Jörg Hofmann: Ich nehme an. Es sei denn, wir würden überraschenderweise diese Woche in den Verhandlungsrunden, die noch vor Ende der Friedenspflicht stattfinden, ganz gewaltige Fortschritte machen – die sehe ich nicht. Insoweit müssen wir damit rechnen, dass wir dann am 29. aufrufen zu Arbeitsniederlegungen, Warnstreiks in der Breite der Bundesrepublik, in der Breite unserer Branchen und Betriebe.
Na ja, das ist das alte Tarifpolitikerlatein: Jede Verhandlung ist schwer und zu Beginn noch schwerer. Ob sie schwer werden, hängt deshalb natürlich auch mit ab davon: Wie sieht das Angebot der Arbeitgeber aus? Ich erwarte das nächste Woche.
Noch bevor die Friedenspflicht endet. Es wäre zumindest schlau – auch unter dem Aspekt: Wollen wir jetzt eine Zuspitzung des Konfliktes oder wollen wir den Weg in Richtung einer schnellen Verhandlungslösung, wenn das nächste Woche kommen würde.
Es gebietet die tarifpolitische Vernunft, dass was kommt – die will ich auch meinem Gegenüber nicht absprechen.
Wir orientieren unsere Lohnpolitik nun seit Jahrzehnten – das kann ich jetzt sogar in persona sagen – nicht an kurzfristigen ökonomischen Rahmendaten, sondern an langfristig wirksamen.
Zum Schaden eines Wachstums, weil wir brauchen – und nicht umsonst hat die EZB eine Zielinflationsrate von zwei Prozent im Auge – eine gewisse Preissteigerung, um den Kreislauf zwischen Sparen, Investieren und Wachstum am Laufen zu halten. Und da sind wir gerade in einer Situation, wo eher Deflation droht. Und auch dazu muss Lohnpolitik Beiträge leisten. Ich meine, mit der Orientierung an der Zielinflationsrate – die wir übrigens auch eingehalten hatten, als 2007 die Inflationsrate ja einmal über den zwei Prozent lag – haben wir Verlässlichkeit in der Lohnpolitik genauso, wie wir uns nicht an den kurzfristigen Ausschlägen des Produktivitätswachstums orientieren, sondern an der langfristigen Trendproduktivität der Gesamtwirtschaft. Das gibt Verlässlichkeit. Und ich denke, Lohnpolitik tut gut daran, sich als verlässlicher Faktor in einer ohnehin volatilen Umwelt zu beweisen. Und wir sind beide, glaube ich, damit ganz gut gefahren.
Ich meine, die EZB hat wirklich bewundernswert in den letzten Monaten alles dazu beigetragen, dass wir eine Beruhigung auf den Finanzmärkten bekommen haben. Sie ist aber jetzt irgendwann mal auch am Ende mit den Instrumenten, die ihr zur Verfügung stehen. Und sie braucht Unterstützung einerseits durch staatliche Investition. Die staatliche Investitionstätigkeit liegt darnieder; wir brauchen mehr Impulse, weil die Hebelwirkung jeder öffentlichen Investition enorm ist. Und sie braucht Unterstützung auch durch die Lohnpolitik, ohne Zweifel. Hier kann Lohnpolitik jetzt gerade in der Situation auch etwas dazu beitragen, dass wir wieder eine Balance von Preis, Nachfrage, Angebot auf der einen Seite und Beschäftigung und Wachstum auf der andern Seite bekommen werden.
Es ist unverantwortlich, die EZB hier allein zu lassen. Es ist unverantwortlich, wenn Politik sich wegdrückt, nicht über entsprechende Investitionen im öffentlichen Bereich, nicht über entsprechende Investitionen im europäischen Kontext auch dazu beiträgt, eben diese Gefahr von Deflation und damit auch einem weiter stagnierenden Wachstum zu begegnen. Deswegen haben wir schon seit Langem die Idee herangetragen: Wir brauchen so etwas wie einen Europäischen Investitionsfonds.
Den halte ich für richtig, weil er wahrscheinlich gerade im Moment alternativlos ist. Er wird aber dann letztendlich in eine Sackgasse führen, wenn er nicht Unterstützung bekommt. Die Geldpolitik allein ist nicht das Politikfeld, dass das Thema, das uns bewegt, allein lösen kann.
Hofmann: Der richtet sich an die Bundesregierung, der richtet sich auch an die EU. Wir brauchen ein europäisches Wachstumsprogramm über öffentliche Investitionen.
Aber mit viel zu kleinen Beträgen. Unser Institut, das IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung), hat gerade gerechnet, wenn man ein Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) zusätzlich – das wären 100 Milliarden – im Jahr in öffentliche Investitionen stecken würde – und das ist machbar, es ist ja genügend Vermögen da, das aktiviert werden kann auch über Anlage, um solche Investitionen zu finanzieren –, würde das einen Wachstumshebel von 1,6 Prozent bedeuten. Das heißt, auf drei Jahre verteilt etwa eine 300-Milliarden-Investition in öffentliche Bereiche, in Infrastruktur, in Bildung, in Digitalisierung, hat erfahrungsgemäß eine extrem hohe Hebelwirkung, was den Wachstumsimpuls angeht. Das ist eine Conditio sine qua non (unabdingbare Voraussetzung) in der Frage: Wie kommen wir aus einem etwas eher schleichenden Wachstumsprozess wieder nach vorne?
Dass sie sich stark macht im europäischen Kontext für ein starkes europäisches Investitionsprogramm. Dass sie sich jetzt stark macht für massive Investitionen in den Feldern, die ja beschrieben sind.
Wir fordern mehr; eine deutlich bessere Ausstattung des Investitionspaketes. Das, was im Moment in der Diskussion ist, das reicht nicht aus, um die Impulse zu setzen, die wir brauchen.
Ja, wir halten die jetzt vorgesehenen zehn Milliarden für zu niedrig angesetzt. Die IG Metall geht davon aus, dass 20 Milliarden Investitionsvolumen zwingend notwendig sind, um hier Impulse zu setzen.
Er hilft im Moment – ja – insbesondere deswegen, weil wir den zufällig parallelen Effekt des niedrigen Ölpreises haben. Wäre der Ölpreis und damit die Importpreise deutlich höher, würde er nicht sonderlich helfen, sondern würde sozusagen wieder kompensiert. Das ist jetzt ein Zufall der Geschichte. Das ist natürlich ein Geldsegen für die Ertragssituation einer Exportwirtschaft, wenn Importpreise stabil sind und sich die möglichen Währungseffekte sehr positiv auf die Ertragslage ausstrahlen, ist aber kein langfristiger Aspekt.
Na ja, das ist ziemlich auf die Tränendrüse gedrückt, weil wir rechnen mit einem Wachstum der Metall- und Elektroindustrie von drei Prozent. Das deckt sich auch mit den Branchenprognosen, die dort die Deutsche Bank oder auch das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) aufgestellt haben.
Doppelt so viel. Es ist auch nicht nachvollziehbar. Also wer einen Blick in die Branchen wirft: Der Fahrzeugbau ist da in einer hervorragenden Situation und mit einem ganz stabilen Wachstumspfad.
Wir haben eine Differenzierung.
Wir haben eine Unterschiedlichkeit in der Einzelbranchenentwicklung. Wir haben eine Unterschiedlichkeit auch in der Branche zwischen Unternehmen. Das ist nun mal Marktwirtschaft. Und deswegen orientiere wir uns ganz bewusst nicht an den Branchendaten, sondern an den gesamtwirtschaftlichen Daten, weil das der Bezugspunkt ist und Maßstab ist, den wir auch als IG Metall – die über alle Branchengrenzen hinweg tätig Tarifpolitik entwickelt, – als Maßstab nehmen können.
Ich sehe keine Notwendigkeit zu Öffnungsklauseln dann, wenn wir uns an gesamtwirtschaftlichen Größen orientieren. Sie werden ja auch keine unterschiedlichen Steuersätze verlangen von denen, denen es gut geht und denen, denen es schlecht geht.
Natürlich unterschiedlich, je nach dem, welche Relevanz diese Märkte in den einzelnen Unternehmen haben. Aber wir merken es gerade im Investitionsgüterbereich durchaus teilweise kräftig. Es ist vor allem auch eine Unsicherheit da. Das Thema Dual-Use-Güter ist ein Problem, das durch …
Dual-Use-Güter sind Güter, die sowohl militärisch wie zivil genutzt werden können. Natürlich können sie aus jedem Bus, aus jedem Transporter sowohl eine militärische Nutzung wie eine zivile Nutzung machen. Hier, glaube ich, haben wir zurecht sehr restriktive Bedingungen – das wird nicht in allen anderen Ländern, gerade auch, ich nehme mal die USA, in der gleichen Enge gesehen. Das ist ein Problem. Aber wir stehen für eine restriktive Exportpolitik an der Stelle, müssen aber jetzt auch die Konsequenzen tragen, dass wir teilweise doch erhebliche Belastungen haben durch die Embargopolitik.
Teil 2: Gespräch mit Jörg Hofmann im Deutschlandfunk