Ganzheitliche Produktionssysteme haben sich in den letzten Jahren in nahezu allen Bereichen der Metall und Elektroindustrie durchgesetzt. Als Rationalisierungsstrategien haben sie bisher vor allem die Fertigung umgekrempelt. Aber auch vor der Welt der Kopfarbeit machen sie nicht halt. Das Zauberwort heißt Lean office und birgt Chancen, aber auch Risiken. Im Büro werden noch hohe Reserven zur Optimierung vermutet. Die Folgen für die Beschäftigten sind weitreichend. Deshalb sind Betriebsräte gefordert, Gefahren abzuwehren und geplante Lean-Maßnahmen im Sinne der Beschäftigten zu beeinflussen.
Vorbild der neuen Lean-Welle im Büro ist Japan. Von dort kommmt auch das sogenannte Toyota-Produktionssystem, das Verschwendung in der Produktion systematisch reduziert. Wo ein Bandarbeiter früher 13 Prozent seiner Arbeitszeit mit der Suche nach Schrauben und Werkzeug verschwendet hat, sitzt heute jeder Handgriff. Dieses Prinzip versuchen nun viele Unternehmen auf die Bürobereiche Verwaltung, Marketing, Forschung und Entwicklung zu übertragen. Ziel ist es Zeit zu sparen und die Arbeit effektiver zu gestalten.
Im Büro gibt es nämlich genug Sand im Getriebe. Beispiel E-Mails. Es werden sicherheitshalber ein paar Leute mehr in cc gesetzt, die eigentlich die Information gar nicht brauchen. Doch das Lesen dieser überflüssigen Mails kostet unnötig Zeit. Oder es wird übertrieben viel Büromaterial gehortet, das man in der Menge gar nicht braucht. Eine sinnvolle Maßnahme wäre eine kleinere Lagerhaltung und ein abgespecktes Ablagesystem.
Regelrechte Zeitfresser sind unproduktive Sitzungen. Oft ziehen sie sich viel länger hin als eigentlich notwendig. Die neue Denke des schlanken Büros macht aus Sitzungen „Stehungen“. Wenn die Teilnehmer von Meetings im wortwörtlichen Sinn nur stehen können, kommen sie schneller zum Punkt. Guter Richtwert für solche „Stehungen“ sind 15 Minuten. Auch die richtige Auswahl der Teilnehmer, vollständige Unterlagen, eine aufs Wesentliche abgespeckte Tagesordnung und eine realistische Zeitplanung machen Meetings viel effektiver.
In manchen Unternehmen ist das Konzept des Lean office schon Realität. „Mit dem Prinzip der 5-S fing alles an“, berichtet ein Betriebsrat. 5-S steht für selektieren, sortieren, säubern, standardisieren und Selbstdisziplin. Ziel ist, die Arbeitsplätze effizienter und ordentlicher zu machen, damit der Zugriff auf Informationen und Arbeitsmittel schneller möglich ist. In der Realität sind das manchmal geradezu banale Schritte.
Praxisbeispiel: Der Locher liegt griffbereit immer an derselben Stelle. Statt mehrerer Kugelschreiber darf nur noch einer verwendet werden. Die Ablage im PC wird ausgemistet, veraltete Dateien wandern in den Papierkorb. Auch der Desktop wird wieder übersichtlicher, weil alter Kram konsequent gelöscht wird. Wo jedes Ding seinen Platz hat, kann man die Sachen schneller finden. Es geht weniger Zeit fürs Suchen drauf.
Ein Unternehmen, das mit Lean office schon Erfahrung gemacht hat, ist Siemens in Erlangen. Unter dem Begriff „Ordnung & Sauberkeit“ wurde das 5-S Prinzip eingeführt. Beschäftigte wurden in Workshops über die Arten der Verschwendung informiert und Maßnahmen umgesetzt. Alles ist standardisiert: Namensschilder, das Postein- und -ausgangskonzept, einheitliche Etiketten für Ordner, aufgeräumte Schubladen und Nutzung von Rollcontainern. Es gibt eine Auflistung, was zur Grund- und Zusatzausstattung eines Schreibtisches gehört, persönliche Gegenstände sind nur noch im geringen Maße erlaubt.
5-S ist eine Möglichkeit, Verschwendung zu reduzieren mit dem Ziel die Produktivität zu steigern. Bevor das Lean Office Projekt anlief, hatte sich der Betriebsrat eingeschaltet und mit dem Unternehmen eine Regelungsabrede vereinbart. Darin ist festgehalten, dass weder Personalabbau, Abgruppierungen, Verringerung der Prozesstiefe am Standort noch Outsourcing oder Offshoring bezweckt wird.
Damit sind auch die kritischen Punkte des Lean Office Konzeptes angesprochen. Wenn die Prozesse im Büro standardisiert werden und im Takt gearbeitet wird, besteht die Gefahr von Personalreduzierung oder Entwertung der Tätigkeit. Bei der neuen Philosophie des Lean office zieht nicht gleich jeder Mitarbeiter automatisch mit. Man kann Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz auch übertreiben. Manch kreativer Geist fühlt sich im Chaos wohler. Ohne die Beteiligung der Beschäftigten ist die Lean-Strategie jedoch nicht denkbar. Oft sind sie sehr motiviert, ihre Arbeit zu optimieren. Das kann sich jedoch schnell ändern, wenn sie merken, dass die eigenen Verbesserungsvorschläge dazu führen, dass Personal abgebaut wird und der Leistungsstress steigt.
Die IG Metall rät daher betroffenen Belegschaften und Betriebsratsgremien, vor dem Start von Lean-Prozessen eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, in der eine Beschäftigungssicherung geregelt wird und die deutlich macht, dass verbesserte Arbeitsbedingungen angestrebt werden. Es ist also sehr wichtig, die Einführung von Lean-Konzepten durch den Betriebsrat kritisch zu begleiten und von den Mitbestimmungsrechten Gebrauch zu machen.