Im Kabelwerk Meißen in Sachsen sind sie heute schon zum dritten Mal im Warnstreik. Und das geht ab jetzt bis Weihnachten so weiter. Jeden Montag. Bis der Arbeitgeber endlich einlenkt und ihnen ihren Tarifvertrag gibt. Seit 2009 gab es für die 130 Beschäftigten keine Lohnerhöhungen mehr.
Seit Juni fordern sie ihren Arbeitgeber immer wieder zu Verhandlungen auf. Doch der mauert.
„Offenbar glaubt hier der Arbeitgeber, sich hinter der Corona-Pandemie verstecken zu können und damit die Forderung der Belegschaft auszusitzen“, kritisiert Willi Eisele, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Riesa. „Aus diesem Grund werden wir in den kommenden Wochen gemeinsam mit den Beschäftigten die betrieblichen Aktionen und Warnstreiks ausweiten, um von Woche zu Woche deutlicher zu signalisieren, wie ernst wir es meinen.“
Bereits der erste Warnstreik am 9. November hat zu deutlichen Produktionsausfällen geführt. Ihre Spezialkabel werden dringend gebraucht. Die Beschäftigten im Kabelwerk Meißen arbeiten rund um die Uhr, im Drei-Schicht-Betrieb. Daran wird sich in den nächsten Jahren auch nichts ändern: Die Kabel aus Meißen werden im Elektroauto-Zeitalter umso mehr gebraucht.
Auch im Formteil- und Schraubenwerks Finsterwalde – kurz „Schraube“ haben die Beschäftigten am Donnerstag bereits mit ihrem zweiten Warnstreik innerhalb von zwei Wochen Druck gemacht.
Die Beschäftigten fordern einen besseren Haustarif. Ihre Teile werden dringend gebraucht. Ihre Auftragsbücher sind noch voller als vor Corona. Die Beschäftigten arbeiten sogar an Feiertagen. Der Arbeitgeber hätte am liebsten 21 Schichten an sieben Tagen in der Woche.
„Hier am Standort macht das Unternehmen seit vielen Jahren gute Gewinne. Davon wollen die Kolleginnen und Kollegen endlich auch etwas abhaben“, fordert der Betriebsratsvorsitzende Heiko Reimschüssel. „Es kann nicht sein, dass es hier im Osten 30 Jahre nach der Wende nicht bald eine Angleichung der Löhne gibt und die Belegschaft immer von den Gewinnen ausgegrenzt wird.“
Ihre Löhne liegen mittlerweile 14 Prozent unter dem Flächentarif für die Metall- und Elektroindustrie in Brandenburg. Das einzige, was ständig steigt, sind Arbeitsbelastung und Stress. Seit zwei Jahren verhandeln sie bereits mit ihrem Arbeitgeber über bessere Arbeitsbedingungen. Nun haben sie keine Geduld mehr.
„Der Arbeitgeber zeigte nach dem ersten Warnstreik vor zwei Wochen keinerlei Reaktion und hat sich seitdem auch nicht bei uns gemeldet, um mit uns zu sprechen“, erklärt Paul Rothe von der IG Metall Cottbus-Südbrandenburg. „Deshalb ist der heutige, zweite Warnstreik die logische Konsequenz. Wenn sich der Arbeitgeber weiterhin keinen Kontakt zu uns aufnimmt und keine Verhandlungsbereitschaft zeigt, ist es gut möglich, dass hier vor Weihnachten noch weitere, vergleichbare Aktionen stattfinden. Wir machen hier weiter Druck.“
Für die beiden ersten Warnstreiks haben sie Hygienekonzepte mit den Behörden abgestimmt, vor allem mit dem Gesundheitsamt: Mindestabstand mindestens eineinhalb Meter, Mund-Nasen-Schutz, Eintrag in Anwesenheitslisten zur Nachverfolgung der Kontakte. In Finsterwalde etwa kam die örtliche Polizei kurz nach Beginn und kurz vor dem Ende der Kundgebung vorbei, um die Einhaltung der vorgegebenen Corona-Schutzmaßnahmen zu kontrollieren. Fazit: „Vorbildlich".
Um auch unter den verschärften Corona-Auflagen ab 1. Dezember weiter Druck machen zu können, entwickeln Rothe und die „Schraube“-Beschäftigten gerade Ideen. Sie wollen weiter aktionsfähig bleiben – weil sonst vom Arbeitgeber nichts kommt.
Auch im Kabelwerk Meißen arbeiten IG Metall und Beschäftigte an Ideen zu Corona-konformen Aktionen. Corona kann kein Hinderungsgrund für gewerkschaftliche Grundrechte sein, findet Steven Kempe von der IG Metall Riesa. „Im Betrieb rennen sie doch auch alle nebeneinander rum und arbeiten. Klar gibt es schon ein paar Einschränkungen. Du musst das Gelände größer gestalten als sonst. Du kannst keinen Demo-Zug machen. Und es wird langsam auch wirklich kalt. Wir müssen uns eben ständig was Neues einfallen lassen.“
Auch beim FEV Dauerlaufprüfzentrum (FEV DLP) in Brehna/Sachsen-Anhalt haben die 200 Beschäftigten mit einem Warnstreik Druck gemacht. Seit 2013 warten auf Lohnerhöhungen. Damals hatte der Arbeitgeber ihren Tarifvertrag gekündigt.
FEV arbeitet als Ingenieurdienstleister für die Autoindustrie, auch im Bereich Elektromobilität. Doch die Entgelte der Beschäftigten in Brehna liegen um 20 Prozent unter dem Metall-Tarif in Sachsen-Anhalt – und deutlich unter den anderen FEV-Standorten. Dabei hat das Unternehmen für den Standort Brehna sogar Fördergelder vom Land Sachsen-Anhalt kassiert. Die Beschäftigten und ihre gewählte IG Metall-Tarifkommission fordern eine stufenweise Heranführung an den Metall-Flächentarif.
„Die Geschäftsführung darf nicht länger Augen und Ohren verschließen vor der berechtigten Forderung nach einem Tarifvertrag“, fordert Henry Komorniczyk, Betriebsratsvorsitzender und Tarifkommissionsmitglied bei FEV DLP. „Der Standort in Brehna ist die ‚Cash Cow‘ des FEV-Konzerns. Das muss sich auch für die Beschäftigten auszahlen. Wenn das Unternehmen neue und qualifizierte Arbeitskräfte gewinnen und halten will, dann muss sich bei den Arbeitsbedingungen endlich etwas tun.“
Bereits im September hatte die IG Metall die FEV-Geschäftsführung zu Gesprächen aufgefordert. Doch die Geschäftsführung versteckt sich hinter Corona.
„Die Corona-Krise als Ausrede vorzuschieben, den Beschäftigten faire Arbeitsbedingungen und angemessene Entgelte vorzuenthalten, das können wir nicht hinnehmen“, macht Almut Kapper-Leibe, Geschäftsführerin IG Metall Halle-Dessau klar. „Gerade weil wir in Zeiten der Pandemie und der Transformation des Automobilsektors viele Unsicherheiten erleben, ist es jetzt wichtig, durch Tarifverträge Planbarkeit und Sicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.“
„Zeit zu reden“, „Schluss mit der Ignoranz“, steht auf den Schildern der Beschäftigten beim Warnstreik. Und ihre Ansage an die Geschäftsleitung ist klar: Wenn es sein muss, stehen wir heute auch nicht zum letzten Mal vor dem Tor.