Die Urabstimmung über einen unbefristeten Streik war bereits in Vorbereitung, als die Geschäftsführung bei Ørsted doch noch einlenkte. Erstmals setzte die IG Metall einen Tarifvertrag bei einem Offshore-Windparkbetreiber durch. Die Entgelte steigen bis Ende 2029 um 14 Prozent. Zudem gibt es künftig Weihnachtsgeld, höhere Zulagen, Bonuszahlungen und im Mai eine Inflationsausgleichsprämie. Die Arbeitszeit sinkt von 40 auf 38,5 Stunden in der Woche.
Seit anderthalb Jahren forden die 190 Beschäftigten des weltgrößten Offshore-Windparkbetreibers Ørsted Standort Norddeich/Ostfriesland einen Tarifvertrag. Ein Großteil der Beschäftigten sind Servicetechnikerinnen und -techniker, die Windräder auf hoher See warten. Nach 15 Monaten Verhandlungen und fünf Warnstreiks haben sie nun den Einstieg in den Tarif geschafft.
„Die fünf Warnstreiks der Kollegen haben das Verhandlungsergebnis möglich gemacht“, erklärt Thomas Preuß, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Emden. Der Arbeitgeber habe gemerkt, dass es „kurz vor knapp“ war. Der Antrag zur Urabstimmung war gestellt. Diese sollte am 17. April stattfinden. Hätte es jetzt kein verbessertes Angebot gegeben, wären die Mitarbeiter in Norddeich nach fünf Warnstreiks in einen unbefristeten Streik getreten.
Per Videokonferenz schalteten sich die Servicetechniker auf dem Arbeitsschiff zum Warnstreik an Land dazu.
Letzte Woche Mittwoch hatten IG Metall und Management bei geheimen Verhandlungen in Hamburg die Ziellinie erreicht. Am Donnerstagabend stimmten die Mitglieder der IG Metall bei Ørsted über das Verhandlungsergebnis ab.
Der „Verhandlungsknoten“ hat sich auch dadurch gelöst, dass sich Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) eingeschaltet hat. Er soll sich mit Ørsted-Deutschland-Geschäftsführer Jörg Kubitza und IG Metall-Bezirksleiter Daniel Friedrich zu einem Essen in Oldenburg getroffen haben. Daraufhin hatte Ørsted am 3. April ein von der Gewerkschaft lange gefordertes, besseres Angebot gemacht. Danach wurde in kleiner Runde, und ohne die Öffentlichkeit zu informieren, weiter verhandelt.
Auch die Geschäftsführung der deutschen Ørsted-Gesellschaft zeigt sich erfreut. „Das ist ein Meilenstein für die Offshore-Windkraftindustrie. Zum ersten Mal wird es einen Tarifvertrag für Mitarbeiter eines Offshore-Windparkbetreibers geben“, meint Geschäftsführer Jörg Kubitza. Die Verhandlungen der vergangenen Monate hätten aber auch gezeigt, wie komplex die Themen seien. „Daher sind wir sehr glücklich, dass die IG Metall als fairer Verhandlungspartner die Herausforderungen unserer Branche verstanden hat und wir eine für beide Seiten tragfähige Lösung erreicht haben.“
Der Ørsted-Konzern, der mehrheitlich dem dänischen Staat gehört, kann sich den Tarifabschluss leisten. Der Konzern vermeldete für 2023 einen Gewinn von 2,45 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 10,6 Milliarden Euro. Ørsted hat nach eigenen Angaben weltweit 8900 Mitarbeiter, davon 400 in Deutschland – einem der profitabelsten Standorte.
Von diesem Gewinn wollten die Beschäftigten endlich etwas abhaben. Die Servicetechniker warten 12 Stunden am Tag Offshore-Windräder, auch am Wochenende, mit bis zu 60 Leuten auf einem Schiff, zwei Wochen am Stück. Danach haben sie zum Ausgleich zwei Wochen frei. Dieses „Schichtmodell“ ist nur möglich durch eine spezielle Offshore-Arbeitszeitverordnung, die im Küstenmeer und in der Außenwirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland gilt.
Um ihre Arbeitsbedingungen endlich mitgestalten zu können, gründeten sie 2017 einen Betriebsrat, immer mehr traten in die IG Metall ein und sie wählten eine Tarifkommission. Ihr Motto: „100 Prozent erneuerbar – nur mit 100 Prozent Tarif.“
„Die Wind-Branche muss verstehen, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn durch gute und sichere Arbeitsplätze die dringend benötigten Fachkräfte gewonnen werden können“, betont Julian Pohl, Betriebsratsvorsitzender bei Ørsted in Norddeich. „Dies gelingt nur mit Tarifvertrag.“
Das jetzt erzielte Tarifergebnis ist für den Betriebsrat ein „solides Fundament“, um die „positive Entwicklung“ des Standortes Norddeich weiter voranzutreiben, meint Betriebsrat Timo Röpkes. „Wir sind zufrieden mit dem Ergebnis und dem Zusammenhalt der Kollegen während der Warnstreiks und freuen uns über den Einstig in die Tariflandschaft.“
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