14. März 2018
Tarifbindung
Mit Streik Tarifflucht gestoppt
Die 340 Beschäftigten bei Sauter Feinmechanik arbeiten wieder unter dem Schutz von IG Metall-Tarifverträgen. Fünf Streiktage waren nötig, um den Arbeitgeber zum Einlenken zu bringen. Diese fünf Tage haben die Belegschaft verändert. Eine Geschichte über Wut, Mut – ... und die Kraft der Solidarität.

Sauter Feinmechanik ist nicht nur ein weltweit erfolgreicher High-Tech-Spezialist. Es ist auch ein solides Familienunternehmen mit Sitz im schwäbischen Metzingen. Hier werden Werkzeugträgersysteme produziert, die in aller Welt gefragt sind. Die Belegschaft setzt sich mit Herzblut für den Erfolg des Unternehmens ein. Tarifverträge mit der IG Metall garantieren den Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen. Und ein engagierter Betriebsrat macht sich mit innovativen Ideen dafür stark, dass die Arbeitsplätze in Metzingen auch in Zukunft sicher sind.

Der Betriebsrat wird dabei noch zu oft ausgebremst, doch scheint Besserung in Sicht, als im April 2017 eine Führungskraft von außen in die Geschäftsführung eintritt. Viele Pläne des Neuen decken sich mit den Vorstellungen des Betriebsrats. „Wir waren alle Feuer und Flamme“, erinnert sich Manuela Dankesreiter, die seit zehn Jahren Betriebsratsvorsitzende bei Sauter Feinmechanik ist. Aufbruchsstimmung kommt auf.

 

 

Geben die Tarifbindung nicht kampflos auf: Beschäftigte von Sauter während einer Demonstration.


Verunsicherung

Wenige Monate später dann der Schock: Der neue – und inzwischen alleinige – Geschäftsführer verkündet den Austritt aus dem Arbeitgeberverband. Die Folge: Die Tarifbindung läuft zum Ende des Jahres aus. Die Kolleginnen und Kollegen sind zutiefst verunsichert. „Uns wurde der Teppich unter den Füßen weggezogen“, beschreibt Manuela Dankesreiter die Stimmung in der Belegschaft. „Das Geld war nicht einmal das wichtigste Thema. Es ging uns vor allem um die Sicherheit, die der Manteltarifvertrag bietet.“

Ein Manteltarifvertrag regelt die elementaren Arbeitsbedingungen langfristig. Er enthält zum Beispiel Regelungen zu Einstellungs- und Kündigungsbedingungen, Dauer des Urlaubs, Arbeitszeit, Krankmeldung und Lohnfortzahlung, Zuschlägen für Mehr-, Nacht- und Schichtarbeit und vieles mehr. Das alles steht bei Sauter jetzt auf dem Spiel. Und natürlich eine faire Bezahlung.

 

 

Die Beschäftigten organisieren sich – und erfahren viel Solidarität.

 


Unter den Beschäftigten macht sich große Verunsicherung breit. Sie treten massenhaft in die IG Metall ein. „Am Anfang ging es den Neumitgliedern nur darum, ihre Rechte zu sichern“, erinnert sich Manuela Dankesreiter. „Da konnte sich noch keiner vorstellen, dass wir wenige Wochen später alle gemeinsam auf der Straße lautstark für unseren Tarifvertrag kämpfen würden.“


Wut

Zu diesem Zeitpunkt hoffen noch alle auf ein Einlenken der Geschäftsführung. Doch die stellt sich taub, ignoriert alle Aufforderungen, sich auf Verhandlungen einzulassen. Als die Belegschaft auf einer Betriebsversammlung nahezu einstimmig für die Wiederherstellung der Tarifbindung votiert, verlässt der Geschäftsführer wortlos den Raum. Die Beschäftigten erleben diese Geste als Affront. Diese arrogante Haltung macht sie wütend.

Wenige Tage später stehen sie auf der Straße, um mit einem Warnstreik für ihre Rechte zu kämpfen. Für die meisten ist es das erste Mal. Sie sind ein bisschen unsicher. Doch sie stehen nicht alleine da. Metallerinnen und Metaller aus der ganzen Region reisen an, um sie zu unterstützen. Und so demonstrieren schließlich nicht nur die gut 300 Sauterbeschäftigten vor dem Werkstor, sondern insgesamt tausend Metallerinnen und Metaller. Ein eindrucksvolles Zeichen der Solidarität. „So etwas haben die Kolleginnen und Kollegen bisher nicht gekannt und auch nicht erwartet“, erzählt Manuela Dankesreiter. „Das hat die Leute wirklich tief berührt.“ Anders die Geschäftsführung. Die gibt sich weiter unbeeindruckt, lehnt jegliche Gespräche ab – und zwingt die Belegschaft so zum letzten Mittel zu greifen: zur Urabstimmung.


Mut

Bei einer Urabstimmung entscheiden die Gewerkschaftsmitglieder eines Betriebs, ob sie in einen unbefristeten Streik treten. „Mitten in der Nacht ging es los“, erinnert sich Manuela Dankesreiter. In der Dunkelheit positionieren sich Metallerinnen und Metaller mit Abstimmungskarten und Wahlurnen vor dem Werkstor, um auch den Kolleginnen und Kollegen aus der Nachtschicht die Abstimmung zu ermöglichen. „Schon morgens um acht war klar: Es kann nichts mehr schiefgehen“, erzählt Manuela Dankesreiter. Tatsächlich fällt das Ergebnis mehr als eindeutig aus: 92,7 Prozent stimmen dafür, die Arbeit niederzulegen – deutlich mehr als die vorgeschriebenen 75 Prozent.

Dennoch: Für Streik zu stimmen, bedeutet für die Beschäftigten eine riesige Überwindung. „Keiner hat das auf die leichte Schulter genommen“, erzählt Dankesreiter. „Aber der Zorn und das Unverständnis über die Haltung der Geschäftsführung waren einfach größer als die Bedenken.“

Gleich am ersten Streiktag steht die Produktion still. Das überzeugt die Geschäftsführung, jetzt doch Verhandlungen aufzunehmen. Daraufhin gehen die Beschäftigten zunächst wieder an die Arbeit. „Wir hatten den Eindruck: Wir sind auf einem guten Weg“, erinnert sich Manuela Dankesreiter. Aber der Schein trügt. „Wir mussten bald feststellen, dass wir an der Nase herumgeführt wurden.“


Solidarität

Es ist ein Freitag als sich die Verhandler darauf einigen, gleich am nächsten Montag die Belegschaft über den Verhandlungsstand zu informieren. Doch schon am nächsten Tag hat jeder Beschäftigte einen Brief der Geschäftsführung im heimischen Briefkasten, der das Zwischenergebnis vom Tag zuvor völlig in Frage stellt. Die Erkenntnis reift: Der Arbeitgeber spielt ein falsches Spiel. „Als wir die Beschäftigten darüber informierten, gab es kein Halten mehr“, erzählt Dankesreiter. Alle sind sich einig: „Wir streiken weiter.“

Diesmal zieht sich der Streik hin. „Wir hatten die Befürchtung, dass die Entschlossenheit bröckelt, je länger der Arbeitskampf dauert, dass die Leute der Mut verlässt und sie die Arbeit wieder aufnehmen“, gesteht Manuela Dankesreiter. Doch das Gegenteil ist der Fall. „Wir wurden immer mehr!“ Parallel laufen die Verhandlungen, zuletzt die ganze Nacht hindurch. Und während sie sich drinnen die Köpfe heißreden, hören sie von draußen die Sprechchöre der streikenden Beschäftigten. „Für uns war die lautstarke Unterstützung eine riesige Motivation, bei den Verhandlungen durchzuhalten“, sagt Manuela Dankesreiter.

Am Freitag früh dann der Durchbruch: Sauter hat wieder einen Tarifvertrag mit der IG Metall! Große Erleichterung macht sich breit. Sie haben es geschafft.

Am Montag gehen alle wieder an die Arbeit. Der Streik ist vorbei. Was bleibt ist die Erfahrung, dass es sich lohnt, gemeinsam für die eigenen Rechte zu kämpfen.


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