Herr Hofmann, vor wem haben Sie mehr Angst: FDP oder Grüne?
Jörg Hofmann: Die IG Metall hat keine Angst vor irgendeiner Partei.
Die FDP kann mit Gewerkschaften nichts anfangen, und die Grünen wollen ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor zulassen.
Wir kennen natürlich die Partei- und Wahlprogramme und sehen beim Thema Bildung/Weiterbildung durchaus Schnittmengen mit Grünen und FDP. Bei Fragen der Tarifbindung gibt es weniger Berührungspunkte mit den Liberalen, und was die Dekarbonisierung der Wirtschaft betrifft, haben wir andere Vorstellungen als die Grünen.
Die FDP will als Regierungspartei in Nordrhein-Westfalen das Arbeitszeitgesetz so verändern, dass künftig länger als zehn Stunden gearbeitet werden kann.
Das bestätigt unsere Befürchtungen ebenso wie die Pläne in Schleswig-Holstein, wo FDP und Grüne die Regelungen zum Mindestlohn aufweichen wollen. Wir sehen also mit einer gewissen Sorge auf Jamaika. Eine Deregulierung von Arbeitsschutzgesetzen wird es mit uns nicht geben.
Sie sind aber nicht in der Regierung.
Wir haben 2,3 Millionen Mitglieder, die sich zu wehren wissen, wenn eine Regierung ihre Rechte zu beschneiden versucht.
Geht es nicht vielmehr um die Mobilitätswende, die ihre Mitglieder in der Autoindustrie gefährdet, wenn es demnächst kein Diesel- und Benzin-Autos mehr gibt?
Das wäre eine Harakiri-Strategie, die ich den Grünen aber nicht unterstelle. Die Energie- und Mobilitätswende muss man zusammendenken, und wenn man das tut – Netzausbau, Landeinfrastruktur und die dazu gehörenden Genehmigungszeiten – dann landet man ganz gewiss nicht im Jahr 2030.
Sondern?
Wir sollten technologieoffen an das Thema rangehen und zweitens klären, wer welche Investitionen für diese Transformation tätigt. Das ist wichtiger, als die akademische Debatte über eine Jahreszahl.
Nicht akademisch sind die Herausforderungen für die Autoindustrie.
Die IG Metall macht sich deshalb ja auch einen Kopf, was die Entkarbonisierung des Verkehrs für die Arbeitsplätze bedeutet. Wo fällt Beschäftigung weg, wo entsteht neue Beschäftigung. Die zeitliche Dynamik wird aber nicht so sein, dass 2030 keine Verbrenner mehr auf die Straße kommen.
Aber vielleicht kein Diesel mehr. Zuletzt sind die Dieselverkäufe im Jahresvergleich um gut ein Fünftel zurückgegangen.
Solange die Unsicherheit über mögliche Einfahrverbote besteht, werden die Verkäufe sinken, das ist doch klar. Der Diesel ist aber noch für einige Jahre eine Brückentechnologie, um die CO2-Ziele zu erreichen. Deshalb brauchen wir bald Rechtssicherheit über die Nutzung des Diesels. Das erwarte ich zum Beispiel von „Jamaika“. Die Politik hat eine Regulierungsverantwortung.
Sie sind für eine Blaue Plakette, mit der geregelt wird, welche Autos bei welchen Wetterlagen fahren dürfen?
Ja, mit entsprechenden Übergangsfristen, die notwendig sind, um den Verbraucherschutz zu sichern. Und wer die Blaue Plakette einführt, der kann die Kommunen nicht aus der Pflicht lassen: Sie haben vorher nachzuweisen, was sie an intelligenter Verkehrssteuerung unternehmen, um die Belastung mit Feinstaub und Stickoxiden zu verringern. Ferner sind Instrumente sinnvoll, mit denen Altfahrzeuge mit Euro-III- und Euro-IV-Norm so aus dem Verkehr gezogen werden, dass die Autobesitzer sich das auch leisten können.
Die Ökoprämie von 5000 Euro gibt es doch schon.
Die Prämie gibt es als Angebot der Industrie. Teilweise ist das aber nur eine Umtauschprämie, das macht ökologisch keinen Sinn. Und die Prämie hat häufig nur eine Größenordnung wie die ohnehin möglichen Rabatte beim Autokauf. Man muss sich vielmehr Gedanken machen, was man gezielt für die Halter dieser Fahrzeuge tun kann, die ja eben oft ältere Autos fahren, weil sie sich kein Neues leisten können.
Die IG Metall war zugegen beim Dieselgipfel und der Verabredung der Ökoprämie. Warum ist da nicht mehr rausgekommen?
Das war zu nahe an der Bundestagswahl. Einen wirklichen Lösungswillen der Politik konnte ich damals nicht erkennen.
Die Politik will jedenfalls so schnell wie möglich viele Elektroautos.
Nochmal: Dazu bedarf es der Infrastruktur. Der Wurm muss dem Fisch schmecken. Mit einem Auto, das für den Verbraucher mit einem geringeren Nutzen bei höheren Kosten verbunden ist, wird die Mobilitätswende nicht gelingen.
Die Autohersteller wollen, ebenso sie wie die Autogewerkschaft IG Metall, solange wie möglich Verbrennungsmotoren bauen.
Im Moment geht es gar nicht anders, als den Verbrennungsmotor weiterzuentwickeln und gleichzeitig attraktive E-Autos auf den Markt zu bringen. Ohne günstige Preise, vor allem für leistungsfähige Batterien und deren Weiterentwicklung, und viel mehr Schnellladesäulen, die das Stromnetz nicht kollabieren lassen, wird das kein Massenmarkt.
Was muss Jamaika tun?
Wir brauchen einen Plan, wie in den kommenden vier Jahren die Entkarbonisierung vorangebracht wird. Dazu gibt es keine Alternative. Das schlimmste wären Formelkompromisse im Koalitionsvertrag der vier beteiligten Parteien.
Das alles überragende Thema der kommenden Legislatur ist die Digitalisierung. Das scheinen die vier erkannt zu haben.
Bei den Themen Bildung und Weiterbildung sehe ich die Bereitschaft, etwas zu tun. Aber was passiert konkret und für wen? Auf diese Frage sollte der Koalitionsvertrag eine Antwort geben. Gerade im Bildungsbereich schauen wir auf zwei Punkte: Wie kann man das System sozial durchlässiger machen? Denn von Chancengleichheit unabhängig von der Herkunft kann hierzulande keine Rede sein.
Und das trauen Sie der FDP zu?
Es ist jedenfalls unsere Aufgabe darauf zu drängen, dass es keine Bildungspolitik für Eliten gibt, sondern eine Politik, die alle mitnimmt. Und die zweite Herausforderung ist das Thema Weiterbildung und Neuorientierung während des Erwerbslebens. Was das bedeutet für Hochschulen und Berufsschulen aber auch für die Bundesagentur für Arbeit, ist noch nicht beantwortet. Über Sonntagsreden ist man leider bislang nicht hinausgekommen, was die staatliche Bildungspolitik, die berufliche Weiterentwicklung und die Personalpolitik im Betrieb betrifft.
Dann wäre ja jetzt ein guter Zeitpunkt, um das Thema auch in einer Tarifrunde zu behandeln.
Die Aspekte der Transformation werden wir sicherlich aufgreifen: Nicht aber in dieser Runde. Hier kümmern wir uns um eine zentrale Voraussetzung, dass keiner unter die Räder kommt: Eine ununterbrochene Erwerbsbiographie.
Die IG Metall will einen individuellen Anspruch auf eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden durchsetzen mit einem Rückkehrrecht auf Vollzeit und für bestimmte Beschäftigtengruppen dazu einen Entgeltzuschuss. Haben die Leute nicht andere Sorgen als zu lange Arbeitszeiten?
Die Arbeit bei Bedarf reduzieren zu können, trifft den Nerv der Zeit. Die Anforderungen der Arbeitgeber an die Flexibilität der Arbeitnehmer sind immer größer geworden und erschweren häufig genug die Planung. Für Erziehung, Pflege oder eben auch Weiterbildung wollen wir mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit für die Beschäftigten durchsetzen.
Die meisten Metaller sind aber mit ihrer Arbeitszeit zufrieden.
Zufriedenheit heißt ja nicht, keine Ansprüche zu entwickeln.
53 Prozent Ihrer Mitglieder meinen, eine Arbeitszeitverkürzung sei nicht wichtig.
Diese Zahl bezieht sich auf eine kollektive Arbeitszeitverkürzung. Darum geht es uns auch gar nicht. Vielmehr gibt es das Bedürfnis der Beschäftigten, die Arbeitszeit an das Leben anzupassen. Und das greifen wir auf.
Die Metaller im Osten wollen vor allem eine Angleichung ihrer Arbeitszeit an den Westen, da geht es um eine kollektive Verkürzung von 38 auf 35 Wochenstunden. Warum gehen Sie da nicht ran?
Das Thema muss auf der Agenda stehen. Es hängt aber vom Organisationsgrad ab in Ostdeutschland. Tarifpolitik ist ja kein „Wünsch Dir was“, sondern hat auch etwas mit Durchsetzungskraft zu tun. Wir versuchen jedoch mit den Arbeitgebern einen Prozess zu vereinbaren, mit dem wir 28 Jahre nach der Einheit die Angleichung hinbekommen.
Die Ossis wollen mit der IG Metall nichts zu tun haben?
Im Gegenteil. Wir haben in den vergangenen Jahren eine positive Mitgliederentwicklung in Ostdeutschland gehabt, doch alles in allem gibt es eine deutlich geringere Tarifbindung und auch einen geringeren Organisationsgrad als im Westen.
Wann sind die Arbeitsbedingungen im Osten so wie im Westen?
Das hängt eben maßgeblich davon ab, wie viele Beschäftigte bereit sind, sich bei uns oder in anderen Gewerkschaften zu engagieren.
Das Interview führte Herr Frese und ist am 25. Oktober 2017 im „Tagesspiegel“ erschienen.