Die meisten Unternehmen sind bislang gut mit Kurzarbeit ohne Entlassungen durch die Corona-Krise gekommen. Seit Sommer erholt sich die Produktion wieder. 8,6 Prozent der Betriebe sind schon wieder voll ausgelastet. Das zeigt eine IG Metall-Umfrage.
Dennoch wird der Wind rauer: Immer mehr Unternehmen wollen Personal abbauen. „Wegen Corona“, heißt es oft. Einige haben echte Probleme. Doch andere nutzen die Situation einfach aus, verlagern, schließen, um einfach mehr Profit zu machen. In neue Technologien, in die Arbeitsplätze der Zukunft wollen sie nicht investieren. Das zeigen Erhebungen der IG Metall: 50 Prozent der Unternehmen haben keinen Plan für die „Transformation“ – den Strukturwandel durch Digitalisierung und den Umstieg auf Elektroautos. Sie pressen lieber noch die letzten Reste heraus.
Nachdem es zunächst Leiharbeiter und Befristete erwischte, bauen bereits 15,5 Prozent der Betriebe auch Stammbeschäftigte und Auszubildende ab.
Die Beschäftigten wehren sich, gemeinsam mit der IG Metall. Und bald werden alle zusammen für gemeinsame Forderungen antreten: Ab Dezember führt die IG Metall wieder Tarifverhandlungen, zunächst in der Metall- und Elektroindustrie, in der Textil- und Bekleidungsindustrie und bei VW. Im Frühjahr 2021 geht es dann auch in der Stahlindustrie los.
Die Mitglieder der IG Metall in den Betrieben diskutieren gerade, was sie von den Arbeitgebern fordern sollen. Mitte Oktober haben die Tarifkommissionen die bisherigen Diskussionen zusammengefasst. Die Top-Themen: die Sicherung der Einkommen – Geld für die Beschäftigten, um ihre Kaufkraft und damit die Wirtschaft zu stützen. Vor allem jedoch die Sicherung der Arbeitsplätze. Jetzt – und für die Zukunft.
Ende November entscheiden die Tarifkommissionen der IG Metall über die konkreten Tarifforderungen für die Metallindustrie und die Textilindustrie.
Die Mitglieder der Tarifkommissionen sind überwiegend Betriebsräte und IG Metall-Vertrauensleute aus den Betrieben, die auf Versammlungen vor Ort gewählt werden. Viele von ihnen kämpfen gerade um ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft. Wir haben vier von ihnen besucht.
Wilvorst, Northeim
Sie haben einen Sarg gebastelt, in dem sie ihr 104 Jahre altes Werk symbolisch zu Grabe tragen. So nicht. Sie kämpfen um ihre Arbeitsplätze, mit einer Demo vor dem Tor.
Der Herrenanzughersteller Wilvorst will die Produktion am Stammsitz im niedersächsischen Northeim mit 220 Beschäftigten schließen und in Billiglohnländer verlagern. Weil’s halt billiger ist.
„Wegen Corona, haben sie gesagt“, erzählt Betriebsrätin Regina Ries. Sie arbeitet als Näherin hier, seit 35 Jahren. Und sie ist Mitglied der bundesweiten Tarif- und Verhandlungskommission der IG Metall für die Bekleidungsindustrie.
Dass die Umsätze wegen Corona einbrechen, ist für Regina Ries nicht überraschend. Seit der alte Firmenchef 2018 in den Ruhestand ging, hat das neue Management alles komplett auf das Kerngeschäft ausgerichtet: Hochzeitsanzüge. Das läuft eher schlecht in Coronazeiten.
„Wir wollen unseren Stoff zurück“
Früher hat Wilvorst sich breiter aufgestellt und andere Alternativen geschneidert, etwa Uniformen. Auch hier setzt das Konzept an, das der Betriebsrat gemeinsam mit der IG Metall Süd-Niedersachsen-Harz und Wirtschaftsberatern erarbeitet hat: öffentliche Aufträge, Uniformen für Feuerwehren, Polizei oder Sportvereine, Masken und andere Hygieneschutzkleidung. „Doch genau das will das Management bisher nicht hören“, kritisiert Regina Ries. „Sie sind gar nicht bereit, Alternativen zu suchen und sich breiter aufzustellen.“
(Foto: Hubert Jelinek)
Im Juli hat schon der „Testlauf“ für die Schließung begonnen: „Kurzarbeit null“ in Northeim. Den Test lässt sich das Management von der Arbeitsagentur mit Kurzarbeitergeld subventionieren. Aufträge gehen nur noch an die ausländischen Standorte.
„Dort ist die Qualität nicht so gut wie in Northeim. Wir mussten immer wieder nacharbeiten“, meint Regina Ries. Das ‚Made in Germany‘ würden sie mit der Produktionsschließung aufgeben. Stattdessen will Wilvorst mit „Green Wedding“ punkten. „Nachhaltig“ und „mit kurzen Transportwegen“ – aus Südosteuropa.
Sie kämpfen um ihre Arbeitsplätze bei Wilvorst. „Deshalb ist Beschäftigungssicherung für uns wichtiger denn je in der anstehenden Tarifrunde“, meint Regina Ries. „Arbeitsplätze sichern. Das wollen wir auch über Verbesserungen bei der tariflichen Altersteilzeit erreichen. Wir haben einen hohen Altersschnitt. Der Großteil unserer Beschäftigten wird bis zur Rente keinen Job mehr finden. Wir müssen es schaffen, ihnen einen früheren Altersausstieg zu fairen Bedingungen zu ermöglichen.“
Regina Ries, Wilvorst, Northeim, näht hier seit 35 Jahren Herrenanzüge. Sie ist Vorsitzende des Betriebsrats und Mitglied der zentralen Verhandlungskommission der IG Metall für die Textil- und Bekleidungsindustrie.
Mahle, Mühlacker
2000. So viele Arbeitsplätze will der Autozulieferer Mahle in Deutschland abbauen, 211 davon im Werk Mühlacker bei Pforzheim und in Vaihingen. Betroffen ist jede sechste Stelle. Dabei brummt die Produktion wieder, nach dem Coronaeinbruch und der Kurzarbeit im ersten Halbjahr.
„Unsere Leute arbeiten rund um die Uhr, samstags, sonntags. Und sie fragen sich: Wieso reden die von Abbau?“, ärgert sich die Betriebsratsvorsitzende Nektaria Christidou, die auch Mitglied der Metall-Tarifkommission in Baden-Württemberg ist. „Sie haben uns nicht gesagt, welche Tätigkeiten, aus welchen Bereichen und warum. Es hieß einfach: 211. Basta. Wir, die Betriebsräte bei Mahle und die IG Metall, haben gesagt: Legt erst mal Zahlen vor, bevor wir verhandeln.“
Vor allem wollen die Beschäftigten auch wissen, wie es denn in Zukunft beim „Kolben-Mahle“ weitergehen soll. In Mühlacker und Vaihingen fertigen sie Viskokupplungen, Kühler und Thermostate und Ventile für Verbrennermotoren. Das Einzige, was hier für Elektroautos produziert wird, sind Kühlungen für Batterien. Das würde der Betriebsrat gerne ausbauen – und neue Produkte an den Standort bringen. Bei der dafür nötigen Qualifizierung hat der Betriebsrat schon einiges erreicht: Demnächst starten Fortbildungen in Robotik, 3-D-Druck und Informatik.
Foto: Joachim E. Roettgers/GRAFFITI
Doch neue Produkte kommen nicht. Dabei hat das Mahle bereits 2016 zugesagt. Nichts. Nur immer wieder Abbau. „Sie lutschen den Verbrenner bei uns bis auf den letzten Kolben aus“, kritisiert Nektaria Christidou. „Die Nachfolgeprodukte gehen dann in Billiglohnländer.“
Die Beschäftigten lassen sich nicht auspressen. Sie kämpfen für ihre Zukunft, mit Demos und Menschenkette, unter dem Motto „Zukunft statt Abzocke“.
„Die Beschäftigten erwarten sichere Arbeitsplätze und Investitionen in neue Technologien“, macht Nektaria Christidou klar. „Und sie wissen, dass sich Arbeitsplätze nur halten lassen, wenn wir Arbeitszeiten reduzieren können, möglichst mit einem teilweisen Lohnausgleich. Das bringe ich auch in die Diskussion unserer Forderungen für die Tarifverhandlungen in der Tarifkommission ein.“
Nektaria Christidou, Mahle, Mühlacker ist Betriebsratsvorsitzende bei Mahle Behr in Mühlacker und Vaihingen – und Mitglied der großen Tarifkommission der IG Metall für die Metallindustrie in Baden-Württemberg. Sie hat bereits eine Standortschließung erlebt: 2018 machte Mahle den Standort Kornwestheim dicht und teilte die Belegschaft auf die Standorte Stuttgart und Mühlacker auf. 1999 fing Nektaria in der Fertigung in Kornwestheim bei Mahle Behr an. Sie bildete sich weiter, stieg auf – doch die geschönten „Betriebsklimaanalysen“, die sie für die Personalabteilung machte, ärgerten sie. Nektaria kandidierte für den Betriebsrat und wurde 2002 zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt.
Gestamp, Bielefeld
Eigentlich sollten die 1250 Beschäftigten bei Gestamp in Bielefeld keine Angst um ihre Arbeitsplätze haben. Sie stanzen wieder ebenso viele Fahrwerks- und Karosserieteile wie vor Corona. Und ihre Produkte werden auch für die Elektroautos der Zukunft gebraucht.
Trotzdem baut Gestamp Personal in Bielefeld ab. Mitte Oktober kam dann der Hammer: 245 sollen entlassen werden – zwei Drittel davon im indirekten Bereich.
Der Testlauf dafür hat bereits im Sommer begonnen: Überstunden in der Produktion, aber Kurzarbeit im indirekten Bereich, nicht nur in den Büros, sondern auch in der Instandhaltung. Reparaturen werden wegen Personalmangels verschoben, dadurch steigen wiederum die Störungszeiten in der Produktion.
„Der Arbeitgeber wollte damit schon mal testen, wie viel er abbauen kann: 245“, meint Betriebsrat Bayram Öztürk. Er arbeitet selbst im indirekten Bereich, als Planer in der Logistik. Und er ist Mitglied der Metall-Tarifkommission der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. „Kurzarbeit und Personalabbau im indirekten Bereich –Mehrarbeit in der Produktion: Das passt nicht zusammen. Wir sehen da als Betriebsrat einen Missbrauch der Kurzarbeit und rufen die Einigungsstelle beim Arbeitsgericht an.“
Seit 2015 verzichten die Beschäftigten zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze auf einen Teil der Tariferhöhungen. Ihre Löhne liegen mittlerweile 6,1 Prozent unter dem Metalltarif. Im Gegenzug hat Gestamp damals Investitionen zugesichert. Doch neue Maschinen kommen nicht. Qualifizierung gibt es nicht. Stattdessen platziert Gestamp neue Aufträge an billigeren Standorten.
(Foto: Thomas Range)
Dabei erzielt Bielefeld Gewinne – trotz Corona. Doch wohl nicht genug. „Sie wollen 13 Prozent Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Die nutzen die Situation für sich aus und pressen uns aus“, kritisiert Öztürk. „Doch die Beschäftigten wollen nicht länger verzichten, es sei denn die Geschäftsführung legt endlich einen vernünftigen Plan für die Zukunft vor.“
Das wissen die Betriebsräte und die IG Metall-Vertrauensleute aus vielen Gesprächen, die sie gerade im Rahmen der IG Metall-Beschäftigtenbefragung im Betrieb führen.
Folgende Themen bringt Öztürk zur Diskussion in der Tarifkommission mit: neue Instrumente zur Beschäftigungssicherung, etwa durch Reduzierung von Arbeitszeiten – „möglichst mit Qualifizierung“, betont er. „Wir haben viele Angelernte, die wir für die künftige Arbeit weiterbilden müssen.“ Und schließlich wollen die Beschäftigten auch wieder eine Erhöhung ihrer Entgelte, nachdem sie jahrelang verzichtet haben.
Bayram Öztürk, Gestamp, Bielefeld arbeitet seit 32 Jahren bei Gestamp. Er lernte Zerspaner, bildete sich zum Techniker fort und arbeitet heute in der Planung der Logistik. Er ist Mitglied des Betriebsrats und der Metall-Tarifkommission der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. Zum Betriebsrat kam er, weil er sich als Prozessoptimierer im Presswerk in der Wirtschaftskrise für die Qualifizierung der Beschäftigten einsetzte.
GKN Driveline, Offenbach
„Wir arbeiten an Wochenenden und Feiertagen, holen Leiharbeiter – und die Geschäftsführung redet über Personalabbau. Das ist abstrus“, findet Markus Philippi, Betriebsratsvorsitzender beim Autozulieferer GKN in Offenbach und Mitglied der Metall-Tarifkommission der IG Metall in Hessen.
Seit Juli sind sie raus aus der Kurzarbeit. Die Umsätze haben wieder das Niveau vor Corona erreicht. Sie bauen Antriebs- und Längswellen für Verbrennerautos fast aller deutschen Hersteller. Doch der Schein trügt. Die Autobauer füllen schnell wieder die Lager, nach der ersten Corona-Welle. Doch die Produktzyklen der Autos laufen ab 2023 aus. Dann sind keine Aufträge mehr da.
Der Betriebsrat hat Ideen für neue Produkte für die Zukunft, etwa Wellen für Generatoren oder elektrische Getriebe. Doch der Arbeitgeber blockt alles ab. „Der Finanzinvestor Melrose Industries, der uns 2018 gekauft hat, investiert lieber in Billiglohnstandorte“, kritisiert Philippi. „Die quetschen jetzt noch die letzten Reste aus uns raus, wie aus einem nassen Lappen.“
(Foto: Miriam Ott)
Widerstand wäre angesagt bei GKN. Ein Streik würde schnell die Bänder bei den Herstellern leerlaufen lassen. Beim Zulieferer Norma auf der anderen Mainseite in Maintal haben sie das verstanden, sich organisiert und mit Warnstreiks ihre Zukunft erkämpft.
Doch bei GKN sehen viele den Ernst der Lage nicht. Gerade gibt’s doch Arbeit ohne Ende. 2023? „So schlimm wird’s nicht kommen“, meinen die einen, „Was willst Du machen?“, die anderen.
Dabei hat GKN in Offenbach gerade erst kräftig abgebaut – von 1990 Stellen runter auf 1450 – 25 Prozent – die meisten im indirekten Bereich raus, quasi als Test, was noch rauszuquetschen ist, aus immer älteren Maschinen und immer weniger Personal. Und die Unternehmensleitung hat bereits weiteren Personalabbau angekündigt.
Die IG Metall Offenbach organisiert jetzt Widerstand. Die IG Metall-Vertrauensleute im Betrieb führen Gespräche mit ihren Kollegen. Aktionen und Druck auf GKN werden folgen.
„Wir müssen unbedingt eine Beschäftigungssicherung durchsetzen. Immerhin haben wir es schon mal geschafft, unsere 80 Auszubildenden zu halten“, meint Philippi, der hier vor 34 Jahren seine Ausbildung begann. Seine Themen für die Diskussion zu Tarifforderungen sind klar: „Wir brauchen weitere tarifliche Möglichkeiten, um Beschäftigung zu sichern. Dazu gehört auch der Erhalt der Ausbildung, mit sicherer Übernahme in sichere Arbeitsplätze.“
Markus Philippi, GKN, Offenbach hat hier vor 34 Jahren als Auszubildender angefangen. Mittlerweile ist er Betriebsratsvorsitzender und Mitglied der Metall-Tarifkommission der IG Metall in Hessen.