Christian Julius ist enttäuscht, enttäuscht von der deutschen Bundesregierung. „Nach dem Pariser Klimagipfel hatte ich von der Politik erwartet, dass sie den Ausbau der erneuerbaren Energien energisch vorantreibt“, sagt er. „Stattdessen soll jetzt der Ausbau der Windenergie gedeckelt werden.“ Julius ist Betriebsratsvorsitzender bei der ThyssenKrupp Rothe Erde GmbH. Das Unternehmen produziert große Wälzlager, die in Windkraftanlagen verbaut werden. Wenn die Windbranche ins Stocken gerät, hat die Firma ein Absatzproblem. „Hier geht es nicht nur um Megawattstunden, hier geht es um Arbeitsplätze in der Industrie“, sagt Julius.
Was den ThyssenKrupp-Mann so erzürnt, ist die geplante Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die Bundesregierung will die Energiewende „kosteneffizient“ gestalten. Doch sie läuft dabei Gefahr, den ökologischen Umbau der Stromerzeugung abzuwürgen.
Geplant ist ein Paradigmenwechsel: Statt die Ökostromproduktion weiter konsequent zu fördern, will die Regierung den Ausbau drosseln. Bislang ist vorgesehen, pro Jahr an Land Windkraftanlagen mit einer Leistung von 2500 Megawatt zu errichten ― netto, wohlgemerkt. Das bedeutet, der Austausch alter Anlagen – das sogenannte „Repowering“ ― wird nicht mitgerechnet.
In Zukunft soll der Zubau für Windenergie an Land mittels einer Formel berechnet werden. Praktisch bliebe für Windkraft an Land nur noch ein Minimalausbau übrig – abhängig vom Gesamtausbau bei den Erneuerbaren. Einen festen Ausbaukorridor gäbe es nicht mehr. Die Windenergie auf See („Offshore“) soll bei nur 800 Megawatt Zubau pro Jahr gedeckelt werden.
„Statt starrer und viel zu niedriger Obergrenzen brauchen wir mehr wirtschaftliche Dynamik“, sagt Wolfgang Lemb, der im Vorstand der IG Metall für Klima- und Industriepolitik zuständig ist. Der Ausbau der Windenergie dürfe nicht ausgebremst werden. „Mit verlässlichen Rahmenbedingungen kann die Energiewende zu einem echten Jobmotor für die deutsche Industrie werden. Das zeigt zum Beispiel die geplante Windkraft-Fabrik von Siemens mit 1000 neuen Arbeitsplätzen in Cuxhaven.“ Solche Projekte dürften weniger wahrscheinlich werden, wenn die Regierung Windkraftunternehmen erneut verunsichert. In den vergangenen Jahren hat die Branche zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. Aktuell beschäftigt sie rund 150 000 Menschen.
Die Deckelung des Ausbaus ist nicht der einzige heikle Punkt bei der geplanten EEG-Reform. Statt fester Fördersätze für Wind- und Solarstrom soll es ab 2017 Ausschreibungen geben. Wer einen Windkraft- oder Solarpark errichten will, muss dann ein Gebot abgeben. Den Zuschlag erhält, wer die Anlagen am billigsten errichten kann. In der Theorie mag das nach einem effizienten Markt-Mechanismus klingen. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen jedoch, dass Ausschreibungsverfahren keine erkennbaren Vorteile bringen. Tatsächlich können sie sogar negative Effekte haben.
Die Gefahr besteht, dass Ökostromprojekte künftig nur noch von Energiekonzernen und großen Projektentwicklern realisiert werden. Diese Firmen haben Erfahrung mit Ausschreibungen. Für kleine Stadtwerke oder Energie-Bürgerinitiativen ist das Verfahren dagegen eine hohe Hürde. Eine Konzentration der Anbieter würde der Akzeptanz der Energiewende schaden.
Das „Hauptsache billig“-Prinzip bevorzugt außerdem Firmen, die nicht tarifgebunden sind und niedrige Löhne zahlen. Sie können sich einen Kostenvorteil verschaffen gegenüber Unternehmen, die ordentliche Arbeitsbedingungen bieten.
ThyssenKrupp-Betriebsrat Christian Julius hofft nun, dass es zu all dem nicht kommt und die Bundesregierung ihre EEG-Pläne noch ändert. Eine weitere Enttäuschung würde er sich und seinen Kolleginnen und Kollegen gerne ersparen.