Darüber haben unsere gewählten Tarifkommissionen diskutiert und die Lage in den Betrieben bewertet. Ihr Vorschlag: um die sechs Prozent mehr Geld und ein Recht auf verkürzte Vollzeit. Jeder Beschäftigte soll vorübergehend kürzer arbeiten können, um mehr Zeit zum Leben zu haben.
Klar ist: Die Beschäftigten wollen deutlich mehr Geld. Sie wollen ihren Anteil am wirtschaftlichen Erfolg und mehr Selbstbestimmung bei ihrer Arbeitszeit. Das ergaben die Diskussionen der vergangenen Monate in den Betrieben und unsere Befragung im Frühjahr, an der sich gut 680 000 Beschäftigte beteiligten.
Mitte September fassten die Tarifkommissionen die Debatten zusammen. Zur Diskussion stehen seither eine Lohnerhöhung um die sechs Prozent ― die Wirtschaft brummt und kann sich das leisten ― und ein Recht für alle Beschäftigten, die bei uns Mitgleid sind, ihre Arbeitszeit individuell und befristet absenken zu können.
Die Zeit ist reif für moderne Arbeitszeiten, die auch den Bedürfnissen der Beschäftigten gerecht werden. In unserer Beschäftigtenbefragung gab jeder Dritte an, er würde seine tatsächliche Arbeitszeit gerne verkürzen ― nicht gleich in Teilzeit, aus der viele nicht mehr zurück in Vollzeit kommen, sondern nur für eine Zeit lang ― und das unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen, beruflicher Qualifikation oder Kindern.
Das haben die Tarifkommissionen aufgegriffen: Die Forderung, die nun diskutiert wird, lautet: Jede soll einen Anspruch darauf haben, die Arbeitszeit für zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden absenken zu können und anschließend wieder auf Vollzeit zu gehen. Nach dem Prinzip: „Jeder kann, niemand muss.“ Dazu brauchen Beschäftigte eine tarifliche Regelung. Denn nur wer das Recht hat, kann sich entscheiden.
Mit diesem Recht im Tarifvertrag könnten Beschäftigte ihre Arbeit und ihr Privatleben selbstbestimmter gestalten. Es gibt ihnen die Möglichkeit, bei der Arbeit eine Zeit lang kürzer zu treten, das Haus auszubauen oder zu renovieren, mehr Zeit für die Kinder zu haben, Angehörige zu pflegen oder der Gesundheit zuliebe weniger zu arbeiten. Das soll nicht nurmöglich sein, es soll sich auch jeder leisten können.
Deshalb wollen wir für bestimmte Gruppen einen Entgeltausgleich durchsetzen, wenn sie ihre Arbeitszeit vorübergehend verkürzen. Wir diskutieren diesen Zuschuss unter anderem für Beschäftigte, die kürzer treten wollen, weil die Arbeitszeit ihre Gesundheit belastet, etwa in Schicht. Auch Beschäftigte, die Kinder erziehen oder Angehörige pflegen, könnten einen Zuschuss bekommen. Damit sie es sich auch mit niedrigeren Einkommen leisten können, Zeit für ihre Gesundheit, ihre Familie oder pflegebedürftige Angehörige zu haben.
Vor allem sollen endlich auch die Beschäftigten über ihre Arbeitszeit bestimmen ― nicht nur der Chef. Die große Mehrheit wünscht sich Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Doch zwischen dem Wunsch, etwas weniger zu arbeiten, und den tatsächlichen Arbeitszeiten klafft eine große Lücke. Die Mehrheit der Beschäftigten arbeitet länger, als vertraglich vereinbart. Bei fast 48 Prozent der Befragten steht die 35-Stunden-Woche zwar im Arbeitsvertrag, aber nur knapp 16 Prozent arbeiten tatsächlich 35 Stunden pro Woche. Dabei ist die Zahl der Befragten, die 36 Stunden und länger arbeiten, im Vergleich zu unserer Befragung im Jahr 2013 noch einmal um gut vier Prozentpunkte gestiegen. Und immer mehr Beschäftigte arbeiten auch am Wochenende.
Für uns ist es höchste Zeit, diese Entwicklung zu stoppen. Wir wollen moderne Arbeitszeiten. Die Arbeitgeber halten dagegen. In einer globalisierten Wirtschaft bestimme „der Kunde, und nur der Kunde, wie viel Arbeit vorhanden ist und wann sie erledigt sein muss“, sagt der Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Rainer Dulger. Diesem Druck könne sich keiner entziehen, wenn er im Wettbewerb mithalten wolle. Kürzere Arbeitszeiten seien nicht zeitgemäß, da ihnen ohnehin schon Fachkräfte fehlten.
Doch gerade wer Fachkräfte braucht, muss die Arbeitszeiten modernisieren und sie den Bedürfnissen der Beschäftigten anpassen. Gerade Jüngere legen darauf wert, wie die Shell-Jugendstudie seit einigen Jahren zeigt. Mehr als 90 Prozent der jungen Menschen ist es wichtig, dass Familie und Freunde neben dem Beruf nicht zu kurz kommen. Mehr als die Hälfte ist nicht bereit, für die Karriere Überstunden selbstverständlich in Kauf zu nehmen. Moderne Arbeitszeiten können Unternehmen für Fachkräfte attraktiver machen. Vor allem Frauen könnte moderne Arbeitszeit die Entscheidung für technische Berufe leichter machen. Viele interessieren sich durchaus für Technik. Nur wechseln Frauen nach einer Ausbildung häufig auf einen Bürostuhl, weil die Arbeitszeiten dort einfach besser zum Familienleben passen.
Viele Unternehmen bringen sich mit ihrer Arbeitszeitlogik aus Vollzeit und Überstunden und Leistungsdruck selbst um Fachkräfte. Arbeitszeiten, die sich ausschließlich am Vollzeitjob orientieren, grenzen Mütter und Väter aus, die sich um ihre Kinder kümmern wollen. Wer Fachkräfte will, muss die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern. Einerseits beklagen Arbeitgeber, ihnen würden Fachkräfte fehlen, andererseits verweigern sie vor allem Müttern in Teilzeit, mehr Stunden zu arbeiten. Von den knapp fünf Prozent, die laut unserer Beschäftigtenbefragung gerne länger arbeiten würden, arbeitet mehr als jeder Vierte in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden pro Woche.
Moderne Arbeitszeiten ermöglichen es vielen gut ausgebildeten Fachkräften erst, mehr zu arbeiten. „Wir müssen das Mantra der Arbeitgeber ’Vollzeit plus Überstunden plus Flexibilität plus Leistungsdruck’ durchbrechen. Das sind keine Arbeitszeiten, die zum Leben passen“, sagt unser Vorsitzende, Jörg Hofmann. „In der Arbeitswelt der Zukunft arbeiten die Menschen selbstbestimmt und sicher, um kreativ, gesund und zufrieden zu sein.“
Angesichts der wirtschaftlichen Daten halten wir die Forderungsvorschläge um die sechs Prozent mehr Geld für mehr als angemessen. Die Wirtschaft wächst ― in Deutschland, Europa und weltweit. Insbesondere die Metall- und Elektroindustrie steht gut da und erreicht Rekordwerte. Die Betriebe sind zu 88 Prozent ausgelastet ― der höchste Wert seit 2008. Und die Renditen sind auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren.
Auch für das kommende Jahr sagen die Wirtschaftsinstitute ein robustes Wachstum voraus. Der ifo-Geschäftsklimaindex, bei dem die Unternehmen ihre eigene Lage einschätzen, ist auf dem höchsten Stand seit Beginn der Statistik im Jahr 1991. Die Metall- und Elektroindustrie erwartet, dass Produktion, Beschäftigung und auch die Exporte weiter steigen werden.
Der stärkste Treiber des Wirtschaftswachstums in Deutschland ist nach wie vor der private Konsum. Die Deutschen kaufen ein. Dazu haben unsere Tariferhöhungen einen deutlichen Beitrag geleistet. Seit dem Jahr 2000 sind die Tariflöhne in der Metall- und Elektroindustrie um fast 60 Prozent gestiegen. 3,9 Millionen Beschäftigte haben davon profitiert. Ebenso wie die Gesamtwirtschaft, die im achten Jahr in Folge wächst. Diese erfolgreiche Tarifpolitik wollen wir fortsetzen. Die Beschäftigten haben sich ihren Anteil am Wachstum verdient. Auch wenn die Arbeitgeber das anders sehen und wie Südwestmetall-Chef Stefan Wolf klagen, wir wollen den letzten Cent herauspressen: Die Metall- und Elektroindustrie kann sich ordentliche Entgeltsteigerungen locker leisten.
Am 10. Oktober wird unser Vorstand eine Empfehlung zur Forderung für die Metall-Tarifrunde beschließen. Dann läuft die Forderungsdebatte in den Betrieben und auf Versammlungen weiter. Am 24. Oktober kommen dann erneut die Tarifkommissionen zusammen, um über die endgültigen Forderungen zu entscheiden. Diese werden schließlich am 26. Oktober von unserem Vorstand bestätigt. Am 15. November starten dann die Verhandlungen mit den Arbeitgebern in den Bezirken.
Gründe für moderne Arbeitszeit