1. November 2020
Jacqueline Sternheimer
Ehrenamt
Hertas Haus in Ghana
Eine Betriebsrätin in Rente? Herta Everwien mag in den Ruhestand gehen, aber viel vor hat sie nach wie vor. Die Ostfriesin kann sich nun endlich voll und ganz ihrem Lebensprojekt widmen: dem Bau eines Waisenhauses in Ghana.

Ihr Lebensmotto zeigt, dass der Name hier Programm ist: „Das Leben ist hart, aber ich bin Herta.“Herta Everwien ist Ostfriesin und wohl das, was sich viele unter einem Original unter den Metallern und Metallerinnen vorstellen: Sie ist bekannt für ihr Engagement als Betriebsrätin, sie hat als Vertrauensfrau für jeden und jede ein offenes Ohr. Sie setzt sich für andere ein und sie kann wirklich wütend werden, wenn ihr Ungerechtigkeit begegnet. Nun geht Herta nach 38 Jahren bei VW in Emden in Rente. Endlich Yoga, Cocktails schlürfen und dem Canastaklub beitreten? Nix da! „Ruhe“ ist Hertas Wunsch auch im „Ruhestand“ sicher nicht. Die Frau mit der rauchigen, tiefen Stimme, die so gut zu ihrer direkten, norddeutschen Art passt, hat einiges vor. Ihre erste Amtshandlung in Rente wird ein Flug nach Ghana sein. Hier wird sie keinen Urlaub machen, sondern ihr Herzensprojekt vorantreiben: den Bau eines Waisenhauses für Kinder, die auf der Straße leben.

Herta meint es ernst, wenn sie etwas anpackt. Das zeigt auch dieses Projekt. „Oft denken die Leute zu viel nach. Wenn ich zu viel nachgedacht hätte, wäre dieses Haus nie gebaut worden“, sagt die Metallerin über das Waisenhaus in Cape Coast, einer ghanaischen Stadt am Golf von Guinea. „Ich bin da naiv rangegangen und ich mache das naiv fertig.“ „Naiv“ wirkt das fast einzugsbereite, bunte Haus, in dem rund 80 Kinder ein Zuhause finden werden, ganz und gar nicht. Die Anfänge hingegen klingen durch und durch abenteuerlich.

Begonnen hat alles vor fast 25 Jahren. Herta besuchte 1996 erstmals die Heimat Ghana ihres damaligen Lebenspartners. „Davor habe ich einmal einen Mallorcaurlaub gemacht. Ich kannte die Welt überhaupt nicht.“ Die ersten drei Tage wollte sie einfach nur wieder nach Hause an die Nordsee. „Aber dann habe ich mich in Land und Leute verliebt“, sagt sie heute. Jedes Jahr flogen sie, wenn möglich, wieder hin. „Die erste Zeit bist du ja Touristin, da siehst du nur das Bunte und Schöne.“ Bezaubert haben sie vor allem die Menschen. „Das sind wunderbare Menschen dort. Viele haben nichts und doch sind sie immer fröhlich, immer freundlich. Ich habe da so viel Gutes erlebt.“

Hinter die Kulissen schauen, nicht nur Touristin sein, heißt auch die Schattenseiten eines Ortes kennenzulernen. Herta haben die Kinder, die verwaist auf der Straße leben und aufs Betteln angewiesen sind, tief berührt. Zu Beginn kochte sie für die hungrigen Mädchen und Jungen, „aber irgendwann uferte das aus“, erinnert sich Herta. Als sie eine befreundete Sozialarbeiterin in einem staatlichen Waisenhaus besuchte, wollte sie ihren Augen nicht trauen.


IG Metall-Vertrauensleute stehen hinter Herta

„Dort lebten bis zu zwölf Kinder auf acht Quadratmetern, ohne sanitäre Anlagen.“ Herta rannte raus. Tränen flossen. Dann reiste sie mit einer Ansage zurück zu ihren IG Metall-Vertrauensleuten. „Wir müssen etwas tun. So dürfen doch keine Kinder leben.“

Die Vertrauensleute stimmten Herta nach ihren Erzählungen zu und unterstützen sie seitdem in ihrem Plan, ein Zuhause für einige dieser Kinder zu bauen. „Natürlich wissen wir, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist“, sagt Herta. Sie können nicht allen helfen, aber es geht ihnen darum, den Kindern, denen sie es ermöglichen können, eine Zukunft zu bieten. Um die Kinder von der Straße vor Zwangsprostitution und Sklaverei zu bewahren, können ein Zuhause und Schulbildung notwendige Schutzräume bieten.

Also gründete Herta mit ihren Vertrauensleuten einen Verein namens „Villa 4 Kids Life“ (angelehnt an das Kürzel für Vertrauenskörperleitung VKL). Mit Kaffee- und Kuchenverkäufen, aber auch mit der Unterstützung von Betrieben und Sponsoren sammelte der Verein immer wieder Summen im Tausenderbereich. Wenn sie genug zusammen hatte, flog Herta wieder nach Ghana, um den Weiterbau zu betreuen. Kein Stein wurde gelegt, wenn Herta nicht selbst vor Ort war, um sicherzustellen, dass die Mittel zu Hundert Prozent in das Projekt fließen.


Rentnerleben auf zwei verschiedenen Kontinenten

Jetzt fehlt nur noch das zweite Stockwerk. Doch das notwendige Geld dafür hat Herta längst gesammelt. Wenn sie Ende Oktober oder Anfang November – wenn SARS-CoV-2 das zulässt – wieder zurück nach Cape Coast reist, wird sie es fertigstellen – ihr Lebensprojekt. Dann gibt es 13 Schlafräume für die Kinder. Eine Biogasanlage und Solarzellen auf dem Dach werden auch noch gebaut.

Doch das Ende ist erst der Anfang. „Das wird natürlich die größte Aufgabe werden, dort eine richtige Struktur reinzubringen“, sagt Herta. In jedes der Zimmer wird eine Erzieherin mit einziehen, die gemeinsam mit den Kindern kocht, den Haushalt betreut und auch dafür sorgen wird, dass die Kinder zur Schule gehen. „Die laufenden Kosten für so ein Haus, sobald es einmal bewohnt ist, sind natürlich immens“, weiß Herta.

Angst, alleine dazustehen, hat sie aber nicht. Denn sie weiß, dass der Verein der Vertrauensleute hinter ihr steht. Überall, wo die Vereinsmitglieder hinkommen, bringen sie das Projekt mit ein: „Wir als VKL haben sehr viele Kontakte, sind bei Veranstaltungen und politischen Diskussionen dabei. Dort sorgen wir dafür, dass das Projekt in aller Munde ist. Den Auftrag hatten wir in der Vergangenheit und den sehen wir auch genauso in der Zukunft“, sagt Sven Grammel, Hertas Nachfolger als Leiter des Vertrauenskörpers bei VW in Emden und stellvertretender Vorsitzender von „Villa 4 Kids Life“.

Auch wenn Herta ihre Aufgaben als Vertrauenskörperleiterin an Sven abgegeben hat, bleibt sie Metallerin durch und durch. Das Projekt, das in Ghana auf sie wartet, hat für die künftige Rentnerin sehr viel mit ihren Erfahrungen dort zu tun: „Ich habe im Laufe meiner IG Metall-Laufbahn so viele tolle Menschen kennengelernt, die sich natürlich in erster Linie für den Betrieb, Tarifverträge und Lebensqualität im Arbeitsalltag einsetzen, die aber eben auch für alle Menschen da sind. Da machen wir gar keine Unterschiede“, sagt Herta, die künftig die Hälfte ihres Jahres in Ghana und die andere Hälfte in Emden verbringen wird.


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