Die IG Metall hatte sich für diese Tarifrunde viel vorgenommen. Wie viel hat sie erreicht?
Jörg Hofmann: Mit dem Tarifergebnis haben wir weitreichend die Ziele erreicht, die wir uns gesteckt hatten. Es bringt den Beschäftigten ein dickes Plus im Geldbeutel, mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit und die Arbeitgeber leisten einen Beitrag für Gesundheit und Vereinbarkeit.
Was zeichnet den Abschluss aus?
Er ist modern, er ist zukunftsweisend und er ist das, was die Beschäftigten wollen. Unsere Beschäftigtenbefragung, an der sich rund 680 000 Menschen in Deutschland beteiligten, hat gezeigt: Die große Mehrheit wünscht sich, Arbeitszeiten auch nach ihren Bedürfnissen bestimmen zu können. Diesem Ziel kommen wir mit unserem Tarifabschluss ein ganzes Stück näher.
Was verbessert sich für Beschäftigte, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder in Schicht arbeiten?
Sie können das tarifliche Zusatzgeld von 27,5 Prozent gegen acht zusätzliche freie Tage pro Jahr tauschen – sechs für das tarifliche Zusatzgeld und zwei als Bonus vom Arbeitgeber obendrauf. Und es besteht die Möglichkeit der verkürzten Vollzeit mit Rückkehrrecht. Kurzum: Flexibilität ist nicht länger das Privileg der Arbeitgeber. Der Anspruch auf eine verkürzte Vollzeit und die Möglichkeit, das tarifliche Zusatzgeld gegen acht freie Tage zu tauschen, durchbricht die Arbeitgeberlogik, dass Arbeitszeiten nur ständig ausgeweitet werden. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg in die moderne Arbeitswelt.
Warum ist das so wichtig?
Unsere tarifliche Lösung fördert die Gesundheit, indem Schichtarbeiter ihre Arbeitszeit reduzieren können und sie gibt jungen Eltern mehr Möglichkeiten, Kindererziehung und Beruf partnerschaftlich aufzuteilen. Eine Entscheidung für mehr Zeit für Familie ist keine Entscheidung mehr für Altersarmut und kein Stoppschild für die berufliche Entwicklung. Denn das bedeutete Teilzeit vor allem für Frauen bislang. Daneben: Mehr Beschäftigte müssen heute neben ihrer Arbeit die Pflege von Angehörigen organisieren. Sie übernehmen eine gesellschaftliche Aufgabe und brauchen dafür Unterstützung, wenn sie sich nicht selbst dabei aufreiben sollen. Mit unserer Tarifpolitik passen wir die Arbeitswelt dieser Wirklichkeit an.
Was war anspruchsvoller: eine Lösung für die Entgelterhöhung oder der Einstieg in selbstbestimmte Arbeitszeiten?
Uns war bewusst, dass es nicht einfach wird, an der Hoheit der Arbeitgeber über die Arbeitszeit zu rütteln. Überraschender war allerdings, wie wenig die Arbeitgeber zunächst beim Geld geboten haben. Angesichts der wirtschaftlichen Lage der Branche mit Rekordgewinnen war das völlig unverständlich. Was unsere Kolleginnen und Kollegen davon hielten, haben sie eindrucksvoll gezeigt. Rund 1,5 Millionen Beschäftigte nahmen seit Mitte Januar an Warnstreikaktionen und ganztägigen Warnstreiks teil. Sie machten Druck und ermöglichten damit erst dieses starke Ergebnis.
Wie bewertest du das Ergebnis, was das Entgelt betrifft?
Es ist eine starke Zahl mit 4,3 Prozent vorneweg. Über die Laufzeit hinweg gerechnet ergibt sich aus den einzelnen Stufen der Entgelterhöhung der höchste Tarifabschluss seit Jahren. Zudem haben wir eine soziale Komponente für Beschäftigte mit geringerem Einkommen erreicht. Sie profitieren von dem Festbetrag von 400 Euro stärker als die höheren Einkommensgruppen.
Wer macht die Arbeit, wenn einige kürzer arbeiten?
Das Gejammer der Arbeitgeber ist überflüssig und nicht glaubhaft, solange sie Teilzeitbeschäftigten, die länger arbeiten wollen, mehr Stunden verwehren. Solange sie Leiharbeiter nicht fest einstellen und solange sie Qualifizierung und Ausbildung vernachlässigen. Dennoch sind wir ihnen entgegengekommen und haben vereinbart, dass sie mehr Beschäftigten, die mehr als 35 Stunden pro Woche arbeiten wollen, entsprechende Verträge anbieten können. Die bestehenden Quoten hierfür bleiben bestehen. Aber grundsätzlich gilt in Zukunft: Wenn die Quote überschritten wird, hat der Betriebsrat Widerspruchsrecht. Und es gilt immer das Prinzip der Freiwilligkeit: Jeder kann kürzer oder länger arbeiten, niemand muss.