Birgit Steinborn: Wir wollen klarmachen, dass ein globales Unternehmen wie Siemens eine Strategie für das Innovations- und Hochtechnologieland Deutschland braucht, um weiterhin weltweit konkurrenzfähig zu bleiben. Wir werden daher um den Erhalt von Arbeitsplätzen und den Erhalt der Wertschöpfungskette kämpfen. Wir brauchen langfristige Perspektiven für die deutschen Standorte. Reine Kostensparprogramme wirken einer langfristig orientierten Zukunftsperspektive für das Unternehmen entgegen, und zwar nicht nur in Deutschland.
Siemens ist kein Sanierungsfall. Produkte und Lösungen sind weltweit konkurrenzfähig. Aber viele Kolleginnen und Kollegen kritisieren, dass sie sich mehr mit den Prozessen beschäftigen müssen als mit den Kunden. Das soll jetzt geändert werden, viele Aufgaben und umständliche Prozesse sollen wegfallen, damit fallen auch Stellen weg. Das haben wir genau geprüft. Wir konnten es erreichen, dass gemäß unserem Interessenausgleich schon ca. 700 Mitarbeiter entweder versetzt werden konnten oder per Altersteilzeit wie gewünscht vorzeitig in Rente gehen können. Ob es weitere Versetzungen geben kann, wird jetzt konkret und individuell vor Ort verhandelt. Wir meinen: Vertrieb sowie Forschung und Entwicklung müssen gestärkt werden. Übrigens gilt darüber hinaus unser Beschäftigungsabkommen, betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen.
Wir können vor einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld im Energiegeschäft auch nicht die Augen verschließen. Inzwischen wissen wir aber auch, dass das Management viele Fehler gemacht hat. Angefangen von Fehleinschätzungen der Marktentwicklung bis hin zu Einsparungen bei Forschung und Entwicklung zugunsten der Gewinnmarge. Gerade Verlagerungen sind besonders kritisch. Hier geht es um die Wertschöpfung unserer Standorte. Wir wollen Verlagerungen verhindern, wir wollen die Wertschöpfungstiefe in unseren Werken erhalten, und wir fordern Innovationen und eine Perspektive für Deutschland. Das gilt auch für die anderen Bereiche bei Siemens: Wir fordern eine Wertschöpfungsstrategie für den Standort Deutschland.
Im Zweifel setzt sich da die Marge durch. Für uns kommt aber der Mensch vor der Marge. Leider haben in den letzten Jahren Kostensparprogramme im Fokus gestanden. Dabei hat sich gezeigt, dass reine Kostensparprogramme nicht langfristig gewirkt haben, sondern die Mitarbeiter verunsichert und demotiviert haben. Daher brauchen wir Innovationen und Motivation statt Kostensparprogramme und Abbauszenarien. Reinen Kostensparprogrammen setzen wir unsere Zukunftsperspektive Siemens 2020 entgegen: Die Wertschöpfung in Deutschland und Europa stärken, die Aktivitäten divisionsübergreifend integrieren, in Zukunftstechnologien investieren, Arbeitsbedingungen und Arbeitsumfeld attraktiv gestalten und eine Unternehmenskultur mit Feedback und Vertrauen über alle Hierarchieebenen schaffen.
Wir haben in Deutschland Kompetenzen, die müssen wir erhalten. Das globale Unternehmen Siemens muss seine Verantwortung für den Produktions- und Innovationsstandort Deutschland wahrnehmen. Und mir geht es um eine Kultur der Mitbestimmung und Beteiligung der Arbeitnehmer. Dabei müssen die Menschen und nicht immer neue Abbauprogramme im Mittelpunkt stehen, denn die Mitarbeiter sind Basis und Wert des Unternehmens.
Zur Person: Birgit Steinborn ist Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats und stellvertretende Vorsitzende im Aufsichtsrat der Siemens AG. Die Diplomsoziologin und Industriekauffrau (Stammhauslehre bei Siemens in Berlin) ist seit 36 Jahren im Unternehmen tätig. Sie ist seit 1990 Betriebsrätin am Standort Hamburg. Sie war dort 12 Jahre Betriebsratsvorsitzende bis sie 2008 zur stellvertretenden GBR-Vorsitzenden gewählt wurde.