Heute, am inzwischen schon 26. Streiktag, sind Hunderte Beschäftigte aus Leipzig und Saarbrücken nach Frankfurt am Main gekommen, um für einen Sozialtarifvertrag zu demonstrieren. Der Vertrag soll den Beschäftigten beider Werke eine langfristige Perspektive sichern. Um 10 Uhr zogen sie vom Hauptbahnhof an den Glastürmen der Deutschen Bank vorbei zum prächtigen Renaissancebau der Alten Oper, dessen Dachfries die Inschrift trägt „Dem Wahren Schönen Guten“. Und weiter zum Opernturm.
Denn dort verhandelte seit 11 Uhr eine Delegation aus Betriebsräten und uns mit Vertretern der Geschäftsführung des Autozulieferers Neue Halberg Guss (NHG) zum dritten Mal über einen Tarifvertrag. Die Verhandlung blieb jedoch ohne Ergebnis und es wurde auch kein neuer Termin vereinbart.
Die Angestellten der Banken, die heute aus den Fenstern auf den bunten Demonstrationszug aus Menschen mit roten Fahnen und gelben Streikwesten schauten, dürften selten solch ohrenbetäubenden Lärm erleben: Die Streikenden von Halberg Guss boten alles auf, was Krach macht: Trillerpfeifen und Tröten, eine Trommel, Tuba und Klarinette, sogar eine Kuhglocke und eine Sirene mit Handkurbel aus dem Zweiten Weltkrieg, die ein Franzose von NHG Saarbrücken mitgebracht hatte und eifrig betätigte. Zwischendurch sangen die Demonstranten Lieder: „Wir streiken für die Arbeit hier, gegen Unternehmergier, keiner schiebt uns weg. Papa wird nicht arbeitslos, Mama wird nicht arbeitslos.“
Metallerinnen und Metaller aus Betrieben in Hessen und Rheinland-Pfalz waren gekommen, um sich mit ihren Kollegen von NHG zu solidarisieren: von den Pfalz Flugzeugwerken Speyer, Mahle Wölfersheim und Siemens Offenbach. Auch von Verdi und der IG Bau waren Delegationen vor Ort.
Schon um 4 Uhr morgens waren die Iaconos aufgestanden, um von der Firma in Saarbrücken aus mit dem Bus nach Frankfurt zu fahren: Stefan Iacono, seine Frau Sabrina, die 13-jährige Tochter Lara und der zehnjährige Dominik. „Nicht gut, so früh aufzustehen, muss aber sein“, findet Dominik. „Ich will endlich irgendwo Fuß fassen und meiner Familie etwas bieten können“, sagt sein Vater. Viele Jahre wurde er als Leiharbeiter von einer Firma zur nächsten geschubst. Als er vor knapp einem Jahr zur Gießerei Halberg Guss kam, hatte er zum ersten Mal die Hoffnung auf eine dauerhafte Stelle, auch wenn er bisher nur einen Jahresvertrag hat.
Jetzt fürchtet er, dass der Vertrag nicht verlängert wird. Aber nicht nur er macht sich Sorgen um seine Zukunft. „Viele Kollegen arbeiten seit 40 Jahren hier und müssen jetzt, auf den letzten Metern, noch um ihren Arbeitsplatz bangen.“
Die Streikenden in Saarbrücken und Leipzig kämpfen seit 14. Juni für einen Sozialtarifvertrag. Wir fordern eine Qualifizierungsgesellschaft und einen Treuhandfonds, den die NHG finanzieren soll. Aus dem Fonds sollen Abfindungen oder Hilfen zur Vermittlung in neue Stellen finanziert werden – wenn Arbeitsplätze verloren gehen. In erster Linie kämpfen die Beschäftigten aber für den Erhalt aller Arbeitsplätze.
NHG hat angekündigt, die Gießerei in Leipzig Ende 2019 komplett zu schließen. Damit würden gut 700 Beschäftigte ihre Arbeit verlieren. In Saarbrücken sollen 300 Stellen abgebaut werden. Doch auch die Perspektiven der anderen 1 200 Beschäftigten in Saarbrücken, wo Motorblöcke hergestellt werden, sind alles andere als sicher. Denn der Gießerei an der Saar drohen die wichtigsten Kunden verloren zu gehen.
Neue Halberg Guss gehört seit Jahresanfang zum Unternehmen Prevent der Investorenfamilie Hastor. Prevent ist bekannt für ihre Geschäftspolitik, Firmen preiswert aufzukaufen, mit Lieferboykotts ihre Kunden unter Druck zu setzen, um immense Preiserhöhungen durchzudrücken und die Gewinne dann abzuschöpfen. Übrig bleiben Betriebe, die nicht mehr lebensfähig sind. Dieser Geschäftspolitik sind bereits mehr als 360 Beschäftigte der Preventtöchter Car Trim und ES Automobil Guss in Sachsen zum Opfer gefallen. Sie erhielten die Kündigung.
„Wir hatten Arbeit ohne Ende, bis Prevent kam“, sagt Jens Tutschek. Der Gussputzer ist aus Leipzig zur Kundgebung nach Frankfurt gekommen. „Ich würde gerne noch bis zur Rente bei Halberg Guss arbeiten“, sagt der 54-Jährige. „Früher wäre das gegangen.“
„Wir lassen nicht zu, dass der Laden leergeräumt wird und Ihr mit leeren Taschen dasteht“, ruft Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, den Kundgebungsteilnehmern in seiner Rede zu. „Wir fordern nichts Unverschämtes. Wir erwarten Lösungen und Perspektiven.“ Kerner appelliert an die Unternehmensleitung, sich endlich klar und verbindlich zur Zukunft des Unternehmens zu äußern. Es müssten schnellstens alle Fakten auf den Tisch. Er fordert ein „tragfähiges Konzept“ ein, das die Zukunft aller Beschäftigten in Saarbrücken und Leipzig sichert.
Wie es mit den Verhandlungen weitergeht, ist offen. Die Hängepartie ist vorerst nicht zu Ende. Und der schon seit fast vier Wochen andauernde Streik auch nicht. Daniela Schönborn, deren Mann seit 23 Jahren im Werk in Saarbrücken arbeitet, hat aber keine Zweifel: „Wir, die Halberger und ihre Familien, kämpfen weiter – bis zum Letzten.“
Hinweis: Unterstützen Sie die Streikenden mit Ihrer Unterschrift unter eine Petition an die Geschäftsführung der Neue Halberg Guss GmbH.