Sozialwahl 2017: Interview Jörg Greiser
„Die Leute fallen einfach von den Dächern“

Jörg Greiser vertritt seit 10 Jahren Beschäftigte bei der Unfallversicherung. Der gelernte Elektroinstallateur weiß, wo im Handwerk Gefahren für Leib und Leben lauern. Was er dagegen unternimmt – und warum er Elektrikern vom Klettern abrät.


16. Juni 201616. 6. 2016


Jörg, Du arbeitest im Elektrohandwerk. Hat man da ein besonderes Verhältnis zum Thema Arbeitsunfälle?

Leider ja. Durchschnittlich passieren bei meiner Berufsgenossenschaft im Bereich der Kleininstallation auf Baustellen rund 60 Unfälle pro 1000 Vollzeit-Beschäftigte. In anderen Branchen liegt dieser Wert deutlich niedriger, bei circa 20 Unfällen. Jeder Unfall ist aber einer zu viel, besonders wenn es sich um einen tödlichen handelt.

Was sind typische Gefahren?

Typische Gefahren lauern beim Umgang mit Strom, bei der Fahrt zur Baustelle, beim Benutzen von Leitern. Rund die Hälfte aller Unfälle im Elektrohandwerk sind aber Schnittverletzungen an der Hand. Obwohl es ein einfaches Gegenmittel gibt: Schnittfeste Handschuhe.

Warum werden die Handschuhe nicht einfach benutzt?

Weil sie nicht angeschafft wurden. Gerade in kleinen Handwerksbetrieben sagt der Chef oft: Warum soll ich die teureren Handschuhe bezahlen? Wir Selbstverwalter leisten dann Überzeugungsarbeit und sagen: Du musst einmal Geld investieren, aber damit kannst du die Unfallzahlen extrem senken. Das lohnt sich auch wirtschaftlich, da es keine Ausfallzeiten mehr gibt. Und die Beschäftigten sehen, dass sich der Chef um die Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmert. Das steigert die Motivation.

Wie erfahrt ihr von solchen Problemen?

Alle Arbeitsunfälle müssen an die Berufsgenossenschaften gemeldet werden. Wir analysieren die Statistik: Welche Verletzungen treten wo am häufigsten auf? Dort muss gehandelt werden. Uns Selbstverwaltern geht es nicht in erster Linie um die Kosten, sondern um den Schutz der Beschäftigten.

Welcher Job ist besonders gefährlich?

Tödliche Unfälle gibt es zum Beispiel, wenn Solaranlagen montiert werden. Die Leute fallen einfach von den Dächern. Die Auftraggeber, oft Privatleute, buchen gerne den billigsten Anbieter. Der Billigste ist aber nicht der Beste. Der baut womöglich kein Gerüst auf, sichert die Leute nicht richtig ab. Schon passiert ein Unfall. Das sind Elektriker und keine Dachdecker.

Wie geht ihr damit um?

Bei der Photovoltaik haben die Selbstverwalter massiv Druck gemacht. Neue Maßnahmen müssen bei der Berufsgenossenschaft durch zig Instanzen. Da muss man hartnäckig sein. Jetzt gibt es eine Brancheninformation für die Betriebe. Dort steht genau: Wie muss ich mich auf dem Dach verhalten? Wie muss ein Gerüst aufgebaut werden? Muss das Dach statisch geprüft werden? Wir fordern auch, dass Firmen von der Berufsgenossenschaft Geldstrafen aufgebrummt bekommen, wenn sie Sicherheitsvorschriften ignorieren. Schwarze Schafe schädigen nicht nur die eigenen Beschäftigten, sondern das gesamte System der Solidargemeinschaft.

Wie erfolgreich ist die Arbeit der Selbstverwalter?

Im Elektrohandwerk sind die Unfallzahlen seit Jahren rückläufig. Die Präventionsarbeit der Selbstverwalter lohnt sich. Das freut auch die Arbeitgeber. Denn sie müssen dann weniger Beiträge an die Berufsgenossenschaft zahlen.

Ohne die Selbstverwalter wären viele Arbeitsplätze gefährlicher?

Zu 100 Prozent: ja! Wer soll sonst auf Probleme aufmerksam machen? Ohne die Selbstverwalter würden viele Arbeitgeber nur für den kurzfristigen Profit handeln. Für uns steht der Mensch im Vordergrund.

Für viele Dinge ist der Gesetzgeber zuständig. Habt ihr da überhaupt Einfluss?

Auf jeden Fall. In den Ministerien sitzen die Leute doch nur am Schreibtisch. Wir bringen bei Gesetzen das Wissen aus der Praxis mit ein. Das wirkt.

Was ist dein aktuelles Lieblingsprojekt?

Da geht es wieder um Baustellen: Weil sich die Gefahren dort ständig verändern, haben wir gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft eine App entwickelt, die wie ein Protokoll funktioniert. Der Monteur kann direkt vor Ort Gefahren beschreiben, erkennen und dokumentieren. Diese App wird mittlerweile von vielen Handwerksbetrieben genutzt und sie hilft, Unfälle bereits im Vorfeld zu verhindern. Und falls doch ein Unfall passiert, ist alles dokumentiert.