Die Demonstrierenden ziehen zum Deutschen Bundestag: Die Reihen sind breit, die Stimmen laut. Konfetti fliegt durch die Menge, Metallerinnen und Metaller tanzen zur pulsierenden Musik aus den Lautsprecherwagen. Die Sonne knallt vom blauen Himmel.
Es ist der 29. Juni, Berlin um die Mittagszeit. Die IG Metall Jugend geht lautstark für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen auf die Straße: „Wir sind hier. Wir sind laut. Weil man uns die Bildung klaut.“ Unablässig. Erneut: „Wir sind hier. Wir sind laut. Weil man uns die Bildung klaut.“ Der Demonstrationszug der IG Metall Jugend ist Teil der #FairWandel-Kundgebung, zu der über 50 000 Metallerinnen und Metaller nach Berlin gereist sind. Sie treten ein für eine soziale, ökologische und demokratische Transformation. Gute Arbeit und Klimaschutz ― beides muss zusammengehen.
Gerade die junge Generation ist vom Klimawandel, der Digitalisierung und vom Umbau der Industrie betroffen. Metallerinnen und Metaller wollen nicht tatenlos dabei zusehen, wie die Transformation über sie hinwegrollt und ihre Arbeitsplätze dabei unter die Räder kommen ― sondern wachrütteln, mitgestalten.
Das Nichtstun von Politik und Unternehmen muss ein Ende haben. Verkehrswende, Energiewende, Klimaschutz, industrieller Wandel müssen endlich angegangen werden ― und zwar so, dass wir auch morgen noch gute Arbeit haben. Dies alles funktioniert nicht von alleine. Es braucht einen Plan, massive Investitionen und ― vor allem ― entschlossenes Handeln.
Gerade gute Bildung ist in Zeiten der Transformation wichtiger denn je. Dazu sind aber Investitionen notwendig ― und echte Reformen. Doch die bleiben oft aus. Ein krasses Beispiel: das Berufsbildungsgesetz (BBiG), zentrales Gesetz für die berufliche Ausbildung in Deutschland, das derzeit überarbeitet wird. „Der Gesetzesentwurf ist schlichtweg ein Skandal“, sagt Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, sichtlich erzürnt. „Damit würden viele Chancen liegen gelassen.“ Das Bildungsministerium ignoriert wichtige Aspekte und blendet die Interessen der fast zwei Millionen Auszubildenden und dual Studierenden einfach aus. Nach wie vor etwa zählen dual Studierende laut Gesetz nicht als „zur Berufsbildung Beschäftigte“. Das bedeutet, dass Arbeitgeber ihre dual Studierenden ausbilden und auch bezahlen können, wie sie wollen, weil es keine gesetzliche Regelung dazu gibt.
Das darf nicht sein: „Auf unserem Weg durch den Strukturwandel der Arbeitswelt wollen wir alle mitnehmen“, betont die Zweite Vorsitzende der IG Metall. „Eine Voraussetzung dafür ist eine qualitativ hochwertige Ausbildung für jeden jungen Menschen.“
Es gehört zu den Kernaufgaben der Gewerkschaften, die Qualität der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu sichern und auszubauen. Die IG Metall Jugend, Deutschlands größter politischer Jugendverband, macht deshalb mobil und fordert für das Berufsbildungsgesetz:
Weltweit wird die duale Berufsausbildung ― in Betrieb und Berufsschule ― als Erfolgsmodell angepriesen, das mit der BBiG-Reform allerdings noch deutlich verbessert werden könnte. Noch ist es dafür nicht zu spät. Aktuell berät der Bundestag erneut darüber ― dabei sollte er auch die wichtigen Zukunftsthemen diskutieren. Die Auszubildenden und dual Studierenden jedenfalls streiten für ein Recht auf gute Bildung für alle. Sie wollen klare und verbindliche Qualitätsstandards für Betrieb, Berufs- und Hochschule.
Mehr als die Hälfte der bundesweit über 100 000 dual Studierenden absolviert ein sogenanntes praxisintegriertes duales Studium. Aufgrund der fehlenden Regelung im BBiG gibt es für sie keine hinreichenden Vorgaben für die betrieblichen Praxisphasen. Nur in Betrieben, in denen dual Studierende mit der IG Metall Tarifverträge für sich durchsetzen konnten, gibt es gesicherte Bedingungen ― etwa bei Thyssen-Krupp Stahl, beim Entwicklungsdienstleister IAV und beim Autozulieferer Continental.
Ansonsten herrscht viel Wildwuchs mit Qualitätsproblemen und teilweise enormen Belastungen für die Studierenden. Zwar setzen Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen in vielen Betrieben Betriebsvereinbarungen für dual Studierende durch, beispielsweise zur Bezahlung, doch immer wieder stoßen sie dabei an Grenzen.
„Mittlerweile haben wir viel mehr dual Studierende als klassische Auszubildende“, erzählt Mohammed Al Kadi, 26, Betriebsrat und Entwicklungsingenieur bei Siemens Smart Infrastructure in Köln. „Doch die Firma will sie nicht als Auszubildende sehen. Das liegt vor allem daran, dass die dual Studierenden im Berufsbildungsgesetz nicht vorkommen. Das müssen wir ändern.“
Die junge Generation mischt sich ein und geht für ihre Ziele auf die Straße. Metallerinnen und Metaller suchen das Gespräch mit Bundestagsabgeordneten, schreiben ihnen und treffen sich mit ihnen, um sie von ihren Anliegen zu überzeugen. Ideen und Forderungen haben sie im Betrieb diskutiert ― in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, im Betriebsrat und als Vertrauensleute der IG Metall. Tausende Auszubildende, Studierende und junge Beschäftigte waren an der Diskussion beteiligt. Jedes IG Metall-Mitglied kann sich einbringen. Mitbestimmung gibt es auf allen Ebenen der IG Metall: im Ortsjugendausschuss auf Geschäftsstellenebene, überregional in den Bezirksjugendausschüssen oder auf Bundesebene im Jugendausschuss. Dort planen junge Metallerinnen und Metaller gemeinsame Aktionen für ihre Themen.
Grund zum Handeln gibt es genug: Trotz des anhaltend hohen Bedarfs an qualifizierten Fachkräften bildet nur jeder fünfte Betrieb in Deutschland aus. Außerdem ist die Qualität der Ausbildung vielerorts schlecht ― unter anderem weil es keine qualifizierten Ausbilderinnen und Ausbilder gibt oder Auszubildende als billige Aushilfen ausgenutzt werden. Das zeigt der jährliche Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Die IG Metall fordert, dass Auszubildende nach verbindlichen Ausbildungsplänen ausgebildet werden, die Experten der IG Metall aus den Betrieben mitgestalten. Die Ausbildungspraxis sollte außerdem von den Berufsbildungsausschüssen der Kammern vor Ort kontrolliert werden, in denen Experten der IG Metall aus den Betrieben mitarbeiten. Die Unternehmen sind gefragt, ihre Ausbildungsqualität zu erhöhen sowie für gute Arbeit und Perspektiven auch nach der Ausbildung zu sorgen. Doch vielerorts hapert es daran.
„Wir brauchen mehr Ausbilder“, sagt Nico Ketzer, Jugend- und Auszubildendenvertreter beim Landtechnikhersteller John Deere im rheinland-pfälzischen Zweibrücken. „Gerade haben wir es zusammen mit dem Betriebsrat geschafft, die Zahl der Ausbildungsplätze von 15 auf 18 im Jahr zu erhöhen. Doch zugleich haben wir voraussichtlich nur noch drei Ausbilder“, berichtet der 20-jährige Metaller, „weil die Geschäftsleitung wegen Einsparungsmaßnahmen einen von vier Ausbildungsberufen gestrichen hat: den Schweißer.“ Doch auch im digitalen Transformationsprozess brauchen Schweißroboter künftig Schweißer, die sie einrichten und überwachen.
Im Betrieb hören die Probleme allerdings nicht auf. In den Berufsschulen fehlt es an Lehrkräften, Lehrmaterial und moderner Ausstattung. Das zeigen Umfragen und Berichte von Auszubildenden immer wieder. „Die Einrichtung ist veraltet und es gibt zu wenige qualifizierte Lehrer“, meint Nico Ketzer. „Doch Berufsschule 1.0 für den Facharbeiter 4.0 der Zukunft ― das passt nicht. Der Staat muss endlich mehr in die Berufsschulen investieren.“ Schnelles und entschlossenes Handeln ist nötig.
Junge Metallerinnen und Metaller machen Druck für spürbar bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Ziel ist es, allen Beschäftigten Sicherheit und Perspektive zu bieten. Natürlich gibt es auch in der jungen Generation Befürchtungen und Unsicherheiten mit Blick auf Transformation und Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt. Viele Branchen und Betriebe stehen bereits jetzt unter großem Veränderungsdruck. Die IG Metall Jugend will dabei allerdings keinesfalls nur Zuschauer sein, sondern ihre Zukunft gestalten. Die Liste der Herausforderungen ist lang. Klima und Nachhaltigkeit zum Beispiel nehmen einen immer größeren Stellenwert ein. Energie- und Verkehrswende müssen dringend in Angriff genommen werden ― mit konkreten Maßnahmen und Programmen. Es braucht endlich massive Investitionen in Zukunftsprodukte, in Qualifizierung, in Ladestationen für E-Autos, in Stromnetze und öffentlichen Nahverkehr. Ziel ist, den folgenden Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen. Zugleich sind bezahlbare und erreichbare Mobilitätsangebote notwendig. Die IG Metall setzt sich sowohl für eine effektive Klimaschutzpolitik als auch für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit ein.
Die IG Metall Jugend startet deshalb eine Kampagne, die sich mit solchen Zukunftsfragen beschäftigt und Wege aufzeigt, wie Arbeits- und Lebensbedingungen der jungen Generation verbessert werden können. Dem geht eine intensive Vorbereitung voraus ― die Ortsjugendausschüsse, die Bezirksjugendausschüsse und der Jugendausschuss haben dazu diskutiert und Ideen für die Kampagne entwickelt. Eine bessere Verteilungsgerechtigkeit zählt ebenso zu einem Kernanliegen von Deutschlands größtem politischen Jugendverband wie eine demokratische, bunte und offene Gesellschaft. Metallerinnen und Metaller engagieren sich und lassen nicht locker.
Und der Erfolg stellt sich immer wieder ein: In der vergangenen Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie zum Beispiel konnten für alle Auszubildenden zusätzliche freie Tage vor den Prüfungen erkämpft werden. An diesen Tagen muss sie der Arbeitgeber ohne Kürzung der Ausbildungsvergütung freistellen. Schon 2015 setzte die IG Metall die Bildungsteilzeit in den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie durch. Beschäftigte können bis zu sieben Jahre in Weiterbildung gehen oder studieren ― nicht nur, wenn ihr Arbeitgeber das anordnet, sondern auch nach ihren eigenen Wünschen. Das kann und sollte jedoch nicht das Ende sein. Gute Aus- und Weiterbildung sind elementare Voraussetzungen einer erfolgreichen Transformation.
Die IG Metall tritt an, die Transformation solidarisch zu gestalten. Beschäftigung muss in allen Branchen nachhaltig gesichert werden ― mehr Mitbestimmung und Beteiligung der Beschäftigten sind deshalb bei den anstehenden Veränderungen entscheidend. Klar ist: Beim notwendigen ökologischen Umbau der Industrie darf niemand auf der Strecke bleiben.
Die IG Metall will, dass der Wandel gelingt ― und dass aus technologischem Fortschritt sozialer Fortschritt für alle wird. Dafür sind am 29. Juni über 50 000 Metallerinnen und Metaller ― Jung wie Alt ― in Berlin auf die Straße gegangen. Ihre Botschaft an Politik und Unternehmen: #FairWandel gelingt nur mit uns.