Am 15. November starten die Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie. Unter dem Motto „Miteinander für morgen“ fordern wir eine Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 6 Prozent ― sowie eine Wahloption bei der Arbeitszeit.
Beschäftigte sollen ihre Arbeitszeit ohne Begründungszwang auf bis zu 28 Stunden in der Woche für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten reduzieren und anschließend wieder auf ihre frühere Arbeitszeit zurückkehren können. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt Jörg Hofmann, warum die IG Metall mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit für alle Beschäftigten erreichen will.
Jörg Hofmann: Wir haben die Beschäftigten befragt. Und zu unserer Überraschung haben sich 680 000 Menschen die Mühe gemacht, einen Fragebogen auszufüllen.
Das heißt das ja nicht, dass die anderen keine weiteren berechtigten Wünsche haben. 80 Prozent sagen: Wir brauchen Arbeitszeiten, die besser zum Alltag oder zu der Lebensphase passen, in der man gerade ist.
Es fühlt sich leichter an, weil es ideologisch nicht so aufgeladen ist wie das Thema Arbeitszeit. Dabei geht es immer um Machtfragen: Wer bestimmt über die Zeit ― die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer selbst?
Eigentum an Produktionsmitteln ist mit einer Verpflichtung fürs Gemeinwohl verbunden. Das ist die Grundlage des Sozialstaats, das ist auch die Grundlage von Lohnfortzahlung und Urlaubsgeld, und das muss in einem modernen Sozialstaat auch etwa für Sorgearbeit für Kinder und die Pflege Familienangehöriger gelten.
Und von einer vorübergehenden Absenkung der Arbeitszeit auf 28 Stunden hat die Firma auch etwas. Man bindet jemanden an den Betrieb, der andernfalls vielleicht ganz wegginge.
Na ja, was an Prozenten herauskommt, hängt stark von der öffentlichen Debatte über unsere Forderungen ab, und davon, wie viele Beschäftigte wir auf die Beine kriegen, zu Kundgebungen oder Streiks. Das ist uns immer in denjenigen Tarifrunden besser gelungen, in denen wir nicht nur Geld gefordert haben, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen.
Jedenfalls nicht weniger, als wenn wir nur Geld fordern.
Wenn das so ist, wundere ich mich, warum sie weniger ausbilden als früher. Also: Bildet mehr aus! Und in der Metall- und Elektroindustrie sind nur 20 Prozent der Beschäftigten Frauen. Warum überlegen die Firmen nicht, wie sie für die attraktiver werden? Das ginge am besten, indem sie über attraktive Arbeitszeiten nachdenken.
Selber schuld! Die IG Metall hilft den Firmen mit ihrer Forderung gerade. Und jetzt verraten Sie mir noch, warum die Firmen sowohl jammern als auch jeden siebten Arbeitnehmer unter dessen Qualifikation beschäftigen. Meister, die am Band arbeiten. Techniker, die sich weitergebildet haben, aber keinen Schritt vorankommen. Da gibt’s Tausende. Personalentwicklung und Fortbildung ist für viele Firmen ein Fremdwort ― oder exklusiv für Führungskräfte.
Ist ja klar, dass sie dagegenhalten. Aber wir erwarten auch, dass sie auf unsere Forderungen Antwort geben.
Sie wollen Zuschläge für Überstunden sparen. Gleichzeitig weigern sie sich, mit uns bundesweit Arbeitszeitkonten zu vereinbaren. Die könnten dann abgebaut werden, wenn es einem Betrieb schlechter geht, so dass man die Beschäftigten halten kann, statt sie entlassen zu müssen.
Weil wir beide wissen: Durch die Tür, durch die wir hinausgehen, müssen wir auch wieder zurückkehren. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Das ist schon mal eine gesunde Grundlage. Und wir sind beide ziemlich verbissen in dem Willen, unsere Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen selber zu regeln, ohne den Staat. Der muss Mindestbedingungen für die sichern, die keinen Tarifvertrag haben.
Den Ausdruck habe ich mein Lebtag noch nicht in den Mund genommen. Aber Sie haben Recht, Rituale geben Halt. Noch etwas anderes ist wichtig: Unsere Mitglieder sind unmittelbar von unseren Ergebnissen betroffen, viel stärker als Parteimitglieder von den Ergebnissen von Politik. An unseren Verhandlungstischen sitzen die Betroffenen. Da geht man nicht ohne Ergebnis auseinander. Was übrigens die Regierungsbildung betrifft, finde ich die Bemühungen des Bundespräsidenten, diese zu ordnen, mehr als hilfreich. Man kann sich zwischen Demokraten nicht gegenseitig mit Tabus blockieren und das Volk so oft an die Urnen rufen, bis das Ergebnis passt. Neuwahlen sind das Doofste überhaupt.
Das gibt’s natürlich. Und das ist kein Ritual, sondern wir brauchen den Druck. Der wirkt bei der Auftragslage. Einen massiven Arbeitskampf kann sich die Industrie Anfang 2018 eigentlich nicht leisten.
Eben.
Ja, aber wir können das nicht treiben lassen, dass Arbeitszeit immer nur bedeuten soll: Vollzeit plus Überstunden plus Flexibilität plus steigender Leistungsdruck. Die junge Generation ist nicht mehr bereit, sich dem zu unterwerfen. Wir brauchen dringend einen Kulturwandel.
Massenentlassungen auszuschließen in gut verdienenden Konzernen, das unterschreibe ich. Vor allem, wenn der Arbeitgeber über die Köpfe der Beschäftigten hinweg entscheidet.
Ja, nämlich über Investitionen neue Beschäftigung zu schaffen. Die Art, wie Siemens-Chef Joe Kaeser dieses Thema kommuniziert, ist skandalös. Und da seine Pläne für manche Standorte das komplette Aus bedeuten würden, wird die IG Metall nun ordentlich Krawall machen. Wir werden die Beschäftigten ganz bestimmt nicht alleine ihrem Schicksal überlassen.
Streik bleibt immer das letzte Mittel.
Das Interview führte Detlef Esslinger. Es ist am 23. November 2017 in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen.