13. Juli 2017
SAM Automotive-Belegschaft erkämpft höhere Löhne
1000 Euro mehr pro Jahr
Bessere Löhne und Arbeitsbedingungen – dafür kämpfen die Beschäftigten der SAM Automotive Group unermüdlich. Was geheim nach Feierabend in einer Kneipe begann, hat schnell sämtliche Werke des Unternehmens erfasst. Jetzt feiert die Belegschaft einen ersten Erfolg.

Nahe Göppingen: In der Gaststätte eines Sportvereins sitzt Hüssein Öncü mit Freunden zusammen bei einem Bier. Die Gespräche drehen sich um allerlei, um die Kinder in der Schule, das kaputte Auto – und schließlich um die Arbeit. Öncü, selbst erfahrener Betriebsrat, kann kaum glauben, was ihm seine Freunde da erzählen, die allesamt bei der SAM Automotive Group Aluminiumzierteile für Autos herstellen: Sie berichten von gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen und einer Bezahlung nur knapp über dem Mindestlohn.

Einer holt seine Lohnabrechnung hervor und Öncü sieht das Drama schwarz auf weiß. Der 47-Jährige ist erbost darüber, womit seine Freunde abgespeist werden: „Von 9,20 Euro pro Stunde kann man doch nicht anständig leben!“ Er rechnet vor, was jeder Einzelne nach IG Metall-Tarif verdienen würde. Dann erklärt er, was ein Tarifvertrag ist, wofür ein Betriebsrat gut ist und wie eine Gewerkschaft hilft.


Rund drei Jahre liegt dieses Treffen nun zurück. Und seit Kurzem steht fest: Die SAM Automotive Group bekommt einen Haustarifvertrag, die rund 1500 Mitarbeiter erhalten bald rund 1000 Euro mehr pro Jahr. Vorbei ist der Arbeitskampf damit noch nicht, aber der erste Erfolg freut die Beschäftigten. Wie es dazu gekommen ist?

Die vergangen drei Jahre kurz zusammengefasst: Hüssein Öncü stört die Lage seiner Freunde derart, dass er sich wieder mit ihnen verabredet, um gemeinsam zu überlegen, ob sich an ihrer Situation etwas verbessern lässt. Immerhin: Zu den Kunden von SAM zählen Marken wie VW, Porsche, Audi, Daimler, Opel und andere. Autobauer, die einen Tarifvertrag haben und den Mitarbeitern anständige Löhne zahlen.


Geheime treffen mit immer mehr Teilnehmern

Die Treffen werden regelmäßig und immer mehr Beschäftigte kommen in die Gaststätte. Der Unmut ist groß. Nicht nur wegen der Löhne, auch die Arbeitsbedingungen machen den Leuten zu schaffen. Weil Absauger fehlen, liegt Aluminiumstaub in der Atemluft – einige Arbeiter haben ständig weiße Flecken um die Nasenlöcher. Zudem fehlen Pausen- und Umkleideräume.

Öncü rät, die Treffen geheim zu halten, doch der Arbeitgeber erfährt von den Versammlungen und versucht, über Vorgesetzte Druck auf die Beschäftigten auszuüben. Vergeblich – irgendwann kommen rund 100 Interessierte in die Gaststätte. Öncü sieht, wie motiviert die SAM-Beschäftigten sind. Viele treten der Gewerkschaft bei. Mit den Mitgliedsanträgen geht der 47-Jährige zur IG Metall Göppingen-Geislingen und erzählt, was bei SAM Automotive los ist.


IG Metall unterstützt Betriebsratswahlen

Unter anderem Gewerkschafter Manuel Schäfer nimmt sich der Sache an. Er unterstützt die Beschäftigten zunächst bei Betriebsrats- und Vertrauensleutewahlen. Als die Strukturen stehen und die Ziele formuliert sind, springt der Funke auch auf weitere Werke des Unternehmens über, überall formiert sich Widerstand.

Da viele der Beschäftigten rumänisch- und türkischstämmig sind, werden Flugblätter in mehreren Sprachen erstellt. Es kommt zu mehreren Warnstreiks und eine Delegation von 50 Beschäftigten fährt zum Sitz des Eigentümers, um dort für die Forderungen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Zu diesem Zeitpunkt heißt es vonseiten der Geschäftsführung noch, Lohnerhöhungen seien nicht machbar.

Betriebsrätin Melanie Tundo sagt: „Man muss zusammenhalten und kämpfen. Dann kann man etwas bewegen.“ Sie und die Beschäftigten stellen klar: „Wir sind von der Zukunft des Unternehmens überzeugt. Für diese Zukunft sind Investitionen notwendig. In Maschinen und Anlagen, in den Arbeitsschutz und in die Menschen, die jeden Tag neue Werte für das Unternehmen schaffen“.


Unternehmen lenkt ein

Heute steht fest: Die zahlreichen Demonstrationen und anderen Aktionen der vergangenen zwei Jahre haben Wirkung gezeigt. Das Unternehmen hat sich bereit erklärt, einen Haustarifvertrag zu unterzeichnen. Von diesem werden die Beschäftigten mit den niedrigsten Löhnen am meisten profitieren.

Manuel Schäfer freut sich über das Plus von rund 1000 Euro pro Jahr für die Mitarbeiter: „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der war nur möglich, weil die Beschäftigten gemeinsam für ihre Forderungen eingestanden sind.“ Das nächste Ziel: Die Löhne sollen weiter in Richtung des Flächentarifvertrags der IG Metall steigen.

Auch bei den Arbeitsbedingungen hat sich in einigen Punkten zwar etwas getan – sie müssen aber noch stark verbessert werden. Außerdem wollen Gewerkschaft und Betriebsrat mit der Geschäftsführung für 2018 ein gerechtes Entgeltsystem aushandeln. Denn das gibt es bisher nicht. Dafür hat die IG Metall SAM Automotive bereits eine Zusage über 500.000 Euro abgetrotzt.

Alles über den Arbeitskampf der Beschäftigten bei SAM Automotive auch auf www.igm-sam.de/ sowie unter www.goeppingen-geislingen.igm.de/


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