Im Rückblick fragt sich Philipp Bischoff, wie er das durchgehalten hat – trotz der Nachricht, die er exakt eine Woche vor seiner Prüfung um die Ohren geknallt bekommen hat: der eiskalten Information, dass es für ihn nicht weitergeht. Er fragt sich, wie er das bloß gemacht hat, sich fünfeinhalb Stunden zu konzentrieren, wie er es schaffte, alles parat zu haben, was er in seiner Ausbildung gelernt hatte. Vor allem im vergangenen halben Jahr, in dem es so schwer war: Seine Berufsschule hatte wegen der Coronakrise lange geschlossen.
Und nun war er also wirklich da, der Tag seiner Abschlussprüfung zum Kfz-Mechatroniker: der Tag, auf den der 19-Jährige drei Jahre hingearbeitet hatte – eine Prüfung, sechs Stationen. Achsvermessung, Bremsscheibenüberprüfung, Inspektionen der Elektronik, Fehlersuche im Klimaanlagensystem des Fahrzeugs, Prüfung der Leuchtweitenregulierung, Abgasfehleruntersuchung. „Ich habe an diesem Tag die Zähne zusammengebissen, die Arbeit macht mir ja viel Spaß“, sagt Philipp Bischoff. „Ich habe die Prüfung bestanden. Aber ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte.“
Die Jahre zuvor hatte Philipp immer einen genauen Plan. Vor allem wusste er, dass es weitergeht. „Ich hatte die Sicherheit, dass ich übernommen werde, wenn ich mich anstrenge.“
Diese Sicherheit hatte der 19-Jährige auch, als im Frühjahr die Coronapandemie ausbrach. Als Deutschland im Lockdown war. Als Kolleginnen und Kollegen in Kurzarbeit geschickt wurden. Als seine Berufsschule mit einem Mal geschlossen wurde, die Probeprüfung ausfiel, die Prüfungsvorbereitungen gestrichen wurden. Damals musste Philipp sich mit einem Mal allein zurechtfinden. Philipp saß nun zu Hause vor seinem Rechner. Ständig brach das Netz zusammen. Oft hatte er das Gefühl, alles sei zu viel. Zu viel Stoff, der noch zu lernen war. Zu viel Stoff, der dringend wiederholt werden musste. „Es war eine schwierige Zeit, aber ich hatte ein Ziel, auf das ich hinarbeiten konnte.“ Sein Arbeitgeber hatte es ihm ja immer wieder in Aussicht gestellt.
Das letzte Mal gut eine Woche vor der Abschlussprüfung. Es war am Freitagvormittag. Philipp wurde ins Personalbüro gerufen. „Dort haben sie mir gesagt, Philipp, mach Dir keine Gedanken, Deine Übernahme ist sicher. Wir melden Dich auch für einen Lehrgang an.“
Philipp war erleichtert, ging glücklich ins Wochenende. Er würde seine Abschlussprüfung ablegen. Dann würde er übernommen werden, als Mechatroniker arbeiten in einem Kfz-Betrieb am Standort Raststatt. Ein tolles Team, 15 Hebebühnen, immer viel zu tun.
Vier Tage später war alles anders. „Am Dienstag nach dem Wochenende hatte ich einen Termin mit einem Menschen aus der Firmenzentrale, der sagte mir klipp und klar, dass sie mir nun doch keinen Vertrag geben werden. Dass ich doch nicht übernommen werde“, erinnert sich Philipp Bischoff. „Das kam für mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel.“
Philipp will wissen, warum man ihn vier Tage zuvor noch in Sicherheit gewiegt habe und ihm nun mit einem Mal die Tür vor der Nase zuschlägt. „Auf meine Frage bekam ich aber leider keine befriedigende Antwort.“ Stattdessen bekommt Philipp eine Telefonnummer in die Hand gedrückt. Er solle sich doch bitte bei diesem Autohaus melden. Dort könne es womöglich noch etwas werden.
Philipp ruft an. Er fährt zu einem Gespräch ins Autohaus. Danach weiß er, dass er dessen Angebot nicht annehmen möchte: kein Tarifvertrag, geringes Gehalt. „Ich habe mich an die IG Metall Gaggenau gewandt“, erzählt der 19-Jährige. „Ich habe meine Situation geschildert und gefragt, ob sie etwas für mich tun könnten. Ob sie mich unterstützen könnten.“ Sie konnten. „Die IG Metall hat sich für mich eingesetzt. Sie hat noch einen Dreimonatsvertrag bei meinem Ausbildungsbetrieb herausgeschlagen“, sagt Philipp Bischoff.
Das gelang dank des Tarifvertrags zur Übernahme von Auszubildenden im Kfz-Handwerk. In diesem sind Fristen festgeschrieben, bis zu denen der Arbeitgeber spätestens ankündigen muss, dass der Auszubildende nicht übernommen wird. Bei Philipp wurde diese Frist nicht eingehalten. „Die drei zusätzlichen Monate verschaffen mir jetzt erstmal Luft. Ich kann mich umsehen. Ich kann mich orientieren.“
Das macht Philipp jetzt. Er ist stolz, dass er seine Abschlussprüfung durchgezogen hat. Dass er ein gutes Abschlusszeugnis in der Hand hält. „Es war hart, in der Coronazeit zu lernen. Wir Auszubildenden mussten uns alle zusammenreißen und durchboxen“, sagt Philipp. „Aber ich bin froh, dass ich mich da durchgekämpft habe.“
Bis Ende Oktober arbeitet Philipp nun erst mal weiter in seinem Ausbildungsbetrieb. Zwar nicht am Standort Raststatt, sondern in Gaggenau, aber das ist jetzt keine große Sache. „Sie haben mir gesagt, dass sie in Raststatt keine Mechatroniker brauchen, dass ich aber vielleicht in Gaggenau eine Chance habe“, sagt der 19-Jährige. Er will sich nun auch in anderen Betrieben umhören, in anderen Branchen umschauen. Zum Beispiel in der Bahnbranche.
„Ich weiß, dass ich was kann. Und ich weiß, was ich will“, sagt Philipp Bischoff. Dann fügt er hinzu: „Wenn diese harte Coronazeit zumindest für eines gut war, dann dass ich gelernt habe, mich durchzubeißen. Ich weiß jetzt, dass es weitergeht.“