Nackte Zahlen? Ja, die könne man haben: 7,32 Meter Spannweite, 480 Stundenkilometer schnell, ein richtiges Sportflugzeug eben. Darüber hinaus aber ist das Modell, das zeigen allein die leuchtenden Augen von Dr. Peter Wehle, nicht nur ein rasanter Flieger. Es ist eine filigrane Konstruktion, die einen Blick in die Zukunft erlaubt. Zumindest in die Zukunft des Fliegens.
„Innerhalb von nur 24 Monaten werden wir mit unseren Partnern ein voll elektrisch angetriebenes Flugzeug entwickelt haben, mit dem wir eine Reihe von Geschwindigkeits- und Leistungsrekorden brechen wollen“, sagt Peter Wehle, bei Rolls-Royce für die Entwicklung von Flugzeugantrieben zuständig. 6000 Batteriezellen liefern die dafür nötige Energie, mit einer einzigen Ladung wird es möglich sein, von London nach Paris zu fliegen.
Das ist keine Spielerei. Dahinter steht eine strategische Ausrichtung: Rolls-Royce will seine Forschung und Entwicklung an elektrischen und hybriden Antrieben für Flugzeuge intensivieren: Anfang des Jahres hat der britische Triebwerkhersteller bekannt gegeben, die „eAircraft“-Abteilung von Siemens zu kaufen. 180 Menschen an Standorten in Erlangen, München und Ungarn arbeiten dort an der Zukunft des Fliegens ― und die soll klimaneutral und emissionsfrei sein. „Wir glauben, dass rein elektrische Antriebe in absehbarer Zukunft kleinere Flugzeuge antreiben werden“, sagt Peter Wehle.
Klimaneutrales Fliegen ist lebens-, womöglich überlebenswichtig für die Branche, denn der gesamte Luftfahrtsektor wird in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen stehen. Seit Jahren bereits steigt die Zahl der Menschen, die irgendwo auf der Welt in ein Flugzeug steigen. In der kommenden Dekade, davon ist auszugehen, wird Wachstum hauptsächlich in den Schwellenländern, vor allem in China stattfinden. Experten rechnen damit, dass in den nächsten Jahren der Luftverkehr pro Jahr um durchschnittlich vier Prozent zunehmen wird. Die großen Hersteller von Passagierflugzeugen erwarten in den nächsten 20 Jahren eine Verdopplung der weltweiten Flotte. Das Wachstum wird zu einer wachsenden Wertschöpfung, aber auch zur Verlagerung von Wertschöpfungsketten führen. Gegenwärtig tragen rund 850 000 Arbeitsplätze in Deutschland direkt und indirekt dazu bei, eine Wertschöpfung von über 60 Milliarden Euro zu erwirtschaften.
Das Wachstum wird dazu führen, dass Fragen des Klimaschutzes drängend werden ― und der Luftverkehr stärker als bislang anhand seiner Auswirkungen auf die Umwelt beurteilt werden wird. Die Europäische Union (EU) hat hier ambitionierte Ziele formuliert: Bis 2050 sollen die CO2-Emissionen des Flugverkehrs im Vergleich zum Jahr 2000 um 75 Prozent reduziert werden. Der Fluglärm soll im selben Zeitraum um 65 Prozent zurückgehen.
Um diese Ziele zu erreichen, sind Kraftanstrengungen nötig ― vor allem braucht es Innovationen. „Es ist extrem wichtig, in den kommenden Jahren CO2-neutrales Fliegen voranzubringen, um das Klima zu schützen“, sagt Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. „Dazu braucht es Innovationen, dazu müssen mit voller Kraft neue Technologien entwickelt werden. Ohne engagierte Beschäftigte wird das nicht gehen. Sie müssen auf dem Weg mitgenommen und für zukünftige Tätigkeiten qualifiziert werden.“
Elektrische Antriebe können ein lohnender Weg in die fliegende Zukunft sein ― denn, erzählt Andreas Klöckner, Koordinator für elektrisches Fliegen beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), es sind im Wesentlichen drei Vorteile, die diese Technik verspricht: „Erstens ist elektrisches Fliegen lokal emissionsfrei. Das bedeutet, das Flugzeug selbst stößt keine Schadstoffe aus.“ Zweitens sei zu erwarten, dass die elektrischen Antriebssysteme dank der geringeren Anzahl beweglicher Teile weniger Kosten bei Herstellung und Wartung verursachen. „Der dritte Vorteil ist, dass elektrische Antriebe ganz neue Flugzeugkonfigurationen ermöglichen, die den Treibstoffverbrauch, die Emissionen sowie die Lärmentwicklung weiter reduzieren dürften.“ Denkbar seien damit völlig neue Transportleistungen, etwa Lufttaxis.
Noch sind das Visionen. Noch sind auf dem Weg zum elektrischen Fliegen Hürden zu überwinden. Zwar ist es möglich, bis zu vier Personen über mehrere Hundert Kilometer elektrisch zu transportieren. Ein Luftverkehr aber, der darauf ausgerichtet ist, viele Passagiere schnell über weite Distanzen zu befördern, ist derzeit mit elektrischen Antrieben allein noch nicht möglich. Ein Haupthinderungsgrund: Die Batterien sind schlicht zu schwer. „Batterien sind etwa sechzigmal schwerer als Kerosin mit demselben Energiegehalt“, so Andreas Klöckner. „Es gibt kein Patentrezept“, sagt der Forschungs- und Entwicklungschef von Rolls-Royce Peter Wehle. „Wir müssen alle Möglichkeiten untersuchen ― vollelektrische und hybridelektrische Antriebe genauso wie Triebwerke mit höherer elektrischer Leistung zur Versorgung der verschiedenen Systeme an Bord.“ Auch der Einsatz von Wasserstoff sowie die Entwicklung von biologischen und synthetischen Treibstoffen müssen ausgebaut werden. Ziel ist und bleibe das emissionsfreie Fliegen.
Einer der Vorreiter könnte Norwegen sein: Das Land plant die emissionsfreie Luftfahrt ab 2040. Doch auch die großen Flugzeugbauer steuern um: Airbus-Chef Guillaume Faury beispielsweise hat angekündigt, ab dem nächsten Jahrzehnt elektrische Antriebe einführen zu wollen.
Bis elektrisches Fliegen jedoch flächendeckend möglich ist, dürfte es noch Jahrzehnte dauern. „Flugzeuge, die heute ausgeliefert werden, fliegen in der Regel 25 bis 30 Jahre“, sagt DLR-Luftfahrtvorstand Rolf Henke. Umso wichtiger sei, die Entwicklung voranzutreiben und die neuen Maschinen zügig auf den Markt zu bringen. „Die Technologien für elektrisches Fliegen müssen heute entwickelt werden, um in der nächsten Flugzeuggeneration verfügbar zu sein. Unsere Vision ist das Zero Emission Aircraft, ein Flugzeug, das sich durch einen klimaneutralen Produktlebenszyklus auszeichnet. Damit wäre komplett klimaneutrales Fliegen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts möglich.“
Die Entwicklung neuer Technologien ist das eine. Mindestens ebenso wichtig ist, die Beschäftigten auf dem Weg ins elektrische Zeitalter mitzunehmen. Bei Rolls-Royce in Oberursel tun sie das: Rund 1200 Menschen arbeiten am Standort, die Beschäftigten produzieren hauptsächlich rotierende Bauteile und „Blisks“, hochkomplexe Komponenten für konventionelle Triebwerke, bei denen Scheibe und Schaufel aus einem Stück gefertigt werden.
„Die heutige Fertigungstechnologie ermöglicht, Triebwerksbauteile herzustellen, die einen bis zu 15 Prozent effizienteren Flugbetrieb ermöglichen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Rolf-Dieter Dreyer. Mit den Komponenten sei es möglich, Kraftstoffverbrauch und somit die CO2-Emissionen etwa des Airbus A350 zu senken. „Die Beschäftigten sind stolz auf ihre Arbeit. Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass sie das auch weiter sind.“
Qualifizierung und stetige Weiterentwicklung ist daher elementar ― das beginnt bei den Auszubildenden. „Wir stellen hier jedes Jahr 18 junge Menschen ein, die meisten von ihnen lernen Industrie- oder Zerspanungsmechaniker“, sagt Rolf-Dieter Dreyer. „Die jungen Leute wissen, dass die Zukunft das elektrische Fliegen ist und dass diese Zukunft früher kommen kann als gedacht. Aber sie freuen sich, mit dabei zu sein.“