Im Interview erklärt Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, warum die Menschen bereit sind für echte Beteiligung ― und warum Gewerkschaften dadurch stärker werden.
Die IG Metall versteht sich als „Beteiligungsgewerkschaft“. Was bedeutet das für die Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben?
Jörg Hofmann: Beteiligung hat viele Facetten. Es bedeutet, dass wir die Beschäftigten einbeziehen – wenn wir unsere Betriebspolitik entwickeln, wenn wir Betriebsvereinbarungen ausarbeiten, wenn Verhandlungen mit dem Arbeitgeber anstehen. Und es bedeutet: Die Beschäftigten zu mobilisieren, wenn es gilt, Druck auf den Arbeitgeber aufzubauen, um die eigenen Ziele durchzusetzen.
Wollen die Beschäftigten überhaupt stärker einbezogen werden, wenn es um die Vertretung ihrer Interessen geht?
Ja. Sie wollen nicht nur mit Ergebnissen konfrontiert werden, sondern schon vorher beteiligt werden – etwa bei der Frage nach möglichen Alternativen. Das hat die Beschäftigtenbefragung der IG Metall gezeigt.
Wie kann Beteiligung konkret aussehen?
Ein aktuelles Beispiel: Daimler hat einen Beteiligungsprozess zu Thema mobiles Arbeiten gestartet. Über 80.000 Beschäftigte haben per E-Mail einen Fragebogen geschickt bekommen. Bereits nach zwei Wochen gab es rund 40.000 Rückmeldungen. Ein weiteres Beispiel ist die Auseinandersetzung um eine Ausgliederung des Bosch-Standorts Hildesheim. Im Bosch-Intranet gibt es dazu einen regelrechten Shitstorm. Die Beschäftigten sind sauer und fragen zu Recht: Warum werden wir vor vollendete Tatsachen gestellt? Warum werden wir an Entscheidungen nicht beteiligt? Die Menschen sind bereit für echte Beteiligung. Sie wollen Entscheidungen im Betrieb beeinflussen.
Welche Rolle spielen die aktiven Metallerinnen und Metaller im Betrieb – die Vertrauensleute und Betriebsräte?
Jeder Beteiligungsprozess braucht Aktivisten, die ihn vorantreiben. Ohne Betriebsräte und Vertrauensleute geht das nicht. Echte Beteiligung setzt voraus, dass man miteinander spricht, zusammen Ideen entwickelt, Alternativen abwägt und entscheidet. Dieser direkte Kontakt ist gerade in großen und mittleren Betrieben Sache der Vertrauensleute. Für die IG Metall als Beteiligungsgewerkschaft spielen sie eine ganz entscheidende Rolle. Aber natürlich sollten auch die Betriebsräte so nah wie möglich an ihren Kolleginnen und Kollegen sein. Stellvertreterpolitik gehört der Vergangenheit an. Die IG Metall ist offen für Beteiligung.
Wie lässt sich Beteiligung im Betrieb organisieren?
Das beste Instrument ist immer das direkte Gespräch, von Angesicht zu Angesicht. Deshalb sind die Vertrauensleute ja so wichtig. Für Betriebsräte ist es in mittleren und großen Betrieben kaum zu leisten, eine intensive Debatte mit der ganzen Belegschaft zu führen.
Wie unterstützt die IG Metall ihre Ehrenamtlichen bei Beteiligungsprozessen?
Wir haben positive Erfahrungen gemacht mit Handreichungen, die helfen, den Beteiligungsprozess zu strukturieren: Gut aufbereitete Flyer oder kurze Präsentationen, die Probleme im Betrieb auf den Punkt bringen. Wir bieten aber auch Schulungen an, damit unsere Beteiligungs-Aktivisten fachlich und methodisch immer auf der Höhe sind.
Das klingt nach mehr Arbeit für alle Beteiligten. Was hat die IG Metall davon?
Sie gewinnt in den Betrieben deutlich an Durchsetzungskraft. Bei Tarifrunden haben wir schon immer eine hohe Beteiligung. Aber wir müssen die Beschäftigten auch täglich in den einzelnen Betrieben einbeziehen. Vor allem aus zwei Gründen: Damit wir ihre Ideen aufgreifen und umsetzen können, und damit wir bei Konflikten mobilisierungsfähig sind. Dadurch verbessert die IG Metall ihre Verankerung im Betrieb und stärkt ihr Profil. Die Menschen wissen, wofür die Gewerkschaft steht – nicht nur bei großen Themen wie Lohnerhöhungen, sondern auch bei den Alltagsthemen.