Jörg Hofmann: Ich sehe keine Sinnkrise. Gewerkschaften sind bei den aktuellen Themen – etwa der Zukunft der digitalisierten Arbeitswelt – wichtiger denn je.
Deutschland ist zwar ein reiches Land, aber ein Land wachsender Ungleichheit – im Vermögen, bei den Chancen und auch bei den Einkommen. Das muss sich ändern.
Das stimmt für die moderaten Tarifabschlüsse der 90er-Jahre bis Anfang dieses Jahrtausends. Genau in diesen Jahren haben die Unternehmer aber massiv Tarifflucht betrieben. Dadurch ist unser Schwert stumpfer geworden. Da hat seit 2004 in der Metall- und Elektroindustrie gottlob eine Wende eingesetzt. Der Abwärtstrend ist gestoppt. Aber das reicht noch nicht. Deshalb beziehen wir in dieser Tarifrunde stark tarifungebundene Firmen ein.
Wir haben in allen Regionen Deutschlands Mitglieder hinzugewonnen und Unternehmen zurück in die Tarifbindung gedrängt. Den Arbeitgebern muss aber klar sein: Das ist kein Kurzläufer, sondern eine langfristige Kampagne. Wir lassen da nicht mehr locker.
Das Streikrecht ist ein Grundrecht, und das nehmen wir jetzt auch wahr. Wir werden in der großen Fläche Warnstreiks durchführen. Das haben sich die Arbeitgeber selbst zuzuschreiben. Ihr Angebot ist Magerkost für die Beschäftigten zugunsten der Profite.
Es ist eine Option, keine Pflicht. Wir wollen eine schnelle Verhandlungslösung.
Nein. Das hohe Gut der Tarifautonomie verlangt das Streikrecht.
Enorm. Wir hatten mit fünf Prozent ein Kompromiss-Signal gesetzt. Die niedrigste Forderung seit langem. Die Arbeitgeber haben das nicht aufgegriffen. Sie setzen auf eine Kehrtwende in der Lohnpolitik. Darin liegt der Grundkonflikt, der hier angezettelt wird. Der Abschluss wird deutlich über diesem Angebot liegen. Wie der Verband das seinen Mitgliedern verkaufen will, ist mir ein Rätsel.
Das ist, entschuldigen Sie, Blödsinn. Dann müssten die Arbeitgeber konsequenterweise auch von Scheinprofiten reden und keine Dividenden ausschütten. Das tun sie aber kräftig. Allein die vier größten Verbandsmitglieder von Gesamtmetall kommen auf eine Dividendensumme, aus der sich die komplette Forderung der IG Metall für alle Beschäftigte finanzieren ließe. Auch das zeigt: Wir haben eine stabile konjunkturelle Lage, volle Auftragsbücher und eine gute Ertragssituation.
Wir haben für solche Fälle das Pforzheimer Abkommen. Wenn die IG Metall zustimmt, sind Abweichungen schon heute möglich. Im Übrigen orientieren wir uns bei der Forderungsfindung nicht nur an den Stars oder den Schlusslichtern der Branche. Wir lassen da schon Augenmaß walten.
Es wäre schön, wenn wir auf dem Wege des Verhandelns zeitnah zu einem Ergebnis kommen. Wenn die Arbeitgeber aber die Signale, die jetzt von unseren Warnstreiks ausgehen, nicht kapieren und ihr Angebot in der nächsten Runde nicht noch einmal ordentlich aufstocken, dann reden wir auch über Urabstimmung und Streik.
Bisher habe ich noch von keinem Thyssenkrupp-Manager eine plausible Antwort darauf bekommen, warum sie den Konsolidierungsdruck wie ein unverrückbares Mantra vor sich hertragen. Eine Konsolidierung ist nicht zwangsläufig die Lösung der Branchenprobleme. Und dem Konzern muss klar sein: Wir werden genau darauf achten, dass jede Lösung sichere Perspektiven für die Beschäftigten bietet.
Es lohnt sich nicht über jedes denkbare Modell zu philosophieren, das gerade auf dem Markt ist. Ich erwarte jetzt erst mal von den Vorständen, dass sie uns genau erklären, woher dieser vermeintliche Konsolidierungs-Zwang kommen soll und was er bringen soll. Nur weil ein Investor im Hintergrund Druck macht, heißt das noch lange nicht, dass man sofort springen muss. Das bringt nur unnötig Unruhe in die Belegschaft.
Alle bisherigen Versuche, bei der Elektromobilität in Deutschland voranzukommen, waren zu zögerlich. Da sind etwa die Norweger oder die Niederländer schon viel weiter. Deshalb ist es gut, dass sich jetzt was bewegt und Deutschland damit nicht nur Hersteller-, sondern auch Abnehmerland wird. Die zeitlich befristete Prämie begrüßt die IG Metall ausdrücklich. Elektroautos müssen günstiger werden, damit sie hierzulande akzeptiert werden. Dafür müssen sie in größerer Stückzahl hergestellt werden. Nur dann gehen auch die Kosten runter.
Ich bin regelmäßig mit einem Carsharing-E-Mobil unterwegs. Um vollständig umzusteigen, muss aber das Reichweitenproblem gelöst werden, dazu braucht es neue Batterietechnologie. Und ich plädiere dafür, dass darauf der Stempel „Made in Germany“ steht. Und es muss bundesweit viel mehr Ladestationen geben. Erst dann wird das Elektroauto von einem Phänomen der Ballungsräume zur akzeptierten Massenware.
Interview: Rheinische Post vom 30.04.2016, Autor: Maximilian Plück