8. September 2016
Bildungsteilzeit
Arbeitszeit ist Bildungszeit
Lust auf Weiterbildung? Die Bildungsteilzeit macht es möglich. Damit können Beschäftigte ihre Arbeitszeit verkürzen, um einen Schulabschluss oder eine Ausbildung nachzuholen. Oder um Meister oder Fachwirtin zu werden. Oder um einen fachbezogenen Studiengang draufzusatteln.

Bildungsteilzeit heißt für Patrick Maurer: Er kann seinen Techniker machen und anschließend in seinen Betrieb zurückkehren. Das will der 26-jährige Industriemechaniker nutzen. Er arbeitet bei Marquardt in Rietheim-Weilheim. Bis zu 800 der 2 500 Arbeitsplätze wollte die Geschäftsführung abbauen. Das konnten Betriebsrat und IG Metall verhindern.

Gleichzeitig vereinbarten sie, dass der Arbeitgeber einen zweistelligen Millionenbetrag für ein neues Entwicklungszentrum investiert und die Weiterbildung der Beschäftigten fördert. Sie können nun bis zu fünf Jahre auf eigenen Wunsch in Bildungsteilzeit gehen, wie es der Haustarifvertrag vorsieht, und Marquardt zahlt die Kosten. Die Beschäftigten gaben dafür drei Stunden Arbeitszeit her. Das war es ihnen wert. 83 Prozent der IG Metall-Mitglieder stimmten dafür. Ohne persönliche Bildungsteilzeit hätten die meisten weder Zeit noch Geld, um sich weiterzubilden.

Patrick Maurer und 140 weitere Kollegen hat die Vereinbarung auch von der IG Metall überzeugt. Sie traten ein. Und dem Betriebsrat brachte sie eine Nominierung für den Deutschen Betriebsrätepreis.


Bildungsteilzeit – was ist das?

Mit dem Abschluss des Tarifvertrags Qualifizierung/Bildung in der Metall-Tarifrunde 2015 konnte die IG Metall das Recht auf Bildungsteilzeit durchsetzen. Danach können sich Beschäftigte, die sich persönlich beruflich weiterbilden wollen, von der Arbeit freistellen lassen. Sie haben dabei die Möglichkeit, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen, also Teilzeit zu arbeiten, oder Teilzeit in geblockter Form zu nutzen. Die Beschäftigten können mit dem Arbeitgeber vereinbaren, dass sie eine Zeit lang ausscheiden. In beiden Fällen haben sie danach ein Rückkehrrecht auf den alten Arbeitsplatz oder eine mindestens gleichwertige Vollzeitstelle. 


Was ist persönliche Weiterbildung?

Bei der persönlichen Weiterbildung geht es um Qualifizierungen, die Beschäftigte selber wünschen, um sich beruflich weiterzuentwickeln oder ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Damit unterscheidet sie sich von betrieblich notwendigen Qualifizierungen, für die der Betrieb die Kosten übernehmen und die Beschäftigten von der Arbeit freistellen muss.

Die persönliche Weiterbildung ist zum Beispiel für junge Leute gedacht, die nach der Ausbildung studieren möchten. Oder für Facharbeiterinnen und Facharbeiter, die schon einige Zeit berufstätig sind und einen Zusatzabschluss wie Meister oder Techniker machen wollen. Oder für Un- und Angelernte, die einen Berufsabschluss nachholen wollen.

Bisher hatten Beschäftigte für solche Qualifizierungen keinen Anspruch auf Freistellung, sondern mussten kündigen. Der Betriebsrat soll mindestens einmal pro Jahr die Weiterbildungswünsche ermitteln und mit dem Arbeitgeber einen Qualifizierungsplan vereinbaren. Für Un- und Angelernte müssen besondere Förderprogramme vereinbart werden.


Wie lang kann ich Bildungsteilzeit machen?

Sowohl eine Bildungsteilzeit als auch ein komplettes Ausscheiden mit Rückkehrgarantie sind bis zu sieben Jahre möglich. Bei der Bildungsteilzeit erhalten Beschäftigte während der gesamten Laufzeit mindestens 50 Prozent ihres vorherigen Vollzeitverdienstes weiter.


Wie wird die Weiterbildung finanziert?

Beschäftigte können in einem gewissen Umfang auch angesparte Arbeitszeiten aus Mehrarbeit (maximal 152 Stunden) und das zusätzliche Urlaubs- sowie Weihnachtsgeld nutzen, um ihr Entgelt während der Bildungsteilzeit aufzustocken. Zu diesem Zweck führt der Beschäftigte ein individuelles Bildungskonto. Ziel ist es, mit der Aufstockung mindestens auf 70 Prozent des vorherigen Entgeltes zu kommen. Das gesparte Geld wird dann während der Freistellung genutzt. Bis zu zehn Prozent können auch nach der Freistellung erbracht werden. Dabei geht der Arbeitgeber in Vorleistung.


Geförderte Bildungsteilzeit

Der Beschäftigte kann mit dem Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbaren, die persönliche Weiterbildung zu fördern. Zuschüsse kann es zum Beispiel geben, wenn die Quote für die Altersteilzeit nicht ausgeschöpft wird. Dabei wird ein Teil des tariflichen Altersteilzeit-Volumens gemäß der Tarifverträge zum flexiblen Übergang in die Rente (TV FlexÜ) verwendet. Die Aufstockungsbeträge sind dann wie bei der Altersteilzeit zu berechnen und erhöhen das Entgelt auf circa 74 bis 80 Prozent des vorherigen Nettoentgeltes. 


Was ist, wenn der Arbeitgeber die Bildungsteilzeit ablehnt?

Sollte der Arbeitgeber einen Weiterbildungswunsch ablehnen, kann sich der Beschäftigte an den Betriebsrat wenden. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen sich damit befassen und versuchen, eine Lösung zu finden. Gelingt das nicht, kann der Betriebsrat in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten eine paritätische Kommission entscheiden lassen. Der betroffene Arbeitnehmer muss dabei mindestens fünf Jahre im Betrieb beschäftigt sein. Wenn auch die Kommission kein Ergebnis erreichen kann, ist der Weg in die tarifliche Schlichtungsstelle offen. Anspruch auf eine Entscheidung durch die tarifliche Schlichtungsstelle haben nur Mitglieder der IG Metall.


Weiterbildung lohnt sich

Mit der tariflichen Bildungsteilzeit konnte die IG Metall zwei der bisher bestehenden Hemmnisse für Weiterbildung beseitigen: fehlende Zeit und fehlendes Geld. Doch die besten erkämpften Rechte nützen nichts, wenn sie nicht genutzt werden. Deshalb sagt die IG Metall: Weiterbildung lohnt sich! Sei es um einen Schul- oder Berufsabschluss nachzuholen, um die Berufschancen zu erhöhen oder direkt nach der Ausbildung ein Studium zu absolvieren oder mit Berufserfahrung noch mal durchzustarten.

Für eine Weiterbildung gibt es viele gute Gründe: Sechs von zehn Weiterbildungsabsolventen verbessern sich sofort beruflich und finanziell. Drei bis fünf Jahre nach der Prüfung verzeichnen 70 Prozent der Absolventen eine bessere Position, einen größeren Verantwortungsbereich oder ein höheres Entgelt. Eine Weiterbildung bringt aber nicht nur materielle Vorteile. Die erlernten Kompetenzen lassen sich auch in der Freizeit nutzen wie zum Beispiel im Ehrenamt.


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