Nach zweieinhalb Jahren sinnloser Gespräche war ihre Geduld zu Ende. Erstmals haben die Beschäftigten von Actemium Mechatronic mit einem neunstündigen Warnstreik den Druck auf den Arbeitgeber erhöht.
Sie warten und reparieren raumgroße Geldzähl- und Geldsortiermaschinen in den Filialen der Bundesbank, bundesweit.
Klingt eigentlich nach ordentlicher Arbeit beim Staat. Da muss es doch Tarif geben – oder? Von wegen: Es gibt keine allgemeine Vorschrift, die Tarif bei der Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen vorschreibt, etwa ein bundesweites Tariftreuegesetz. Viele hier haben fünf Jahre lang keine Lohnerhöhung bekommen.
„Bei Mitarbeitergesprächen sind wir immer mit neuen Versprechen vertröstet worden“, erzählt ein Servicetechniker in der Warnstreik-Videokonferenz. „Zuerst hieß es, du bist noch in der Einarbeitung. Dann hieß es, Du brauchst noch zu viel Unterstützung per Telefon. Zuletzt haben sie dann gesagt, es gibt keine Lohnerhöhung, weil ja gerade Tarifverhandlungen laufen.“
Keine Lohnerhöhung wegen laufender Tarifverhandlungen? Da müssen die Kolleginnen und Kollegen aus der gewählten Tarifkommission lachen. „Wir verhandeln jetzt seit Juli 2022. Aber die haben nie ernsthaft mit uns verhandelt - obwohl wir dem Arbeitgeber weit entgegengekommen sind“, kritisiert ein Mitglied der Tarifkommission. „Die wollten von Anfang nur ihren Vorschlag durchdrücken und sind auf keinen unserer Vorschläge eingegangen. Das finde ich einfach schade. Wir haben alle jede Menge Erfahrung, die die Führungskräfte nicht haben, und könnten dazu beitragen, dass sich Dinge verbessern.“
Immerhin hat der Arbeitgeber unter dem Druck der Tarifbewegung jetzt zwar endlich Lohnerhöhungen gewährt – aber nach seinem eigenen System: Die Erhöhungen sind zum Teil variabel, geknüpft an Kriterien, die die Beschäftigten kaum selbst beeinflussen können. Etwa wie viele Aufträge sie bekommen und wie schnell sie sie erledigen. Und sogar, ob sie ihren Urlaub und ihre Überstunden abbauen. „Wenn ein Kollege krank ist, dann kriegst Du Deinen Urlaub nicht genehmigt – oder sie antworten erst gar nicht“, ärgert sich ein Techniker. „Ich habe dadurch 1 Prozent weniger Lohnerhöhung.“
Nur für die älteren der rund 50 Beschäftigten gelten noch tarifliche Regelungen vergleichbar mit der Metall- und Elektroindustrie, die sie aus einer anderen Gesellschaft – Actemium Cegelec - mitgebracht haben. Doch auch sie kämpfen mit für den Tarifvertrag, für ihre Kolleginnen und Kollegen – und sitzen heute mit IG Metall-Mützen und Schals vor dem Bildschirm. Viele von ihnen engagieren sich im Betriebsrat und in der Tarifkommission der IG Metall bei Actemium Mechatronic.
„Das finde ich bei Euch so herausragend: eure Solidarität“, meint Adrian Dubno, Verhandlungsführer der IG Metall bei Actemium Mechatronic. „Die Kollegen, die bereits tarifliche Arbeitsbedingungen haben und kurz vor der Rente sind, machen hier trotzdem mit.“
Sich hier zu engagieren, ist gefährlich, berichtet Dubno. Deshalb nennen wir in diesem Artikel auch keine Namen. Dubno hat in den vergangenen zwei Jahren viele Gespräche geführt, um Leute zu stützen. Beschäftigte und Betriebsräte bei Actemium Mechatronic werden gemobbt. Führungskräfte können sich an ihre Zusagen auf einmal nicht mehr erinnern. Beschäftigte bekommen Lohn abgezogen. Betriebsräte müssen sich für ihre Arbeit rechtfertigen, werden bedroht, abgemahnt und verklagt.
Dabei hat sich der Vinci-Konzern in seiner Ethik-Charta „humanistischen Werten“ verschrieben - und der Wertschätzung, Teilhabe und Förderung des Engagements seiner Mitarbeiter.
Auch beim Warnstreik letzte Woche versucht die Geschäftsleitung, die Beschäftigten unter Druck zu setzen. Schon während der IG Metall-Mitgliederversammlung am Vorabend gehen Führungskräfte in der Zentrale in Eigeltingen bei Konstanz herum und fragen, wer am Warnstreik teilnimmt und warum – und sie drohen mit „ernsten Konsequenzen“. Sie verschicken Mails an die Servicetechniker und weisen sie an, bereits um 6 Uhr morgens loszufahren – zwei Stunden vor Beginn des Warnstreiks. Das machen die Techniker auch – bleiben dann aber um 8 Uhr stehen und loggen sich in die Warnstreik-Videokonferenz ein. Auch während des Warnstreiks rufen die Chefs an – dabei haben alle Beschäftigten per Mail gemeldet, dass sie im Warnstreik sind.
Zudem hat die Geschäftsführung nach eigenen Angaben während des Warnstreiks Subunternehmer als Streikbrecher eingesetzt. Obwohl das unmöglich funktionieren kann, meint Dubno: Für die Wartung und Reparatur der Spezialmaschinen bei der Bundesbank etwa braucht es jahrelange Erfahrung – zudem gelten strenge Sicherheitsstandards. Nach ersten Berichten kam es zu diversen Pannen.
Warum der Vinci-Konzern sich bei Actemium Mechatronic so gegen einen Tarifvertrag sperrt, kann sich Dubno nicht erklären. „Die Verhandlungen waren reine Zeitverschwendung. Auch unser Ultimatum aus der letzten Betriebsversammlung am 11. November ließen sie verstreichen. Es wundert mich, dass moderate Forderungen der Belegschaft solchen Widerstand hervorrufen.“
Dabei sind Tarifverträge im Vinci-Konzern durchaus üblich. Der Generaldirektor von Vinci Deutschland, Frank Westphal, hat mit der IG Metall schon Tarifverträge für andere Vinci-Gesellschaften ausgehandelt. Warum nicht bei Actemium Mechatronic?
Aus Dubnos Sicht ist Actemium Mechatronic ein Paradebeispiel dafür, dass wir in Deutschland endlich ein Tariftreuegesetz brauchen. Der deutsche Staat vergibt jedes Jahr Aufträge im Wert von vielen Milliarden Euro – etwa auch die Wartung der Geldmaschinen der Bundesbank. Die IG Metall fordert schon seit vielen Jahren, dass der Staat als Vorbild im Sozialstaat Aufträge nur noch an Betriebe mit Tarif vergibt.
In einzelnen Bundesländern gibt es solche Gesetze bereits – aber nicht auf Bundesebene. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat daher einen Gesetzesentwurf vorgelegt: Aufträge des Bundes sollen in Zukunft nur an Unternehmen gehen, die ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen.
Doch nach dem Aus der Ampel wackelt nun auch das Tariftreuegesetz.
Geht gar nicht, findet Dubno. Ein Tariftreuegesetz würde auch den Beschäftigten bei Actemium Mechatronic helfen. Doch darauf können sie sich nicht verlassen. Sie werden weiter für ihren Tarifvertrag kämpfen.
Mehr: Tariftreuegesetz: Geld vom Staat nur gegen faire Arbeitsbedingungen