Drei Kinder und ein Vollzeitjob – da fühlt man sich ab und zu wie eine Jongleurin, die zu viele Bälle in der Luft hat. Betina Wandzik ist Vertrauensfrau der IG Metall. Sie arbeitet im Forschungs- und Innovationszentrum bei BMW in München. Keine Frage: Ihr Alltag ist manchmal einfach „wahnsinnig stressig und anstrengend“, sagt die alleinerziehende Mutter.
Berufstätige Eltern kennen die Probleme. Ob Arztbesuch, Elternsprechtag in der Schule, Sportveranstaltung oder Hausaufgabenbetreuung – solche Termine sind im Alltag kaum mit einer Berufstätigkeit zu vereinbaren – schon gar nicht mit einem Vollzeitjob. Job und Familie zu vereinbaren ist ein notwendiges Ziel, und es ist nicht unerreichbar. Dass es funktioniert, dazu können die Rahmenbedingungen im Unternehmen viel beitragen. Betinas Situation hat sich seit Anfang des Jahres etwas entspannt. Seitdem gilt bei BMW eine neue Betriebsvereinbarung zur Mobilarbeit. Das bedeutet, Betina muss ihre Arbeitsaufgaben nicht mehr ausschließlich an ihrem Arbeitsplatz im Betrieb erledigen und auch nicht in einem starren Zeitrahmen.
Die alleinerziehende Mutter nutzt die neuen Möglichkeiten, die der Betriebsrat mit BMW ausgehandelt hat. Jeden zweiten Freitag beispielsweise kümmert sie sich bereits am Nachmittag um ihren jüngsten Sohn Ahren. Das geht, denn die neue Vereinbarung ermöglicht Flexibilität bei Arbeitszeit und Arbeitsort. Jede Tätigkeit wird berücksichtigt und die Nichterreichbarkeit ist geregelt. Es geht darum, dass die Arbeitszeit nicht endlos ausgedehnt wird.
Viele Beschäftigte kennen das. Durch Smartphones und Laptop könnten sie fast rund um die Uhr arbeiten. „Es muss aber eine zeitliche Obergrenze geben“, sagt Peter Cammerer, der für den Betriebsrat von BMW die Vereinbarung verhandelt hat. Und diese zeitliche Obergrenze orientiert sich am Tarifvertrag beziehungsweise am Arbeitsvertrag des Mitarbeiters. Die Zeit, die der Mitarbeiter außerhalb seines betrieblichen Arbeitsplatzes mobil gearbeitet hat, schreibt er sich anschließend selbst im Arbeitszeitkonto gut.
Cammerer weiß, dass die zahlreichen mobilen Endgeräte sehr verführerisch sind, Projekte zuhause fertig stellen oder noch mal schnell Termine beziehungsweise Abläufe absprechen. Alles was man im Büro nicht geschafft hat, kann so noch schnell erledigt werden. Nicht immer führt das zur Entspannung nach Feierabende beim Arbeitsstress. Dass das auch zu gesundheitlichen Problemen führen kann, diese Erfahrung hat der Betriebsrat bereits bei der Telearbeit machen können. 18 Jahre lang galt eine Betriebsvereinbarung zu Telearbeit, sie wurde am 1. Januar von der neuen Betriebsvereinbarung Mobilarbeit abgelöst.
Grenzenlos arbeiten führt langfristig zu Burnout und Stress. Deshalb wollte der Betriebsrat unbedingt einschreiten und Grenzen setzen. Das ist der betrieblichen Interessenvertretung bei dem Autobauer gelungen. Mit der Betriebsvereinbarung Mobilarbeit erhält jeder Beschäftigte ein Stück Selbstbestimmung zurück: „Wer jetzt den Ausschaltknopf am Handy nicht findet, dem kann auch kein Betriebsrat mehr helfen“, stellt Cammerer fest. Gerade die Eltern kleiner Kinder können von dem BMW-System profitieren. Auch Betina Wandzik kommt die Mobilarbeit sehr entgegen. „Jetzt habe ich trotz meines Vollzeitjobs mehr Zeit für meine Kinder. Und ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich vom Arbeitsplatz mal früher weg muss. Denn die Arbeit kann ich ja später zuhause fertigstellen.“
Die Mobilarbeit bei BMW ist ein freiwilliges Angebot. Jeder Mitarbeiter kann es nutzen, sofern es mit den Arbeitsaufgaben vereinbar ist. Tatsächlich arbeiten nicht nur Angestellte und IT-ler mobil. Auch die Meister in der Produktion könnten beispielsweise Abläufe am Computer zuhause fertigstellen. Und Produktionsmitarbeiter unterstützen sich gegenseitig am Telefon durch Rat und Tat, wenn beispielsweise ein Fehler im Produktionsablauf auftritt. Mitarbeiter und Vorgesetzte stimmen die Einzelheiten der Mobilarbeit miteinander ab. Grundsätzlich gilt jedoch: Egal ob online oder offline, ob mit Laptop, Handy oder Papier gearbeitet wird – Mobilarbeitszeit ist Arbeitszeit.
Die IG Metall fordert, dass bei der Gestaltung der Arbeitszeit und Arbeitsorganisation die Wünsche der Beteiligten berücksichtigt werden. Flexibel sein, das wird im Berufsleben immer wichtiger. Und es wird von den Menschen nicht abgelehnt. Sie sind bereit, auf die Flexibilisierungsanforderungen einzugehen, die sich durch mobiles Arbeiten, globale Vernetzung und den digitalen Fortschritt ergeben. Zu Recht wollen die Beschäftigten jedoch dafür etwas zurückbekommen. 93 Prozent der Arbeitnehmer wollen beispielsweise auch mal kurzfristig frei nehmen können, so das Ergebnis der Beschäftigtenbefragung der IG Metall vom Frühjahr 2013.