Heute kamen gut 1 400 Opeler aus allen drei Opel-Werken zu einem Aktionstag in Eisenach zusammen. Sie verlangen einen Plan, der die Zukunft der drei deutschen Standorte sichert.
Berthold Huber, der ehemalige Vorsitzende der IG Metall, ist für leise Töne bekannt. Aber das, was der französische Konzern PSA, zu dem „Opel Automobile“ seit August 2017 gehört, gerade treibt, nennt er laut und wütend „Erpressung“.
Huber berät die Arbeitnehmervertreter, die zurzeit mit PSA über die langfristige Zukunft von Opel verhandeln. Für PSA-Chef Carlos Tavares heißt Zukunft: Die Beschäftigten aller drei deutschen Opel-Standorte sollen auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und die 4,3 Prozent Tariferhöhung, die ihnen ab diesem Monat zustehen, verzichten. Um die Kosten zu senken. Das Angebot von PSA und der Opel-Geschäftsführung für diese Zugeständnisse: In Eisenach soll die Belegschaft in etwa halbiert werden. In Kaiserslautern soll die hochmoderne Motorenfertigung auf eine Motorteil-Montage umgestellt werden und im Entwicklungszentrum Rüsselsheim die Verantwortung für eine Nutzfahrzeug-Plattform angesiedelt werden.
Mit anderen Worten: Knapp 20 000 Opeler sollten einem Angebot zustimmen, dass Beschäftigung für gerade einmal 1 800 Menschen sicherstellt. Dieses Angebot haben IG Metall und Gesamtbetriebsrat abgelehnt. Nach ihrem Nein legte der Konzern prompt Investitionszusagen für Opel Eisenach auf Eis. Jetzt bangen rund 1 800 Beschäftigte in Thüringen um ihre Zukunft.
Und nicht nur dort. Auch die Beschäftigten in Rüsselsheim und in Kaiserslautern ― insgesamt rund 20 000 Arbeitnehmende ― machen sich Sorgen, wie es weitergeht. „Wir wissen, dass Opel in einer schwierigen Situation ist“, sagt Wolfgang Schäfer-Klug, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel. Das Unternehmen hat dieses Jahr weniger Autos verkauft als im ersten Quartal des vergangenen Jahres und macht zurzeit keine Gewinne.
Der Betriebsrat hatte die Übernahme durch PSA nach der glücklosen Zeit als Tochter von General Motors (GM) begrüßt und einem Sanierungsplan ― Pace ― zugestimmt. Darin hatten die Beschäftigten auf Entgelt verzichtet. Im Gegenzug hatte PSA zugesichert, noch mit GM abgeschlossene Tarifverträge zu erfüllen und in die Standorte zu investieren.
Im bestehenden Tarifvertrag ist für Eisenach die Auslastung der Kapazitäten zugesichert worden. Bisher werden die Modelle Adam und Corsa produziert. Der Corsa wird künftig nur noch im spanischen Saragossa gebaut. In Eisenach sollte ursprünglich stattdessen der Mokka (SUV) und Stückzahlen des Buick gebaut werden. In dem Angebot, das PSA jetzt erst mal gestoppt hat, ist nur noch von einem neuen Geländefahrzeug Grandland X die Rede. Damit würden rund 900 Beschäftigte weniger gebraucht. Zurzeit wird in Eisenach in drei Schichten gearbeitet. Nach dem jüngsten Vorschlag des Unternehmens würde es nicht mal mehr für zwei Schichten reichen. Das wäre für das Werk, das nach der Wende als „deutsche Einheitsikone“ gefeiert wurde, „ein Tod auf Raten“, warnt Berthold Huber.
„Die Unsicherheit muss dringend beendet werden. Die Opel-Beschäftigten brauchen Sicherheit und Perspektive“, sagte Jörg Köhlinger während der Aktion in Eisenach. Köhlinger leitet den IG Metall-Bezirk Mitte, auf dessen Gebiet sich alle drei Opel-Standorte befinden. „Dazu gehört auf jeden Fall auch ein zweites Modell für Eisenach, nur dann kann der Standort profitabel arbeiten.“
Für Kaiserslautern hat PSA nur die Fertigung und Montage von Komponenten angeboten. Keinen ganzen Motor mehr. Auch für das Entwicklungszentrum in Rüsselsheim mit seinen 7 700 Beschäftigten gibt es noch keine hinreichenden Zusagen für die Zukunft, obwohl die Verträge vorsehen, dass das Unternehmen für auslaufende Aufträge Anschlussprojekte schaffen soll. „Das wenige, was PSA bisher vorgelegt hat, schafft gerade mal Arbeit für 1 800 Menschen. Und dafür sollen 20 000 Opeler auf Tariferhöhung verzichten“, empört sich Schäfer-Klug. Er fordert ein zukunftsfähiges Konzept für alle Standorte, wie es der Sanierungsvertrag vorsieht. „Verträge müssen eingehalten werden“, verlangt Schäfer-Klug. „Wie soll man denn einem Unternehmen vertrauen und weiter mit ihm verhandeln können, wenn es sich an Vereinbarungen nicht hält.“
Das gilt auch für die geschlossenen Tarifverträge, die Opel verpflichten, seit April 4,3 Prozent mehr Entgelt zu zahlen. Seine Weigerung, die Entgelte zu erhöhen, begründet der deutsche Opel-Chef Michael Lohscheller damit, Opel müsse Kosten sparen. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende lässt das jedoch nicht gelten. Bisher habe der Konzern sich geweigert, konkrete Zahlen zur wirtschaftlichen Lage der Opel-Standorte vorzulegen. Alle Kostensparziele, die der Sanierungsplan Pace vorsieht, würden eingehalten, auch wenn die Tariferhöhungen gezahlt werden, versichert er.
Nach dem Plan sollen bis 2020 3 700 Stellen abgebaut werden. Schon dieses Jahr wird das Soll wahrscheinlich übererfüllt. 2 100 ältere Beschäftigte sind dieses Jahr in Vorruhestand gegangen, weitere 900 werden es voraussichtlich 2018 tun. Außerdem haben die Betriebsräte Vorschläge gemacht, wie die Produktivität in den einzelnen Werken gesteigert werden kann.
„Wenn PSA ein verhandlungsfähiges Angebot vorlegt, sind wir gesprächsbereit“, sagt Wolfgang Schäfer-Klug. Das setzt aber erst einmal voraus, dass PSA die wirtschaftlichen Zahlen offenlegt. Als Bedingungen für eine mögliche Einigung nennt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende: Der Konzern soll konkrete Antworten darauf geben, wie er die Beschäftigung an welchen Standorten mit welchen Produkten über das Jahr 2020 hinaus sichern will. Der Kündigungsschutz soll über 2020 hinaus verlängert werden. Und nicht zuletzt verlangen wir und Betriebsräte, nach den bisherigen schlechten Erfahrungen, dass die Zusagen verbindlich abgesichert werden. Verträge müssen eingehalten werden. Das muss gelten.
Wenn weiter verhandelt wird, stehen die Opeler nicht allein. Sie haben nicht nur die Unterstützung der Landesregierungen in den Bundesländern, in denen die drei Opel-Standorte sind, also Hessen, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat PSA-Chef Tavares öffentlich ins Gewissen geredet, die Zusagen, die er bei der Opel-Übernahme gemacht hat, einzuhalten.
Sorgen machen sich nicht nur die Beschäftigten in den Opel-Werken, sondern auch in den Opel-Autohäusern und bei den Händlern. PSA will alle Verträge kündigen und den rund 1 600 Händlern und 385 Opel-Autohäusern neue Verträge mit schlechteren Konditionen aufnötigen.
„Mittelfristig wird das auch für die Beschäftigten spürbar sein“, sagt Sebastian Fersterra. Er leitet das Ressort Handwerk beim IG Metall-Vorstand. „In den neuen Verträgen werden Themen wie Online-Direktvertrieb durch den Hersteller eine große Rolle spielen.“ Opel beteuere zwar, dass das Händlernetz nicht ausgedünnt werden soll, „aber da bin ich sehr skeptisch“. Zumal auch mehrere andere Autohersteller derzeit ihre Händlerverträge kündigen. Sie wollen große Händler in den Metropolen stärken und kleine auf dem Land aufgeben. Für die Beschäftigten in den Autohäusern bedeutet das nichts Gutes. Ich kann sie nur auffordern, Betriebsräte zu wählen um Sicherheit zu bekommen, wenn es zu Veränderungen kommt.“