„Auf Dauer kann man das nicht stemmen“, sagt die zweifache Mutter. Nicht über viele Wochen, erst recht nicht über Monate. Der Spagat zwischen Home-Office, Kinderbetreuung, Hausarbeit und Schulaufgaben zermürbt sie.
Der Leidensdruck vieler Familien ist während der Corona-Krise immens. Die langen Kita- und Schulschließungen stellen berufstätigte Eltern vor bisher ungeahnte Probleme. „Mir gehen die Kräfte bald aus“, befürchtet die Beschäftigte von Siemens im baden-württembergischen Rastatt, die anonym bleiben will.
… sehen seit Mitte März gleich aus: Um 5 Uhr aufstehen – von 5.30 Uhr bis 09.30 Uhr arbeitet die Sachbearbeiterin von zuhause aus – gefolgt von Schulaufgaben mit ihrem Sohn – das Mittagessen macht sich auch nicht von alleine – im Anschluss geht es zurück an den Schreibtisch zu Mal- und Geteiltrechnungen und zur Betreuung der Tochter – dann bereitet sie das Abendessen für die Familie vor – im Anschluss fährt sie wieder den Siemens-Rechner hoch und arbeitet bis circa 21 Uhr – danach Spielzeugaufräumen und Wohnung saugen.
Gegen 22 Uhr fällt sie völlig erschöpft ins Bett. Was sie für den Beruf nicht schafft, holt sie am Freitag – ihrem eigentlich freien Tag – nach.
Am Wochenende warten dann auch noch die Hausarbeiten – die Familie hat erst vor Kurzem ein Haus gebaut. Ihr Mann ist als Führungskraft im öffentlichen Dienst bei der Bewältigung der Corona-Pandemie extrem eingespannt. An Erholung können beide gar nicht erst denken.
Die Jüngste der Familie ist im Kita-Alter und wegen der vielen Aufgaben in der Familie „derzeit leider oft auf dem Abstellgleis“, bedauert die Mutter. Der Sohn kann voraussichtlich erst nach den Pfingstferien zurück in die Schule – und auch nur zwei bis drei Stunden; und auch nur wochenweise. Die Mutter betont: „Das wird unsere Situation nicht sonderlich entspannen. Die Sommer- und Herbstferien stehen ja dann auch schon wieder vor der Tür.“
Der Leidensdruck ist immens und alle Unterstützung recht. Der IG Metall-Betriebsrat bei Siemens konnte in einer Gesamtbetriebsvereinbarung durchsetzen, dass auch Teilzeitbeschäftigte die Möglichkeit haben, anteilig zusätzliche freie Tage statt des tariflichen Zusatzgeldes (T-Zug A) zu nehmen. Die Metallerin macht vom Anspruch Gebrauch, wenn die Kräfte besonders schwinden: „Solche zusätzlichen freien Tage halten mich über Wasser.“
„Wir müssen die Eltern so gut es geht mit zusätzlichen Freistellungsregelungen unterstützen“, sagt Alexandra Schlager, Betriebsratsvorsitzende von Siemens in Rastatt. „Gerade viele weibliche Beschäftigte belastet diese über Monate extrem angespannte Situation, weil sie es überwiegend sind, die die Kinder betreuen. Aber auch männliche Kollegen kommen mit Anfragen auf uns zu. Die Situation ist auch hier fast nicht zu bewältigen.“
Die IG Metall setzt sich auch auf politischer Ebene für berufstätige Mütter und Väter ein. Die Entgeltfortzahlung für Eltern, die ihre Kinder derzeit zu Hause betreuen müssen, gilt es zu verbessern und so lange zu sichern, wie Krippen, Kitas und Schulen nicht flächendeckend und nicht für alle Kinder wieder geöffnet sind.
Parallel dazu müssen Bund und Länder an Betreuungsmöglichkeiten arbeiten – soweit das Infektionsgeschehen es zulässt. Die IG Metall fordert die Arbeitgeber auf, die Beschäftigten in der weiter angespannten Situation durch flexible Arbeitszeitmodelle – ob im Betrieb oder im Homeoffice – zu unterstützen.
Wie groß das gesamtgesellschaftliche Problem ist, die die wochenlangen Schul- und Kitaschließungen mit sich bringen, zeigt eine Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). „Der gesamte Arbeitsausfall aufgrund von Kita- und Schulschließungen beläuft sich bei diesen Eltern bis Ende April auf geschätzte 55,8 Millionen Arbeitstage“, schreiben die Autoren. Der Effekt ist so groß, als hätte jeder und jede Erwerbstätige in Deutschland 1,2 Tage weniger gearbeitet.
Die Siemens-Beschäftigte ist jedenfalls dankbar, dass der Arbeitgeber ihr ermöglicht, so flexibel über den Tag verteilt zu arbeiten: „Ich habe einen tollen Vorgesetzten, der meine Situation nachempfinden kann. Und es funktioniert für viele Familien derzeit auch nur mit kreativen Übergangslösungen und flexiblen Arbeitszeitmodellen.“
Aber konkrete Auswege aus der kritischen Betreuungssituation? „Theoretisch könnte ich zwar unbezahlten Urlaub nehmen“, sagt die zweifache Mutter. „aber dann würden große finanzielle Sorgen aufkommen, weil wir ja unser Haus abbezahlen müssen.“ Die Belastung durch Home-Office, Kinderbetreuung, Hausarbeit und Schulaufgaben geht weiter.