Jörg Hofmann: Deswegen, weil gerade diese Lohnpolitik der letzten Jahre dazu beigetragen hat, dass wir in der Bundesrepublik nun 2014 in ein zwar nicht so hohes wie ursprünglich prognostiziertes, aber doch stabiles Wachstum eingeschwenkt sind. Das hat keine Exportbegründung. Die Begründung liegt vor allem in der deutlich stabilen Binnennachfrage und da insbesondere im privaten Konsum. Und ich halte es ja schon für bemerkenswert, dass letzten Sommer selbst die Deutsche Bundesbank, die uns 50 Jahre traktiert hat, dass nur eine angebotsorientierte Makroökonomie erfolgreich ist, erkannt hat, dass das Thema Nachfrage, Binnennachfrage, privater Konsum einen extrem notwendigen Stabilisator gerade in der jetzigen Situation darstellt.
Ja, aber natürlich von einseitig interessierter Stelle. Ich sage: Erkenntnisgewinn in unsere Richtung kann ich immer belobigen.
Er steigt eben nicht aus, sondern er bleibt Beschäftigter des Betriebes und reduziert seine Arbeitszeit so, dass er während seiner Arbeit entsprechende Umschulung, zusätzliche Ausbildung machen kann – das kann auch geblockt passieren. Das heißt, er arbeitet zu einem reduzierten Entgelt, wo wir Aufstockungsbeträge verlangen dazu, zunächst einmal voll, um dann die Zeitspanne, die er angespart hat, dann sich ganz freistellen zu lassen, etwa für einen Techniker auch. Genauso wäre denkbar – was wir ja immer öfter haben –, dass junge Menschen nach der dualen Ausbildung sagen: Nein, ich möchte noch einmal einen Schritt weiterkommen. Die Betriebe haben großes Interesse, gerade qualifizierte junge Menschen bei sich zu halten. Warum kann man nicht dann auch über einen längeren Zeitraum so ein Teilzeitmodell stricken, sodass ein Studium, ein Bachelor-Abschluss möglich ist.
Nein, da muss man sich verständigen: Ist der Fachkräftemangel ein persönliches Problem oder ein gesellschaftliches? Ich halte es schon für ein gesellschaftliches, auch eines, was Arbeitgeber mit berühren müsste, nicht nur in Sonntagsreden, sondern im praktischen Handeln. Das lässt sich nicht immer einzelbetrieblich darstellen, das ist richtig.
Die unternehmerische Freiheit endet dort, wo das Gemeinwohl betroffen ist. Und in diesem Fall geht es um die Frage: Wie können wir eine demografische Entwicklung auf der einen Seite und eine massive Umwälzung von Tätigkeitsprofilen, Anforderungen, Qualifikationen im Kontext etwa von Industrie 4.0, Digitalisierung der Arbeitsfelder bewältigen? Und da spielt Qualifikation und Ausbildung, Umschulung während des Berufslebens eine unbestritten große Rolle. Und jetzt geht es darum: Wie verorten wir dort die Verantwortung des Arbeitgebers? Welche Chancen geben wir Arbeitnehmern? Welche belastbaren Wege eröffnen wir? Und genau an diesem Punkt arbeiten wir gerade. Im Übrigen – weil dann gleich der Vorwurf kommt: Wir nehmen eben Arbeitsvolumen raus, wo doch Arbeitsvolumen eng wird …
Eben die, die heute gar keine Chancen haben, qualifizierte Arbeit im Betrieb abzuleisten, weil zum Beispiel das Thema Vereinbarkeit für sie nicht gelöst ist. Ohne dass wir das Potenzial, das wir haben – gerade von heute noch nicht Erwerbstätigen oder nicht adäquat qualifiziert eingesetzten Erwerbstätigen –, nutzen, werden wir das Fachkräfteproblem nicht lösen. Und insoweit brauchen wir eine Flexibilität in der Lebensarbeitszeit, damit wir die Gesamtarbeitsvolumina, die wir an qualifizierter, effizienter Arbeitskraft in der Bundesrepublik haben, auch nutzen können.
Es hat zuerst einmal der Arbeitnehmer das Sagen, indem er entscheidet: Tue ich mir das an? Bildung hat auch etwas mit Anstrengung zu tun, und es ist gar nicht so einfach, Leute zu motivieren, dass sie sich motivieren: Ich tue mir diese Anstrengung an. Der soll das entscheiden, und dann ist es unser beider Verantwortung – des Arbeitgebers, wie unsere –, Wege zu öffnen, dass Bildung und Umschulung auch möglich ist.
Natürlich wollen wir Mitbestimmung haben. Weil ohne Mitbestimmung, ohne das Korrektiv der Mitbestimmung, bleiben wir in der kurzfristigen Sicht, wo die Arbeitgeber eben auch bestimmen wollen und sagen: Solange ich den in seiner jetzigen Funktion brauchen kann, brauche ich mir keine Gedanken machen, was ich morgen mit ihm mache.
Wissen Sie, das ist auch wieder ein Schaulaufen und die acht Milliarden letztendlich ein Scheinriese. Acht Milliarden geben sie aus – ich nehme mal die Zahl als gegeben hin – für Aus- und Weiterbildung, vier Milliarden für Weiterbildung. Von den vier Milliarden gehen allenfalls zehn Prozent in Weiterbildung, um Menschen vorzubereiten für Qualifikationsanforderungen neuer Tätigkeitsfelder. Die große Masse geht in Anpassungsqualifizierung, weil es neue Maschinen gibt, neue Prozesse implementiert werden, Sicherheitsvorschriften sich geändert haben. Da sind wir bei 400 Millionen. Bei einer Billion Gesamtumsatz sind das 0,4 Promille – darin sehe ich keine große Tat. Das ist doch Zukunftssicherung im Promillebereich.
Erstens gibt es eine Riesenchance für den Arbeitgeber, dass er ihn an sich bindet.
Das ist jetzt ein Punkt, den wir am Verhandlungstisch mal besprechen müssen.
Ich denke, wenn man die Demografiekurven anschaut, werden wir ohne eine Zuwanderung auch in unseren Branchen nicht auskommen. Wir brauchen das zu all den Maßnahmen, die in Bezug auf die Frage der Chance auf Zuwanderung nicht zu vernachlässigen sind, sondern additiv zur Verbesserung von Vereinbarkeitsregelungen, additiv zur Frage: Wie können wir auch die Qualifikationsanforderungen für morgen darstellen? Durch entsprechende Anstrengung in der beruflichen Bildung wird es das Thema Zuwanderung geben müssen.
Wir haben dazu eine klare Stellungnahme als IG Metall abgegeben, dass wir das in der Intention, die dort sichtbar ist, wo wir Gedankengut sehen, das wir überwunden gemeint haben, in der Frage, dass wir keinesfalls Rassismus, Ausgrenzung dulden können, nicht akzeptieren – übrigens die Arbeitgeber auch. Wir haben das in mehreren Tarifgebieten in gemeinsamen Erklärungen vor der Tariferklärung genau zu diesem Thema abgegeben.
Wissen Sie, die betriebliche Integrationsleistung ist die erfolgreichste, die es in der Republik gibt. Was uns in der Gesellschaft nicht gelungen ist, noch nicht ausreichend gelungen ist, was uns in den Kommunen oft noch nicht gelingt, im Betrieb gelingt es im täglichen Miteinander, weil sonst betriebliche Abläufe nicht funktionieren. Die vertragen keine Ausgrenzung, die vertragen keine Diskriminierung, die vertragen nur Wertschätzung, unabhängig von Rasse und Überzeugung der Menschen.
Ich finde das ungeheuerlich. Wir haben selber ja die Tests und die Pilotbetriebe initiiert der namenlosen, der anonymen Bewerbung, gerade im Ausbildungsbereich und sehen deutlich, dass, wenn der Name weg ist, die Chance angenommen zu werden – zumindest einmal zum Kennenlerngespräch –, sich deutlich erhöht, als wenn das Prädiktiv des Namens schon einmal die Vorentscheidung mit darstellt.
Etwa dadurch, dass wir immer deutlicher darauf schauen – da sehe ich schon Fortschritte –, dass wir wegkommen davon, nur die Elite der Besten, möglichst mit hervorragenden Deutsch- und Mathekenntnissen zur Ausbildung zu nehmen, dass man einen gesunden Schnitt hinkriegt zwischen Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten. Indem wir auch ganz gezielt – was wir schon über Tarifverträge jetzt geregelt haben – über Fördermaßnahmen nachdenken und nicht nur nachdenken, sondern sie auch realisieren, wenn es Jugendliche gibt, die im ersten Anlauf keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Es gibt dort vieles an Möglichkeiten. Und ich bin immer hell begeistert, dass gerade dort, wo man zunächst mal meint: Na ja, ob der das schafft, wenn man Jugendliche dann unterstützt, ihnen einen Rahmen gibt, sie in Unterstützung gibt, es auch eine hervorragende Erfolgsquote all dieser Maßnahmen gibt. Insbesondere dann, wenn sie in den Betrieben stattfinden und nicht externalisiert wird auf Weiterbildungsträger oder Ähnliche.
Wir geben jetzt Vollgas. Ich hatte gehofft, wir wären schon deutlich weiter, gerade in den qualitativen Themen. Wir haben da, meines Erachtens, Monate verstreichen lassen, obwohl wir Gesprächsangebote hatten – aber jetzt muss da Geschwindigkeit aufgenommen werden. Unser Ziel ist, dass wir im Laufe des Februars mal auf jeden Fall sehen: Kommen wir zu einer einvernehmlichen Regelung, bestehen da Chancen? Ich meine, die Zeit ist jetzt noch ausreichend gegeben, sich da aufeinander zuzubewegen. Auch das muss jetzt nächste Woche mit einem Angebot beginnen, das nicht noch weitere Gräben gräbt, sondern schon mal Nähen und Wege eröffnet zu einer Lösung.
Ich halte das, ehrlich gesagt, für abenteuerlich. Ohne Dokumentationspflichten eröffnet die jetzige Situation so viele Umgehungssachverhalte und -tatbestände, dass Dokumentation und Mindestlohn, sagen wir mal, wie ein siamesischer Zwilling sind. Weil wir erleben jetzt schon, dass Arbeitgeber Neuverträge abschließen, die Stundenzahl reduzieren, aber nicht die Arbeitsaufgabe. Wir erleben jetzt schon, dass versucht wird, über Handgeld zu arbeiten für zusätzliche Stunden, um die 8,50 Euro zu umgehen. Und wer ordentliche Arbeitsbedingungen und Mindestbedingungen nicht nur auf der Lohnseite, sondern auch auf der Frage, stimmt das Äquivalent zwischen Leistung und Lohn, kontrollieren will, der braucht auch eine Dokumentationspflicht. Und ich habe mir mal die Formulare angeguckt. Also bürokratischer Aufwand, aufzuschreiben, wann einer begonnen hat und wann er einen Tag beendet hat, ist ein bisschen übertrieben.
Mit Krach.
Wir werden das nicht akzeptieren. Wir brauchen keinen Mindestlohn, der bloß eine Hülle darstellt.
Ich bin jetzt zunächst einmal verantwortlich für die Tarifrunde, die vor uns steht. Und dann schauen wir mal. Ostern wird dann Ostern und die IG Metall wird zu gegebener Zeit entscheiden, wie und wann wir das Thema der Personalentscheidungen des Ordentlichen Gewerkschaftstages dann zunächst einmal unter uns und dann in der Öffentlichkeit debattieren.
Teil 1: Gespräch mit Jörg Hofmann im Deutschlandfunk (26.01.2015)