„Wir haben keine Zeit mehr. Die deutsche Stahlindustrie, unsere Kolleginnen und Kollegen brauchen heute Lösungen und nicht vielleicht in der kommenden Legislaturperiode“, ruft Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall den rund 2000 Metallerinnen und Metaller vor der Mercatorhalle in Duisburg zu. Drinnen wird gleich der Nationale Stahlgipfel stattfinden und Kerner wird Politik und Wirtschaftslenkern verdeutlichen, was es nun braucht, um die Stahlindustrie in eine klimafreundliche Zukunft zu führen und die Transformation und zehntausende Arbeitsplätze zu sichern.
Draußen erinnern die Metallerinnen und Metaller daran, wie es aktuell um die Stahlindustrie steht: Einen alten Holzkarren haben sie vor die Stufen des Haupteingangs der Mercatorhalle gezogen, beladen ist er mit großen Pappwürfeln, die unnötigen Ballast symbolisieren. Auf ihnen steht: „zu hohe Energiepreise“, „Investitionsstau“, „Stahldumping aus China“ oder „Überkapazitäten“. Die Metallerinnen und Metaller wollen die Politiker an ihre Aufgabe erinnern: „Gemeinsam müssen wir die Karre aus dem Dreck ziehen“, steht daher auf einem großen Transparent, auf einem anderen steht: „Die Zeit drängt.“ Und auf den meisten Plakaten ist zu lesen: „Stahl ist Zukunft.“
Aus rund 40 Stahlbetrieben, aus dem ganzen Bundesgebiet, sind Metallerinnen und Metaller gekommen: aus ganz NRW, aus dem Saarland, aus Bremen, aus Salzgitter, sogar die über 600 Kilometer aus Eisenhüttenstadt haben die Metallerinnen und Metaller auf sich genommen. So manche sind in der Nacht losgefahren, um in Duisburg für die Zukunft der deutschen Stahlindustrie zu kämpfen. Auch Stefan ist deshalb aus dem Saarland gekommen. Der Metaller arbeitet bei Saarstahl und betont: „Wir müssen die Politik auf die Probleme aufmerksam machen.“ „Ein Zeichen setzen“, will auch Murat. Er ist von ArcelorMittal aus Bremen gekommen, um die Politik zum Handeln zu bewegen: „Es geht jetzt um Arbeitsplätze“, sagt Murat. Mehmet ist bereits 60 Jahre alt, er hat einen Stellenabbau bei Thyssenkrupp in Dortmund bereits erlebt und will so etwas nicht wieder erleben. „Wir haben den jungen Kolleginnen und Kollegen ein Verpflichtung gegenüber“, sagt Mehmet.
Die heimische Stahlindustrie steckt in der Krise. Sie hat erheblich an Wettbewerbsfähigkeit verloren und die Gründe dafür liegen in den politischen Rahmenbedingungen: Hohe Energiepreise und ein unfairer internationaler Wettbewerb, dem die Politik nicht genügend entgegensetzt, zerstören das Geschäft der Stahlhersteller. Ein Problem mit weitreichenden Folgen.
Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, verdeutlicht auf dem Stahlgipfel: „An der Stahlindustrie hängen zehntausende gut bezahlte, tariflich abgesicherte Arbeitsplätze. Aber es geht noch um weit mehr: Als Grundstoffindustrie ist die Stahlbranche zentral für das einzigartige Wertschöpfungsnetzwerk, das Deutschland als Industriestandort erfolgreich macht. Das muss erhalten bleiben und in die CO2-neutrale Zukunft transformiert werden. Von den Unternehmen erwarten wir, dass sie sich klar zum Industriestandort Deutschland bekennen und konsequent in die Zukunft der heimischen Standorte investieren. Die Politik muss dafür den passenden Rahmen setzen und ein verlässliches Umfeld für die dringend nötigen Investitionen schaffen. Dazu gehört vor allem ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis.“
IG Metall, die Länder der Stahlallianz, das sind die elf Bundesländer, die Stahlstandorte haben, und die Wirtschaftsvereinigung Stahl haben sich aufgrund der angespannten Lage bei den Stahlherstellern zusammengetan und fordern gemeinsam die Politik in Berlin und Brüssel auf, die Zukunft des Stahlstandortes Deutschland und Europas mit einem Sofortprogramm zu sichern. Drei Punkte sind dafür entscheidend:
Wettbewerbsfähige Strom- und Wasserstoffpreise: Die Bundesregierung muss für die energieintensive Industrie wettbewerbsfähige Energiepreise sicherstellen. Kurz gesagt: Es braucht einen Industriestrompreis. Zudem muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass Wasserstoff für die klimafreundliche Produktion in ausreichendem Maße und zu wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden sein wird. Als Übergangslösung muss sie die Nutzung von Erdgas weiterhin ermöglichen.
Grüne Leitmärkte: Bislang ist die Nachfrage nach grünem Stahl noch gering. Die Umstellung auf die notwendige klimafreundliche Stahlproduktion ist somit für die Hersteller mit einem Risiko verbunden. Hier muss die Bundesregierung in die Bresche springen und bei öffentlichen Aufträgen auf die Verwendung von CO2-reduziertem Stahl setzen und so die Nachfrage anheizen. Dazu muss die Bundesregierung prüfen, wie sie grünen Stahl attraktiver machen kann – zum Beispiel über Quoten oder Steuer- und Prämienmodelle.
Handelspolitische Flankierung: Momentan machen der deutschen und europäischen Stahlindustrie globale Überkapazitäten zu schaffen, die auf den europäischen Markt drängen. Oft stammt der Stahl aus Ländern, die die Produktion staatlich stark unterstützen. Dem muss die Europäische Kommission mit handelspolitischen Maßnahmen entgegenwirken. Die Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen der EU müssen konsequent angewandt und einer regelmäßigen Überprüfung ihrer Wirksamkeit unterzogen werden.
Draußen rufen die Stahl-Beschäftigten ihr Motto: „Stahl ist Zukunft“ drinnen scheint Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck das Mahnen von IG Metall, der Wirtschaftsvereinigung Stahl und den Ländern der Stahlallianz verinnerlicht zu haben. Auf dem Stahlgipfel betont er: „Grüner Stahl made in Germany ist unser Antrieb. Im Schulterschluss mit Unternehmen, der Wirtschaftsvereinigung Stahl, IG Metall, Bundes- und Landespolitik kommen wir unserem Ziel einer klimaneutralen Stahlindustrie immer näher. Deutschland und die EU sind global Vorreiter bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie. In Deutschland werden wir bis 2030 rund ein Drittel der deutschen Rohstahlkapazität umstellen und damit rund 12 Mio. Tonnen CO2-freien Stahl erzeugen und mehr als 10 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Die deutsche Stahlproduktion steht am Anfang vieler relevanter Wertschöpfungsketten und ist damit zugleich wichtiger Impulsgeber für Schlüsselbranchen wie Automobil oder Maschinenbau und ihre Transformation.“
Doch damit es so kommt, wie der Wirtschaftsminister es beschreibt, wird er helfen müssen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Es braucht einen bezahlbaren Industriestrompreis, grüne Leitmärkte und handelspolitische Maßnahmen. Die IG Metall, die Wirtschaftsvereinigung Stahl und die Länder der Stahlallianz werden weiter dafür kämpfen, dass diese Rahmenbedingungen geschaffen werden.