beendet erklärt. Die Arbeitgeber ließen keinerlei Bereitschaft erkennen, die in der Woche zuvor mündlich erzielten Verhandlungsstände zu fixieren. Außerdem zogen sie mündlich getroffene Zusagen erneut zurück. Auch die zunächst bekundete Bereitschaft, am Ende eines über zehnjährigen Einführungszeitraums zum 1. Januar 2031 die verbindliche Einführung der 35-Stunden-Woche im Flächentarifvertrag zu garantieren, kassierten sie wieder ein.
„Wir lassen die Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung“, sagt Olivier Höbel. „Wir werden die Arbeitszeit jetzt Betrieb für Betrieb angehen.“ Am 18. Oktober fand in Leipzig ein erstes Treffen der betrieblichen Tarifkommissionen statt, anschließend wurden die Unternehmen einzeln und schriftlich zu Verhandlungen um die 35-Stunden-Woche aufgefordert. „Jetzt kommt es auf die Durchsetzungsfähigkeit der Belegschaften an“, so Höbel.
Die gesamte IG Metall steht hinter dieser Forderung. Eindeutig ging dieses Signal auch vom Gewerkschaftstag aus. In ihrer Abschlussrede hat die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, betont: „Ganz oben auf unserer Liste steht die 35-Stunden-Woche im Osten, Kolleginnen und Kollegen. Lasst uns das anpacken.“
Immer auf dem Laufenden Die IG Metall hat 2018 und 2019 fünf Versuche gemacht, unter Friedensbedingungen eine Lösung in der Angleichung der Arbeitsbedingungen zu erreichen. Alle Informationen zur Auseinandersetzung um die Einführung der 35-Stunden-Woche und aktuelle Entwicklungen gibt es im Internet: igmetall-bbs.de