Anno 2009, beim Bootsbauer Bavaria im bayerischen Giebelstadt: Es sind vor allem die Beschäftigten in der Produktion, die nur raten können, nach welchen Kriterien sie für ihre Arbeit bezahlt werden. Oder warum ein Kollege einen niedrigeren Zuschlag erhält als ein anderer, obwohl dieser denselben Job macht. Oft ist die Antwort: Willkür. Die Stimmung der Beschäftigten leidet.
Dabei sind sie doch stolz auf ihre Arbeit, auf ihre Ingenieurs- und Handwerkskunst, die weltweit begehrt ist. Einige mutige Mitarbeiter wollen die Situation nicht einfach hinnehmen ― und organisieren sich. Ihr Ziel: gute Löhne für gute Arbeit. Der Anfang eines harten Kampfes.
Rund 600 Beschäftigte arbeiten bei Bavaria. In der großen Werkshalle bauen die Arbeiter Segel- und Motorjachten, die vor allem aufgrund ihres Designs und ihrer Qualität weltweit beliebt sind. Über tausend Boote verlassen die Werft pro Jahr. Der hohe Standard soll sich auch im Entgelt widerspiegeln.
Die Beschäftigten wählen Christian Hartmann zum neuen Betriebsratsvorsitzenden. Der 53-Jährige hat bereits viele seiner Kolleginnen für Veränderungen begeistert ― er wird zu einer der treibenden Kräfte. Ihm ist schnell klar: allein ein guter Tarifvertrag sorgt für eine faire Bezahlung. Weil eine Tarifverhandlung nur eine Gewerkschaft führen kann ― und die Verhandlung nur mit einem starken Mandat der Beschäftigten Aussicht auf Erfolg hat ― treten in kurzer Zeit rund 200 Beschäftigte der IG Metall bei. Also alles gut?
Mit dem starken Mandat geht Walter Mann, der Chef der IG Metall Würzburg, auf die Bavaria-Geschäftsführung zu. In einem Schreiben bittet er, Tarifverhandlungen aufzunehmen. Die Geschäftsführung sagt rüde ab: mit einer Gewerkschaft würde man nie verhandeln, heißt es. Die Beschäftigten untermauern ihren Willen, in dem sie regelmäßig vor den Werkstoren demonstrieren, über Jahre, bei Regen, Eis und Schnee. Sie verweigern Überstunden und organisieren „Arme-Leute-Essen“. Doch die Geschäftsführung will sich nicht bewegen.
Plötzlich taucht sogar ein Anti-IG-Metall-T-Shirt im Betrieb auf. Auf diesem wirft ein Männchen das IGM-Logo in einen Mülleimer. Der Versuch, die Belegschaft zu spalten, scheitert. Mit Bussen reisen Hunderte Beschäftigte aus anderen Betrieben der Region an ― und demonstrieren gemeinsam mit der der Bavaria-Belegschaft. Gelebte Solidarität. Der Druck auf die Geschäftsführung steigt weiter ― und schließlich entbinden die Bavaria-Eigentümer sie von ihren Aufgaben.
Die Mauer ist eingerissen. Die neue Bavaria-Geschäftsführung sieht den Nutzen, den Tarifverträge für beide Seiten haben, für die Beschäftigten wie für das Unternehmen. Sie nimmt Verhandlungen mit uns auf.
Gemeinsam verständigen sich IG Metall, Beschäftigte und die neue Unternehmensleitung auf einen Tarifvertrag, der die Besonderheiten des Unternehmens berücksichtigt. Bavaria hatte zuletzt rote Zahlen geschrieben. Daher vereinbaren die Parteien, zunächst die Entgeltstruktur transparent und fair zu gestalten. Der erste große Gewinn.
Soweit die Geschichte. Seit Kurzem nun schreibt das Unternehmen wieder schwarze Zahlen. Und der erkämpfte Tarifvertrag sieht vor, dass die Beschäftigten jetzt einen fairen Anteil erhalten. Am größten ist das Plus bei den Beschäftigten in der Produktion. Sie bekommen pro Jahr bis zu 300 Euro mehr. Endlich gutes Geld für gute Arbeit.
Betriebsrat Christian Hartmann freut sich sehr für die Beschäftigten, und hat lobende Worte für die neue Geschäftsführung: „Wir haben heute einen sehr respektvollen Umgang. Das hat die Stimmung spürbar verbessert.“ Früher sei das Unternehmen geradezu diktatorisch geführt worden. Heute gibt es im Unternehmen rund 40 Vertrauensleute, die immer ein offenes Ohr für die Beschäftigten haben. Den Kulturwandel im Unternehmen lobt auch Walther Mann. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Würzburg sagt: „Bavaria braucht weiterhin gute Fachkräfte. Die neue Kultur und der neue Tarifvertrag machen die Werft als Arbeitgeber attraktiver.“